EU Handelsstreit mit USA: Grundsatzvereinbarung angestrebt – Politik | ABC-Z

In den vergangenen Tagen wirkte es mitunter so, als würde Friedrich Merz lieber selbst im Handelskonflikt mit den USA verhandeln. Kurz vor seinem ersten Auftritt bei einem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel wagte er sich öffentlich mit Kritik vor. Die EU-Kommission, die in Handelsfragen für alle 27 EU-Länder das Sagen hat, verhandle zu kompliziert, sagte der Bundeskanzler vorige Woche. Um dann beim Gipfel nachzulegen: Wegen der hohen Zölle seien Unternehmen aus deutschen Schlüsselindustrien akut gefährdet, sagte er, „und deswegen jetzt lieber schnell und einfach, als langsam und hoch kompliziert“.
Es wirkte wie eine diplomatische Schutzklausel, dass Merz zugleich betonte, er wolle das nicht als Kritik verstanden wissen, die Kommission unter Führung seiner CDU-Kollegin Ursula von der Leyen habe seine volle Unterstützung. Vertreter anderer EU-Staaten beobachteten da allerdings einen Kanzler, der sich aus ihrer Sicht zuvorderst für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetzt. Er nannte die Autoindustrie, Stahl- und Aluminiumhersteller, den Maschinenbau, die Pharma- und Chemiebranche als Bereiche, in denen es im Zollstreit eine schnelle Lösung geben müsse.
Ein grober Deal ohne Details scheint möglich zu sein
Bevor am kommenden Mittwoch die beiderseits beschlossene 90-Tage-Pause in diesem Konflikt endet, sind die Aussichten auf eine vorteilhafte Lösung für deutsche Industriekonzerne gering. Ein grober Deal, der dann noch keine Details enthalten dürfte, scheint aber möglich. „Unser Ziel ist in der Tat eine Grundsatzvereinbarung“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag im dänischen Aarhus. Dort trat sie mit fast allen Mitgliedern der Kommission zum Auftakt der EU-Ratspräsidentschaft Dänemarks auf. Ein umfassender Deal sei angesichts der Komplexität der beiderseitigen Handelsbeziehungen binnen 90 Tagen „unmöglich“, sagte sie.
Der für den Handel zuständige Kommissar Maroš Šefčovič fehlte in Aarhus. Er war am Mittwoch zu Gesprächen mit der US-Regierung nach Washington gereist. Gemeinsam mit von der Leyens Stabschef Björn Seibert traf er Finanzminister Scott Bessent sowie später den Handelsbeauftragten des Weißen Hauses, Jamieson Greer, und Handelsminister Howard Lutnick zu einer vorerst letzten politischen Verhandlungsrunde. Auf Arbeitsebene hatten beide Seiten bereits seit Wochenbeginn gefeilscht. Eine Art Rahmenabkommen, das die Einfuhrabgaben auf einem halbwegs akzeptablen Niveau begrenzt, sei in Reichweite, sagten mit den Gesprächen vertraute Diplomaten.
Donald Trump hatte im April einen Teil der Zölle auf Waren aus der EU teils ausgesetzt; die EU wiederum hatte ihre Gegenmaßnahmen vertagt. Auf Stahl und Aluminium erheben die USA allerdings weiterhin Einfuhrzölle von 50, für Autos und Autoteile gelten 25 Prozent, für einen Großteil der anderen EU-Exportgüter fällt ein Basiszoll von zehn Prozent an. Ende Mai hatte Trump dann damit gedroht, diese allgemeinen Zölle auf 50 Prozent hochzuschrauben, sollten die Gespräche mit der EU scheitern.
Die EU will nicht an ihren Standards für Lebensmittel rütteln
Während sich die Bundesregierung vor allem an den hohen Abgaben für einzelne Sektoren stört, haben andere Länder mehr Probleme mit dem zehnprozentigen Basiszoll. Mit Blick auf die Einigkeit der Mitgliedstaaten achtet die Kommission darauf, dass die Länder unter den Belastungen des US-Zollregimes möglichst gleich stark leiden – genauso wie durch Auswirkungen ihrer vorbereiteten Vergeltungszölle. „Die EU kann keinen quick and dirty deal abschließen, wie ihn Friedrich Merz verlangt“, gibt ein Brüsseler Diplomat mit Blick auf die unterschiedlichen Interessen der 27 Regierungen und die Komplexität der beiderseitigen Handelsbeziehungen zu bedenken. Das würde zwangsläufig zu Ungleichgewichten führen, Merz’ Intervention sei insofern nicht hilfreich gewesen.
Zum genauen Stand der Verhandlungen hält sich die Kommission weitgehend bedeckt. In den Gesprächen mit Washington dringt sie darauf, die Sektorzölle auf Stahl und Autos möglichst zu verringern oder zumindest Importquoten zu vereinbaren, bis zu denen geringere Zollsätze gelten würden. Einen Basiszoll von zehn Prozent müsste die EU am Ende möglicherweise akzeptieren. Die Szenarien reichen von einem Scheitern der Gespräche bis hin zu einem Rahmenabkommen, dessen Details dann über den Sommer weiterverhandelt würden. Letzteres gilt inzwischen als die wahrscheinlichste Lösung.
Damit die US-Seite der Union entgegenkommt, bietet die Kommission an, mehr US-Produkte wie Flüssigerdgas zu kaufen, ihrerseits Zölle abzubauen und andere Handelshindernisse wie etwa die Zulassungsvoraussetzungen für amerikanische Autos zu vereinfachen. Die roten Linien verlaufen bei europäischen Standards zur Lebensmittelsicherheit oder den Vorgaben für Digitalkonzerne. Donald Trump wiederum benötigt erstens die Zolleinnahmen für seine Steuergeschenke. Zweitens zielt er mit den Sektorzöllen darauf ab, wieder mehr Industrieproduktion in die USA zu holen. Dass er etwa von Abgaben auf Auto-Importe wieder abrückt, wie es sich Friedrich Merz wünscht, gilt daher als ausgeschlossen.