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Estland, Lettland, Litauen: Entkoppelung von Russland – was Deutschland vom Baltikum lernen kann | ABC-Z


Estland, Lettland, Litauen

Entkoppelung von Russland – was Deutschland vom Baltikum lernen kann

Die drei baltischen Staaten lösen sich aus dem Stromnetz mit Russland. Die Folge sind höhere Elektrizitätskosten. „Das ist ein Preis, den es sich für Unabhängigkeit und Sicherheit zu zahlen lohnt“, sagt die estnische Klimaministerin Yoko Alender.

An diesem Samstag, am 8. Februar 2025, vollziehen die drei baltischen Staaten einen historischen Schritt: Estland, Lettland und Litauen koppeln sich endgültig vom BRELL ab. Die Abkürzung steht für Belarus-Russland-Estland-Lettland-Litauen und bezeichnet ein Stromnetz aus Sowjetzeiten. Ebenfalls an diesem Wochenende integrieren sich die drei baltischen Staaten vollständig in das kontinentaleuropäische Netz.

Für diesen wichtigen Schritt haben Estland, Lettland und Litauen mit Hilfe der Europäischen Union neue Infrastruktur aufbauen müssen und bezahlen auch mit leicht angestiegenen Elektrizitätspreisen. Doch das ist es den Staaten wert, denn sie wissen, dass sie durch das Ende der Energieabhängigkeit weniger erpressbar durch Russland geworden sind. Deutschland kann sich daran ein Beispiel nehmen.

Die Lehre aus dem Baltikum: Souveränität hat ihren Preis

Für die baltischen Staaten war der Weg zur Energieunabhängigkeit ein Jahrzehnte andauernder Kraftakt. Ein Blick auf die Karte zeigt die geografische Nähe zu Russland und Belarus und lässt die historisch eng verflochtene Infrastruktur leicht erahnen. Trotz des Beitritts der drei baltischen Staaten zur NATO und zur Europäischen Union im Jahr 2004 blieb die Elektrizitätsinfrastruktur in das russische Netz integriert. Deswegen bedurfte es sowohl Strukturförderung aus Brüssel, genauso wie einen letzten Kraftakt nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Dazu wird ein moderater Anstieg der Stromkosten von bis zu einem Euro pro Monat pro Haushalt erwartet. Doch die liberale estnische Klimaministerin Yoko Alender betont in aller Klarheit: „Das ist ein Preis, den es sich für Unabhängigkeit und Sicherheit zu zahlen lohnt.“

Anders als die Entkoppelung vom russischen Gas in Deutschland wurde der Preis der Energiesicherheit im öffentlichen Diskurs der Länder debattiert. Denn Energiesicherheit war immer mehr als ein rein ökonomisches und ökologisches Thema – sie ist auch zentraler Bestandteil jeder nationalen Sicherheitsstrategie. Die baltischen Staaten haben erkannt, dass die Abhängigkeit von einem geopolitischen Gegner wie Russland ein konkretes und strategisches Risiko darstellt.

Die Kosten der Abhängigkeit übersteigen die Kosten der Unabhängigkeit

Deutschland muss dieses Denken konsequent auch in seine Wirtschaftsbeziehungen mit China übernehmen. Eine Diversifizierung der Industrieproduktion und Handelsbeziehungen, der Ausbau erneuerbarer Energien und der Abbau von russischen und chinesischen Importen folgen einem sicherheitspolitischen Imperativ. Der kleine baltische Staat Litauen hatte 2021 durch die Öffnung einer Vertretung von Taiwan in der Hauptstadt Vilnius einen offenen Konflikt mit China gewagt. Solchen Mut vermisst man in Deutschland. Das mächtige China überzog Litauen 2021 mit Wirtschaftssanktionen, aber beendete diese schon 2023 – ohne ein Einlenken des kleinen Landes.

Die Angst in Deutschland ist groß, dass eine stärkere Abkopplung von der chinesischen Wirtschaft zu höheren Kosten für Verbraucher und Industrie führen kann. Doch diese Argumentation greift zu kurz. Die tatsächlichen Kosten der Abhängigkeit von autoritären Systemrivalen – geopolitische Erpressbarkeit, wirtschaftliche Unsicherheit und potenzielle Versorgungsunterbrechungen – sind weitaus höher. Die baltischen Staaten zeigen, dass die langfristigen Vorteile einer souveränen Entkopplungspolitik die kurzfristigen finanziellen Belastungen überwiegen.

Der Autor: Julius von Freytag-Loringhoven leitet bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit das Büro für die Baltischen Staaten in Vilnius.

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