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Eskalation im Hamburger Drogen-Krieg, Insider: “Es findet ein Wettrüsten statt” | ABC-Z

Eskaliert der Drogenkrieg in Hamburg? Warum rüsten Täter so auf? Jan Reinecke, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, erklärt, warum die Gewalt so eskaliert, was Täter antreibt – und warum Politik und Polizei dringend handeln müssen.

Immer wieder wird geschossen. Ist das Zufall – oder steckt der Drogenkrieg dahinter?

In vielen Fällen kann man noch keine konkrete Einschätzung darüber treffen.

Aber so viele Schießereien in kurzer Zeit sind doch extrem ungewöhnlich?

Generell kann man feststellen – und das ist  viel besorgniserregender –, dass die Bewaffnung im Rauschgiftmilieu mit Messern, aber auch mit Schusswaffen erheblich zugenommen hat. 

Messer und illegale Schusswaffen werden nicht mehr in irgendeinem Schrank aufbewahrt oder in einem Erddepot für den Notfall vergraben, sondern immer häufiger dauerhaft und schussbereit in der Jackentasche oder im Hosenbund mitgeführt und dann kurzentschlossen oder gezielt eingesetzt. Da findet ein Wettrüsten statt. 

Niemand in der Szene will mehr das Risiko eingehen, unbewaffnet in einen Konflikt zu geraten. Die Hemmschwelle zum Schusswaffeneinsatz ist im Milieu – vermutlich auch durch die vielen Taten der letzten zwei, drei Jahre – erheblich gesunken, wenn nicht gar gänzlich verschwunden.

In der Neustadt wurde Unternehmer Florian B. regelrecht hingerichtet. Gibt es dazu Einschätzungen ?

Der Getötete soll bereits für Drogengeschäfte eine Haftstrafe verbüsst haben. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Tat in diesem Zusammenhang begangen wurde.

Wo kommen die Schusswaffen her?

Aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, aber auch durch Diebstahl aus den großen deutschen Waffenschmieden. Und aus aktuellen Kriegsgebieten. Der Krieg in der Ukraine und die unglaubliche Menge an verfügbaren Schusswaffen dort sollten uns große Sorgen bereiten. Der Unterschied zu früher ist: Die Waffen werden schussbereit und mit Munition mitgeführt.

In welchen Milieus geschehen die Taten?

Vor allem im Rauschgiftmilieu, aber auch im Bereich der Geldwäsche und des Rotlichtmilieus sowie zwischen bildungsfernen Tätergruppierungen, deren Sozialisierung geprägt ist von Gewalt. 

Sei es durch das Umfeld, die Musik, falsche Vorbilder, die Verherrlichung in den sozialen Medien oder durch das Elternhaus. Der niedrige Bildungsstand und fehlende Perspektiven dienen hier gepaart mit der Gier nach Statussymbolen, Anerkennung, Macht und Geld als Brandbeschleuniger.

Hat die Polizei die Lage noch unter Kontrolle?

Die Gewalt ist kaum noch kontrollierbar! Die Polizei ist eigentlich nur noch in der Lage zu reagieren, um wenigstens der aktuell in Erscheinung tretenden Täter habhaft zu werden.

Kann das eigentlich jeden treffen – oder sind es Szenestraftaten, die die Bösen unter sich
verüben?

Bei Taten, die gezielt und geplant verübt werden, trifft es vornehmlich die „Bösen“ der Szene unter sich. Dennoch können gerade junge Menschen sehr schnell in die Fänge dieser Szene geraten und sowohl Täter als auch Opfer werden. Und dann kann es bei wilden Schusswaffeneinsätzen auch Unbeteiligte treffen. In Tonndorf wurde mit einer Maschinenpistole in Wildwest-Manier auch auf angrenzende Häuser geschossen, Terry S. wurde in einer gut besetzten Shisha-Bar erschossen.

Gewinnt die Mafia auch in Hamburg immer mehr Einfluss?

„Die klassische „italienische Mafia“ besitzt keinen Einfluss in Hamburg. Allerdings sind südamerikanische Kartelle, denen hier zahlreiche Mitglieder albanischer Herkunft zugeordnet werden können, bestrebt, den Rauschgiftschmuggel und Handel im und aus dem Hamburger Hafen heraus zu kontrollieren. Die Gegenmaßnahmen in den Häfen von Rotterdam und Antwerpen wirken dabei wie ein Brennglas für Hamburg, denn im Hamburger Hafen wurde die Sicherheit über viele Jahre vernachlässigt. Aber auch wenn nunmehr bereits erste, kleine Schritte zu einer Verbesserung der Hafensicherheit unternommen wurden (z.B. durch Einrichtung des Hafensicherheitszentrums), müsste die Bundesrepublik, konkret der Zoll, zusammen mit der Hafenwirtschaft erhebliche Gelder investieren, um ebenfalls in deutliche höhere Sicherheitsstandards in der Infrastruktur, der IT und erst recht im Personalkörper zu etablieren.

Zuletzt gab es viele Fahndungserfolge – auch durch Encrochat-Enthüllungen. Ist die
Folge, dass der Markt gewaltsam neu aufgeteilt wird?

Der Markt ist viel zu groß, um neu aufgeteilt werden zu müssen. Es gibt auch niemanden, der den Markt kontrollieren könnte. Es ist eher ein kapitalistisches Miteinander von größeren und kleineren Gruppierungen sowie Einzeltätern. Die Organisierte Kriminalität umtreibt ein großes gemeinsames Interesse: Geld. Jeder will schnell, einfach und so sicher wie möglich viel Geld verdienen. Wie immer, wenn es um viel Geld geht, kommt es zu Unstimmigkeiten, Neid, Betrügereien und Gewalttaten beim Streben nach dem Maximum an Macht und Geld. Diese Folgeerscheinungen führen dann zu den für uns aktuell so offen wahrnehmbaren Symptomen einer allseits umgreifenden, stark verfestigten Form von Gewalttaten, wie Erpressungen, schweren Körperverletzungen und Mordtaten.

Helfen Festnahmen überhaupt – oder rücken immer neue Kriminelle nach?

Es rücken immer neue Kriminelle nach. Aber das ist kein Grund aufzuhören. Denn wenn man als Staat nichts mehr unternehmen würde, dann würde sich die Gewaltspirale noch schnelle drehen und die Anzahl Täter und deren Opfer noch schneller anwachsen. Dafür braucht es jedoch den absoluten Willen der politischen Entscheidungsträger, in diesen Kampf mit entsprechenden Gesetzen und Geldern zu investieren. Wenn dieser nicht vorliegt, werden wir in Deutschland und insbesondere in Hamburg durch seine Hafenanbindung schon bald niederländische und belgische Verhältnisse haben. Die Uhr steht, wenn man optimistisch sein möchte, noch auf fünf vor Zwölf.

Von Rüdiger Gaertner, Mathis Neuburger

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