Politik

EU und Großbritannien: Starmer hofft, die EU rätselt. – Politik | ABC-Z

Der Presseraum der Residenz des britischen Botschafters in der Brüsseler Rue Ducale 17 ist goldgetäfelt, von der Decke hängt ein Kronleuchter, nur die Kameras und Laptops stören das royale Ambiente am Mittwochabend. Keir Starmer, seit drei Monaten britischer Premierminister, tritt um kurz nach sechs Uhr Ortszeit ans gläserne Pult, um ein paar Worte zu sagen zu diesem aus seiner Sicht ja doch besonderen Tag.

Als erster britischer Premierminister seit Boris Johnson vor fast vier Jahren ist er zu Einzelgesprächen nach Brüssel gereist, er traf sich mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, danach mit Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und mit Ratspräsident Charles Michel. Seine Bürgerinnen und Bürger wünschten sich wieder „pragmatische Beziehungen“ zur EU, damit der Brexit auch wirklich funktioniere, sagt Starmer. Hinter ihm stehen zwei britische Flaggen, aber kein EU-Banner.

Zum Thema Migration verliert von der Leyen kein Wort

Gut 20 Gehminuten von der Residenz entfernt, vor dem Amtssitz der EU Kommission, einem geradlinigen Funktionsgebäude aus den 1960ern, wehte am Mittwoch dagegen erstmals nach langer Zeit wieder die britische Fahne. Ursula von der Leyen hatte sie ihrem Gast zu Ehren hissen lassen. „Dear Keir“, sagte von der Leyen, als die beiden sich am Nachmittag vor den Kameras fröhlich strahlend die Hände schüttelten, in diesen unsicheren Zeiten müssten „gleichgesinnte Partner wie wir enger zusammenarbeiten“. Das „warm welcome“, das von der Leyen Starmer vor laufenden Kameras entbot, gilt allerdings nur mit Einschränkungen. Denn was „enger zusammenarbeiten“ konkret bedeutet, dazu gibt es naturgemäß unterschiedliche Auffassungen.

Zu den Themen, die EU und Großbritannien gemeinsam angehen sollten, zählt aus britischer Sicht etwa auch der Kampf gegen irreguläre Migration. Von der Leyen dagegen betonte, nun gelte es, die bestehenden Verträge auch wirklich mit Leben zu erfüllen. Zur Zusammenarbeit in Sachen Migration: kein Wort.

Im gemeinsamen Statement der beiden schafft es das Thema lediglich in einen Absatz, in dem es um die größeren geopolitischen Herausforderungen geht, die beide „auch künftig gemeinsam angehen“ wollten, neben der wirtschaftlichen Lage, den steigenden Energiepreisen und dem Kampf gegen den Klimawandel. Auch im Nahost-Konflikt und in der Unterstützung der Ukraine wollen sich beide gemeinsam engagieren. Erneut forderten von der Leyen und Starmer einen „sofortigen Waffenstillstand“ in Gaza und im Libanon.

In den kommenden Monaten wollen sich London und Brüssel damit befassen, was Starmer am Abend im glänzenden Presseraum der Residenz „Milestones“ nennt. Im Jahr 2025 soll es einen UK-EU-Gipfel geben, bei dem eben jene Meilensteine im Mittelpunkt stehen sollen. Zu anderen Themen, die zuletzt in den britischen Medien immer wieder eine Rolle spielten – darunter die sogenannte „Youth Mobility“, also einfachere Reisemöglichkeiten für Schüler und Studenten – will Starmer nichts sagen. Es sei heute ganz bewusst nicht um Details gegangen, sondern mehr um das große Ganze. „Tone matters“, sagt Starmer, und tatsächlich hat sich der Umgangston zwischen EU und London mit ihm geändert.

Konkrete Vorschläge hat Starmer nicht mitgebracht

Was allerdings auch nicht unbedingt heißt, dass Keir Starmers Besuch in Brüssel große Begeisterung ausgelöst hätte. Starmers Ankündigung eines Neustarts wurde zwar mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, und selbstverständlich räumten ihm alle drei Institutionen auf seine Anfrage hin Termine ein. Aber in Brüssel fragte man sich: Was, abgesehen von netten Bildern mit den wichtigen Leuten in Brüssel und einer Verbesserung des Tonfalls, will Starmer wirklich von der EU?

Konkrete Vorschläge für eine ernsthafte Vertiefung der Beziehungen lagen vor den Gesprächen nicht auf dem Tisch. Das empfanden in den EU-Institutionen viele als befremdlich, wo doch Starmer nun eine komfortable Mehrheit im Parlament habe. Schon bald sollen diese Vorschläge ausgearbeitet werden, versicherten Vertreter der Labour-Regierung zwar kürzlich beim Parteitag in Liverpool, aber das Misstrauen in Brüssel ist groß nach dem jahrelangen Gezerre um die Bedingungen des EU-Austritts. Niemand in den Institutionen hat Lust, wieder in Großbritanniens innenpolitische Kämpfe hineingezogen zu werden.

Ungute Erinnerungen weckten deshalb britische Medienberichte, wonach die EU Keir Starmer angeblich Bedingungen stelle für einen Neustart der Beziehungen. Starmer solle, so berichteten mehrere Medien, den Europäern Zugeständnisse bei den Fischereirechten machen. Und falls die EU helfen solle, die Überfahrt von Migranten über den Ärmelkanal zu stoppen, müsse Großbritannien im Gegenzug Asylbewerber aus EU-Kontingenten aufnehmen. Beides, so hieß es in Brüssel, stehe nicht auf der Tagesordnung.

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