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„Es liegt noch viel Arbeit vor uns“ | ABC-Z

Herr Blume, nach Warnstreiks, Großprotesten und einem mehrtägigen Verhandlungsmarathon hat sich VW mit dem Betriebsrat und der IG Metall auf Einsparungen verständigt. Reicht das jetzt, um das Unternehmen zu retten?

Die Einigung ist eine gute Nachricht für Volkswagen. Mit dem Maßnahmenpaket stellen wir entscheidende Weichen für die Zukunft. Wir bauen Überkapazitäten an deutschen Standorten ab. Das versetzt uns in die Lage, Fahrzeuge auch im Volumensegment zu wettbewerbsfähigen Kosten in Deutschland herzustellen. Und es ist die Basis dafür, dass wir auch langfristig ein wirtschaftlicher und verlässlicher Arbeitgeber für viele Tausend Menschen sein können.

VW muss Milliarden sparen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Wie kriegen Sie den nötigen Betrag zusammen?

Durch den Abschluss werden mittelfristig mehr als 15 Milliarden Euro pro Jahr nachhaltige Kosteneffekte der Volkswagen AG erreicht. Davon kommen jährlich mehr als 4 Milliarden Euro aus den Feldern Arbeitskosten, Struktur- und Produktionsmaßnahmen sowie Werkebelegung. Die Volkswagen AG mit ihren Marken VW, VW Nutzfahrzeuge sowie den Komponentenwerken ist heute überinvestiert und kann viel mehr Autos und Teile bauen, als Kunden nachfragen. Mit der jetzt vereinbarten dauerhaften Reduzierung um rund 730.000 Fahrzeuge richten wir unsere technischen Produktionskapazitäten wettbewerbsfähig aus. Maßgeblich ist auch die beschlossene Senkung der Arbeitskosten. In der Belegschaft bauen wir bis zum Jahr 2030 um mehr als 35.000 ab. Das geschieht sozialverträglich und begleitet von Personalinstrumenten. Wir lassen niemanden allein.

Alle Autofabriken in Niedersachsen und in Ostdeutschland sind schlecht ausgelastet. Wäre es nicht besser, jetzt einen großen Standort ganz zu schließen, statt wieder einen VW-typischen Kompromiss zu schmieden?

Wir stellen die Weichen wegweisend und nachhaltig. An der Kapazitätsanpassung führte kein Weg vorbei. Sie wäre mit verschiedenen Mitteln erreichbar gewesen. Die jetzt vereinbarte Lösung mit Abbau der Kapazitäten an verschiedenen Standorten entspricht dem Produktionsumfang von zwei bis drei großen Werken. Wichtig ist, dass wir unsere Kernmarke VW so aufstellen, dass sie ihre Investitionen selbst finanzieren kann. Die Rendite von VW liegt heute zwar nicht schlechter als in den vergangenen Jahrzehnten. Anders als früher können wir uns heute nicht mehr auf unterstützende Einnahmen aus dem Konzern verlassen, beispielsweise aus China.

Können die Beschäftigten jetzt sicher sein, dass sie nicht kommendes Jahr wieder den nächsten Sparbeitrag leisten müssen?

Es ist nicht unsere Art, ein paar Pflaster zu kleben, um Volkswagen von einem Jahr aufs andere zu stabilisieren. Wir wollen eine klare Zukunftsperspektive geben. Unsere Programme sind auf den mittel- und langfristigen Erfolg ausgerichtet – übrigens in allen 13 Marken. Gleichzeitig erleben wir weltwirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen. Eine Strategie und ihre Umsetzung sind deshalb immer nur so gut, wie sie auch flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden kann.

Sie haben den Volkswagen-Konzern mitsamt seinem Dutzend an Marken kürzlich als Sanierungsfall bezeichnet. Malen Sie absichtlich schwarz, um Zugeständnisse vom Betriebsrat zu erzwingen?

Das war keine neue Botschaft, sondern eine Analyse, die wir schon vor mehr als zwei Jahren gemacht hatten. Als ich die Führung des Volkswagen-Konzerns übernommen habe, sind wir mit einem umfangreichen Programm gestartet. Ich habe in meiner Aussage auch erwähnt, dass wir inzwischen schon sehr viel in Ordnung gebracht haben – das war der positive Teil der Botschaft. Wir haben massiv in die Produktstrategie, das Design und die Qualität eingegriffen. In diesem Jahr haben wir mehr als 30 neue Modelle auf die Straße gebracht, mit sehr guter Resonanz aus den Märkten und Fachmedien. Die großen Software-Probleme haben wir behoben, die Cariad saniert und die Software-Strategie weltweit neu aufgestellt. Auch in den Regionen wie China haben wir unserer Geschäft neu ausgerichtet. Mit Performance-Programmen in allen Marken stellen wir unseren Konzern finanziell robuster auf. Insgesamt haben wir mit den erzielten Ergebnissen bereits eine gute Basis geschaffen. Gleichzeitig liegt noch viel Arbeit vor uns, gerade bei den Kosten. Volkswagen hat alle Chancen, erfolgreich zu sein.

Nicht nur VW, der ganze Wirtschaftsstandort Deutschland steckt in der Krise. Im Wahlkampf ist viel von Subventionen die Rede. Als Volkswagen-Chef kämen Ihnen staatliche Hilfen doch sicher auch gelegen.

Zunächst einmal müssen wir unsere eigenen Hausaufgaben machen. Gleichzeitig muss das Wirtschaftsmodell Deutschland adjustiert werden. Unsere Industrie hat lange davon gelebt, dass wir hier hervorragende Produkte entwickeln und produzieren, um sie in die ganze Welt zu liefern. Jetzt sehen wir geopolitische Verschiebungen und Protektionismus. Und technische Regulierungen, die sich global stark auseinander entwickeln.

Wie kann Deutschland aus dem wirtschaftlichen Tal kommen?

Wir fangen immer zuerst bei uns selbst an. Das zeigen die Schritte, die wir jetzt zum Beispiel in der Marke Volkswagen in Deutschland gehen. Nur wirtschaftlich gut aufgestellte Unternehmen sind ein guter Arbeitgeber. Das gilt auch für die gesamte Industrielandschaft in Deutschland. Es geht politisch vor allem um die richtigen Rahmenbedingungen. Deutschland braucht einen Aufbruch – weg vom Standstreifen zurück auf die Überholspur. Wichtig sind zum Beispiel: geringere Abgaben, Abbau bürokratischer Hürden, bezahlbare Energie, Sicherheit bei Förderzusagen. Das wäre im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätzen und künftigem Wohlstand.

Nächstes Jahr drohen in Europa Strafzahlungen, weil die Autobranche strengere CO2-Regeln nicht einhalten kann. Wie teuer wird es für Volkswagen?

Die Ziele sind tatsächlich extrem anspruchsvoll. Jeder Euro, den wir Strafe zahlen müssten, ist ein schlecht investierter Euro. Deshalb arbeiten wir mit umfangreichen Maßnahmen darauf hin, die Ziele so weit wie möglich zu erfüllen. Wir haben schon ein großes Portfolio an E-Fahrzeugen und Hybriden. Vom attraktiven Einstiegsmodellen wie dem ID. 3 bis hin zu reichweitenstarken Flottenangeboten, wie zum Beispiel dem neuen ID. 7 Tourer. Jetzt braucht es die richtigen Anreize, damit vor allem die Kunden in Deutschland zugreifen. Der Auftragseingang für unsere E-Fahrzeuge ist in Europa zwar doppelt so hoch wie im vergangenen Jahr. Wir sind aber noch nicht am Ziel. Ich plädiere dafür, dass die EU schon nächstes Jahr den Realitätscheck für ihre CO2-Regulierung durchführt. Der Hochlauf der Elektromobilität hat sich nicht so schnell entwickelt, wie es zum Zeitpunkt der CO2-Zielsetzungen unterstellt wurde. Das hängt neben dem Produktangebot auch von der Ladeinfrastruktur, niedrigen Energiepreisen und attraktiven Fördermodellen ab. In Ländern, in denen diese Rahmenbedingungen stimmen, entwickelt sich die Elektromobilität positiv.

Rückenwind von den Märkten können Sie im kommenden Jahr nicht erwarten. Laut Prognosen bleibt die Nachfrage rund um die Welt schwach. Woher ziehen Sie ihren Optimismus?

Wir erwarten global zwar kein großes Wachstum, aber auch keinen Abschwung des Automobilmarkts. Wie sich die einzelnen Segmente entwickeln, kommt sehr auf die Weltregionen an. In China spielt sich das große Wachstum weiter im Bereich der „New Energy Vehicles“ ab, also den Elektroautos, aber auch den Plug-in-Hybriden und den E-Fahrzeugen mit „Range Extender“, in denen ein kleiner Verbrennungsmotor den E-Anrieb unterstützt. Auch in Amerika ist dies im Kommen. Dort haben wir zum Beispiel für unsere neue Marke Scout entschieden, nicht allein auf reine E-Antriebe zu setzen, sondern auch auf die Range Extender. Von bereits mehr als 50.000 Vorbestellungen haben sich viele Kunden genau dafür entschieden.

VW-Chef Oliver BlumeAndreas Pein

Auch in Europa sind Hybride beliebt, obwohl die deutsche Ampelregierung die Förderung für diesen Antrieb als erstes gekürzt hat. Hätten Sie nicht viel schneller darauf reagieren müssen?

Unsere Marken bieten schon attraktive Modelle an. Hybridantriebe sind eine hervorragende Übergangstechnologie, um Menschen schneller an die Elektromobilität heranzuführen. Dennoch könnten wir weitere Angebote nachlegen. Wir prüfen gerade, in welchen Verbrennungsfahrzeugen wir unsere Produktpalette punktuell um Hybridantriebe ergänzen – und welche E-Fahrzeuge einen Range Extender bekommen können. Die grundsätzliche strategische Richtung hin zur E-Mobilität ist klar. Wir müssen uns dabei alle Regionen anschauen, auch wegen der unterschiedlichen Regulierungen und Kundenwünsche. Wesentliche Entscheidungen sind getroffen, komplett wird der Fahrplan in den nächsten Monaten stehen.

Alle fordern, dass Volkswagen endlich günstige Elektroautos bauen soll. Warum dauert das so lange?

Wir haben die Entscheidung unmittelbar nach meinem Antritt als Vorstandschef getroffen und ich treibe das Projekt mit Hochdruck voran. Richtig war es, in der Entwicklung der E-Autos mit den etwas höheren Segmenten anzufangen. Das hängt mit den Materialkosten der Fahrzeuge zusammen, insbesondere mit der Batterie. Dort gibt es mittlerweile große Fortschritte bei den Batteriekosten. Unser Versprechen gilt: Ab 2026 bringen wir vier Modelle für 25.000 Euro und 2027 dann ein Fahrzeug für 20.000 Euro auf den Markt.

Bislang bezieht die heimische Autobranche fast alle Batteriezellen von asiatischen Herstellern. Der Absturz des schwedischen Hoffnungsträgers Northvolt, an dem auch der Volkswagen-Konzern beteiligt ist, zeigt, wie schwer sich Europa mit eigener Fertigung tut. Bleiben Sie komplett abhängig von Asien?

Ich halte die Grundidee für absolut sinnvoll, dass wir in Europa eigene Batteriehersteller haben. Leider sind Wettbewerber beim Hochlauf ihrer Anlagen auf Probleme gestoßen. Für unsere eigenen Zellfabriken der Powerco haben wir einen klaren Plan mit Standorten in Salzgitter, Valencia und St. Thomas in Kanada. Für den Hochlauf nutzen wir unser Gemeinschaftsunternehmen mit dem Batteriehersteller Gotion in China. In China werden die Teams trainiert und alle Anlagen eingefahren, die dann in unsere eigenen Werke der Powerco kommen.

In China wiederum sind die Marktanteile von VW deutlich gesunken. Wie viele ihrer fast 40 Fabriken im einst wichtigsten Markt des Konzerns müssen Sie schließen?

In China liegen noch ein bis zwei schwierige Jahre vor uns. Es wird zu Kapazitätsanpassungen kommen. Das Gemeinschaftswerk in Xinjiang ist schon verkauft. Weitere Anpassungen im Produktionsnetzwerk prüfen wir. Wir haben alle Möglichkeiten, um in China auch in Zukunft erfolgreich zu sein – mit lokaler Entwicklungskompetenz, mit auf die lokalen Kundenwünsche angepassten Fahrzeugen und mit wettbewerbsfähigen Kosten. Wir werden die Produktionskosten für die Elektro-Autos im Rahmen unserer „In China for China Strategie“ mit lokalen Lösungen um rund 40 Prozent senken. Und wir haben gute Partnerschaften geschlossen, um technologisch von der hohen Geschwindigkeit in China zu profitieren. Jetzt kommen viele neue Modelle, damit sind wir absolut wettbewerbsfähig.

Vor allem die Sportwagenmarke Porsche, die Sie parallel zum Konzern führen, erleidet in China heftige Einbußen. Drohen bald Sparrunden wie bei Volkswagen, weil die Gewinne aus der Volksrepublik fehlen?

Es gibt in China noch keinen großen Markt für luxuriöse Elektrofahrzeuge. Für unseren Taycan, den wir aus Deutschland exportieren, haben wir aber schon reagiert und die Fertigung in Zuffenhausen von Zwei- auf Einschichtbetrieb reduziert. In allen anderen Absatzmärkten läuft es für uns dagegen sehr gut. Wir dürfen nicht vergessen: Porsche bringt in kürzester Zeit fünf neue Modelle heraus und erneuert damit praktisch sein gesamtes Portfolio. Das wird uns Rückenwind geben. Zudem haben wir entschieden, wegen der langsameren Transformation zur E-Mobilität gerade in Europa und den USA unsere flexible Antriebsstrategie noch weiter auszubauen. Zum Beispiel beim Cayenne als Verbrenner, Hybrid und reines Elektrofahrzeug.

Die Volkswagen-Belegschaft in Wolfsburg rechnet schon vor, dass Porsche viel zu teuer produziert und die Personalkosten zu hoch sind. Fallen jetzt die Marken übereinander her?

Nein. Wichtig ist hierbei, dass man sich an die Fakten hält. Bei Porsche machen wir viel mit Partnern und haben weniger Wertschöpfungstiefe als zum Beispiel Volkswagen oder Audi. Deshalb ist der Anteil der Entwickler mit höherem Gehalt bei uns größer, während Kolleginnen und Kollegen aus der Produktion weniger stark vertreten sind. Tatsache ist: Wenn wir uns die reinen Arbeitskosten anschauen, liegt Porsche unterhalb von Volkswagen und auch Audi in Deutschland. Das ist genau der Grund, warum wir bei Volkswagen jetzt handeln müssen.

Ihre belastende Doppelrolle bei Volkswagen und Porsche sorgt schon lange für Kritik am Kapitalmarkt. Wann werden Sie den Posten in Stuttgart abgeben und sich ganz auf die Aufgabe im Konzern konzentrieren?

Ich habe mich ganz bewusst für diese Konstellation entschieden und sehe darin weiter viele Vorteile. Keine der beiden Rollen leidet darunter, dass ich eine Doppelfunktion habe. Gerade in den aktuell herausfordernden Zeiten überwiegen die Vorteile bei weitem. Ich werde die Doppelrolle so lange machen, wie ich es für sinnvoll halte und wie es für beide Unternehmen von Vorteil ist.

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