Esken raus, Überraschungen innen: Klingbeil rasiert alle Ampel-Minister – außer Pistorius | ABC-Z

Esken raus, Überraschungen drin
Klingbeil rasiert alle Ampel-Minister – außer Pistorius
05.05.2025, 11:00 Uhr
Lars Klingbeil soll die SPD-Regierungstruppe bestimmen und zeiht einen Schlussstrich unter die Ampeljahre. Fast alle Posten werden neu besetzt – mit auffällig vielen Neuen und Ostdeutschen. Die umstrittene Saskia Esken will angeblich gar nicht ins Kabinett.
Der kommende Vizekanzler und Bundesfinanzminister, amtierender Parteichef und scheidender Fraktionsvorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, beerdigt die Ampel-Ära. Die bisherigen Bundesminister Hubertus Heil, Nancy Faeser, Karl Lauterbach, Klara Geywitz und Svenja Schulze sind allesamt raus. Einzig Verteidigungsminister Boris Pistorius wird auch in der schwarz-roten Bundesregierung dem Kabinett angehören.
Damit vollzieht Klingbeil den noch am Abend des Bundestagswahldesasters angekündigten personellen Umbruch. Auch die Fraktionsspitze formiert sich neu: SPD-Generalsekretär Matthias Miersch soll den Fraktionsvorsitz übernehmen. Die bisherige parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast wechselt als parlamentarische Staatssekretärin ins Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Dort wird Mast der großen Aufsteigerin des SPD-Personaltableaus dienen: der vorherigen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Die Duisburgerin übernimmt das Ressort mit dem mit Abstand größten Budget. Sie beerbt den langjährigen Arbeitsminister Heil, der sein Ausscheiden aus der Regierung bereits angekündigt hatte und am Sonntag auch auf den SPD-Fraktionsvorsitz verzichtete. Viele hätten ihn zu einer Kandidatur ermutigt, ließ der Niedersachse wissen. Er habe dafür aber nicht den notwendigen Rückhalt der SPD-Führung gehabt. Anstelle von Heil aus Peine soll es der Hannoveraner Miersch werden, der vor seiner Spontanberufung zum Generalsekretär im vergangenen Herbst bereits Vize-Fraktionschef war.
Saskia Esken “verzichtet”
Die wohl umstrittenste SPD-Personalie findet sich im neuen Kabinett nicht wieder: Klingbeils Co-Parteichefin Saskia Esken. Mehrere Stimmen aus der Partei, allen voran aus den Ostverbänden, hatten sich gegen Esken ausgesprochen. Die Partei ließ nun wissen, Esken habe auf ein Ministeramt “verzichtet”. Sie habe sich “dafür eingesetzt, dass die Ministerposten eine gute Mischung aus Erfahrung, Erneuerung, Frauen, von Menschen aus Ost, West und mit Migrationsgeschichte darstellen”. Wie freiwillig dieser Verzicht ist, sei dahingestellt. Beim Bundesparteitag der SPD Ende Juni dürfte auch Eskens Zeit als Parteivorsitzende enden. Klingbeil hingegen könnte das Amt behalten; unklar, ob als alleiniger Vorsitzender oder mit einem neuen Gesicht an seiner Seite.
Vier von sieben Ministerämtern der SPD gehen an Frauen, zudem beide der Partei zustehenden Staatsministerposten. Vier der neun Minister und Staatssekretärinnen kommen aus den Ostverbänden. Die künftige Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan hat Eltern aus dem Irak. Die kommende Staatsministerin für Integration, Natalie Pawlik, ist im sibirischen Wostok geboren. Vier der neun Männer und Frauen sind zwischen 32 und 38 Jahre alt. Mit nunmehr 47 Jahren dürfte sich aber auch Klingbeil selbst zum am Wahlabend versprochenen “Generationenwechsel” zählen.
Die Liste des SPD-Regierungsteams lautet wie folgt:
- Bundesminister der Finanzen: Lars Klingbeil, 47 Jahre, Niedersachsen
- Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Bärbel Bas, 57 Jahre, Nordrhein-Westfalen
- Bundesminister der Verteidigung: Boris Pistorius, 65 Jahre, Niedersachsen
- Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: Verena Hubertz, 37 Jahre, Rheinland-Pfalz
- Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Stefanie Hubig, 56 Jahre, Rheinland-Pfalz
- Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Reem Alabali-Radovan, 35 Jahre, Mecklenburg-Vorpommern
- Bundesminister für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Carsten Schneider, 49 Jahre, Thüringen
- Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland: Elisabeth Kaiser, 38 Jahre, Thüringen
- Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Natalie Pawlik, 32 Jahre, Mecklenburg-Vorpommern
Der im Land wie bei der Truppe äußerst beliebte Pistorius galt als einziger Ministerkandidat vorab als gesetzt. Es war an Klingbeil, die übrige Regierungstruppe zu bestimmen. Mit ihm, Pistorius und dem mutmaßlich neuen Fraktionschef Miersch bliebe das Übergewicht der Niedersachsen in der Parteispitze bestehen. Zumal auch unter den zwölf parlamentarischen Staatssekretären zwei Niedersachsen sind. Der hoch angesehene Haushälter Dennis Rohde aus Oldenburg-Ammerland folgt Klingbeil ins Finanzministerium. Johan Saathoff folgt Alabali-Radovan ins Entwicklungsministerium. Saathoff holte in seinem Wahlkreis Aurich-Emden regelmäßig mit die höchsten Wahlergebnisse für die SPD.
Eine App-Gründerin, eine wahre Fachexpertin
Klingbeil hatte es zur Devise ausgegeben, jene Sozialdemokraten nach vorne zu bringen, die noch Wahlkreise direkt gewinnen. Klingbeil ist selbst einer von 44 Bundestagsabgeordneten, der seinen Kreis gewann. 76 SPD-Mandatsträger sind über Listenplätze eingezogen. Verena Hubertz dagegen unterlag nach ihrem Wahlsieg 2021 diesmal ihrem CDU-Herausforderer im Kreis Trier um 0,5 Prozent. Dennoch zählt die einstmalige Unternehmensgründerin zu den Hoffnungsträgerinnen der Partei. Mit dem Ressort Wohnen kommt nun ein Schlüsselthema der kommenden Bundesregierung auf sie zu. Die 37-Jährige war auch als mögliche Habeck-Nachfolgerin gehandelt worden, wäre der SPD das Wirtschaftsministerium zugefallen.
Die Parteilinke, die 2013 die Koch-App “Kitchen Stories” gründete, muss sich auf einem Posten voll kleinteiliger Kärrnerarbeit für Höheres empfehlen. Dabei dürfte ihr auch, wie schon Vorgängerin Klara Geywitz, eine gehörige Mitsprache bei der künftigen Ausgestaltung des Heizungsgesetzes zukommen. Insbesondere auf Drängen der Union will die kommende Regierung die von Robert Habeck verantworteten Regelungen weitestgehend abschaffen.
Die kommende Justizministerin Stefanie Hubig dürfte sich vor allem aufgrund ihrer Erfahrung für das neue Amt aufgedrängt haben. Die frühere Richterin und Staatsanwältin war drei Jahre lang Referatsleiterin im Bundesjustizministerium, sie leitete fünf Jahre lang die Abteilung Strafrecht im Justizministerium von Rheinland-Pfalz, wurde dort Staatssekretärin und amtiert seit 2016 als Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz. Viel mehr Fachexpertise lässt sich in 56 Lebensjahren kaum sammeln.
Überraschung aus Erfurt
Dagegen ist der Erfurter Carsten Schneider weitgehend neu in seinem Fachbereich. Umwelt und Natur waren in bald 22 Jahren als Bundestagsabgeordneter nie Schneiders Themen. In der Ampelzeit war er Ostbeauftragter, vermochte dort aber kaum Akzente zu setzen und zeigte sich zuletzt zunehmend ratlos angesichts der notorischen Beliebtheit der AfD im Osten. Auch seinen Wahlkreis konnte Schneider nicht verteidigen. Mit rund 8 Prozent der Stimmen in Erfurt-Weimer-Weimarer Land II landete Schneider abgeschlagen auf Platz vier. Der Kreis ging an den Linken Bodo Ramelow. Schneiders Aufstieg erklärt sich von außen am wenigsten, jenseits seiner Ostbiografie.
Auch die bisherige Staatsministerin für Integration, Alabali-Radovan, blieb in den aufgeregten Ampeljahren nur Interessierten ein Begriff. Doch für sie sprechen nicht nur ihr Alter, ihre Migrationsgeschichte, ihr Geschlecht und ihr ostdeutscher Landesverband: Nachdem Ministerpräsidentin Manuela Schwesig die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen mitgeprägt hat, sitzt mit Alabali-Radovan auch eine Vertreterin ihres Landesverbandes mit am Kabinettstisch – genauso wie die künftige Integrationsstaatsministerin Pawlik aus Rostock.