Es wird dunkel in Österreich | ABC-Z
Hundert Tage nach der Wahl und eine geplatzte Regierungsbildung später kam die Abrechnung. „Demokratische und staatspolitische Todsünden“ seien von der „Einheitspartei“, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl seine politischen Gegner nennt, begangen worden. Seine halbstündige Ansprache am Dienstagnachmittag machte klar, wer jetzt das Sagen hat, und was droht, wenn die ÖVP als möglicher Koalitionspartner nicht spurt – Neuwahlen, die die FPÖ gewinnen werde. Das Land sei an die Wand gefahren worden. Er werde Österreich „ehrlich regieren“, „mit Normalität und Hausverstand“ und „gesundem Patriotismus“.
Vorangegangen war ein politisches Erdbeben. Am Dreikönigstag begab es sich in Wien, dass der Bundespräsident tun musste, was er kategorisch ausgeschlossen hatte – der sogenannten Freiheitlichen Partei einen Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen. Dazu waren FPÖ-Chef Kickl und sein Büroleiter Reinhard Teufel zu einem einstündigen Achtaugengespräch erschienen; zu dem hatte Alexander Van der Bellen seine Kabinettschefin Andrea Mayer mitgebracht, die bis vor kurzen als Kulturstaatssekretärin fungiert hatte.
Das anhaltende Schweigen der FPÖ
Am Ende seines kurzen Statements wünschte Van der Bellen in schwarzem Dreiteiler und dunkelblauer Krawatte mit winzigen Lichtpunkten seinen Landsleuten „einen schönen Tag“. Den hatten nur FPÖ-Wähler, zwei Drittel des Landes sahen sich mit einer „Zeitenwende“ konfrontiert, wie das Ergebnis der Unterredung sogleich bezeichnet wurde. Vor der Hofburg demonstrierte die Zivilgesellschaft gegen den drohenden Rechtsruck. Einen Platz in den Geschichtsbücher Österreichs hat dieser 6. Januar schon sicher – manche sprechen vom Beginn der Dritten Republik.
Das Schweigen der FPÖ brachte den ORF, der eine Sondersendung nach der anderen ins Programm nahm, in Zug- beziehungsweise Wiederholungszwang. Mehrmals wurde ein Porträt Kickls gesendet, als ob dessen Werdegang vom Haider-Adlatus zum „Remigrations“-Scharfmacher („Daham statt Islam“), vom Identitären-Versteher zum Orbán- und Putinfreund nicht hinlänglich Jedermann und Jederfrau im Land bekannt wäre.
Die Staatskrise ausgelöst hat das Versagen der drei an der Regierungsbildung beteiligten Parteien ÖVP, SPÖ und Neos, die es vorzogen, Parteiinteressen vor die Interessen des Staates zu schieben. Die ÖVP paktiert viel lieber mit den Blauen als mit irgendeiner Partei links der Mitte. Die Kehrtwende der ÖVP, die sich nun als Juniorpartner der FPÖ andient, erboste nicht nur Alexander Pollak, den Sprecher der NGO „SOS Mitmensch“, der unter den Demonstranten am Ballhausplatz war. Die ÖVP habe „jegliche Staatsräson betreffend den Schutz unserer Republik vor rechtsextremen und verfassungsgefährdenden Kräften über Bord geworfen, nur um einen Teil ihrer Klientel vor einem Beitrag zur Budgetkonsolidierung zu bewahren“.
„Verroht und verkommen“
Alon Ishay, Präsident des Verbands Jüdischer Österreichischer HochschülerInnen, warnte in der „Jüdischen Allgemeinen“: „Auch wenn die FPÖ aktuell nicht direkt, wohl aber indirekt, gegen Jüdinnen und Juden hetzt, steht außer Frage, dass sie eine durch und durch antisemitische Partei ist.“ Für den Schriftsteller Doron Rabinovici ist Österreich „seit vierundzwanzig Jahren der Beweis, dass Rechtsextremismus durch Regierungsverantwortung nicht zahm, sondern ein ganzes Land dadurch verroht und verkommen wird“. Das Umkippen der ÖVP sei ein fatales Signal: „Ihnen ist jetzt sogar ein rechtsextremer Reichskanzler lieber als jeder Kompromiss mit demokratischen Parteien.“
„Dunkel wird es in Österreich“ – die Filmemacherin Ruth Beckermann nennt die ÖVP „eine Hure, die, wenn auch nur als Vize, an der Macht bleiben will“. Kickl werde alles tun, um die Medien „kalt zu stellen oder umzudrehen, falls sie das nicht in vorauseilendem Gehorsam selbst tun werden.“ Für das rechtsextreme Lager in der EU werde Kickl „einen intelligenten und eloquenten ,Führer‘“ abgeben, so Beckermann. Der Lyriker Robert Schindel variiert einen berühmten Satz von Karl Kraus über Hitler: „Mir fällt zu Kickl nichts mehr ein“. Kraus sind zu Hitler dreihundert Seiten eingefallen, doch das Manuskript der „Dritten Walpurgisnacht“ musste vor den Nationalsozialisten gerettet und aus dem Land geschmuggelt werden. Es erschien posthum erst 1952. Unselige Erinnerungen in kleinen Zeiten.