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Erster Zustandsbericht „Planetary Health Check“ veröffentlicht | ABC-Z

Multimorbide, so nennt man Menschen, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden. Und mehrfach schwer erkrankt ist nach dem Dafürhalten vieler Wissenschaftler auch unser Planet. Patient Erde wird schlechter. Das ist an sich nicht neu, die Katastrophenbilanzen der Klimaforscher waren zuletzt immer öfter flankiert von ökologischen Mängelberichten aller Art. Aber nun ist das Siechtum des Patienten Erde zum ersten Mal auch aktenkundig: Im „Planetary Health Check“ sind die Resultate des ersten Ganzkörper-Gesundheits-Check-Ups unseres Heimatplaneten seit diesem Mittwoch in einem 97-seitigen englischsprachigen Bericht nachzulesen.

Es ist der erste von voraussehbar vielen weiteren Check-ups. Denn der planetare Arztbrief soll von nun an jährlich aktualisiert und veröffentlicht werden. Zuständig dafür ist eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern mit dem schwedischen Erdsystemforscher Johan Rockström an der Spitze. Der diesjährige Preisträger des Tyler-Preises – des “Umweltnobelpreises“ – ist seit einiger Zeit Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und war vor anderthalb Jahrzehnten entscheidend an der ersten Aufarbeitung der für den Check-up entscheidenden „planetaren Belastungsgrenzen“ beteiligt. Sie sind namensgebend für die Autorengruppe des Planeten-Check-ups, die quasi eine neue Wissenschaftsdisziplin repräsentieren: „Planetary Boundaries Science“. Ausgangspunkt ihrer Arbeit sind die im Holozän für viele Jahrtausende stabilen Umweltbedingungen auf der Erde. Sie sind, wenn man so will, der medizinische Maßstab für einen gesunden Planeten. Und sie legen fest, wann die störungsfreien Limits überschritten, die Leitplanken des ökologisch dauerhaft Tragbaren gesprengt werden.

Der 97 Seiten lange erste Gesundheits-Check-Up des Planeten.Planetary Health Check

Was nun jährlich ermittelt werden soll, ist sozusagen das große Blutbild – plus Ganzkörperscans. Neun unterschiedliche Messwerte geben an, wie weit der Planet jeweils von einem sicheren ökologischen Betrieb (vom „safe operating space“) entfernt ist. Und tatsächlich ist die erste Ausgabe des Check-ups einigermaßen beunruhigend, was nach den in den letzten Jahren gesammelten, teils desaströsen Befunden nicht überraschte: Sechs von neun Belastungsgrenzen sind überschritten. Die Erde operiere außerhalb des sicheren grünen Bereichs „und nähert sich schnell dem roten Alarmzustand“, heißt es.

Über das langfristig tragbare Limit hinaus ist etwa das weltweite Organismensterben vorangeschritten, die „funktionale“ und die „genetische“ Biodiversität. Auch die Stickstoff- und Phosphorbelastung der Umwelt ist schon weit fortgeschritten ebenso wie der menschengemachte Klimawandel, bei dem insbesondere die Strahlungswirkung der zusätzlichen Treibhausgase und die Kohlendioxid-Zunahme in der Atmosphäre relevant sind. Die Übernutzung von Land, Meeren und Süßgewässern ist ebenfalls bereits jenseits der wissenschaftlich definierten Belastungsgrenzen. Was die Ozeanversauerung angeht, die mit dem Eintrag von Kohlendioxid in die Meere seit Jahrzehnten ansteigt und vor allem skelettbildende Meerestiere – und damit gesamte Ökosysteme – betrifft, heißt es in dem Bericht: Der Wert stehe auf der Kippe, das Überschreiten des ökologisch tragbaren Limits stehe möglicherweise bevor.

Johan Rockström, Direktor des Postdam-Instituts für Klimafolgenforschung, PIKStefan Boness

Bleiben lediglich zwei Umweltwerte, die global gesehen noch im Normbereich liegen: die Ausdünnung der stratosphärischen Ozonschicht – inklusive des vor vierzig Jahren entdeckten „Ozonlochs“ – sowie die Aerosol- sprich: Teilchen- und Feinstaubbelastung der Atmosphäre. Zuletzt habe sich die Luftbelastung insgesamt rund um den Globus verbessert, was vor allem technischen Fortschritten bei der Luftreinhaltung zu verdanken ist sowie der Energiewende und nicht zuletzt strengeren Luftreinhaltestandards in vielen Ländern. Bezeichnenderweise ist die Schadstoffbelastung der Luft der einzige aller neun Belastungswerte, der rückläufig ist – und dies hat durchaus auch seinen Preis. Denn durch die Abnahme der Verschmutzung und Aerosoldichte in der Luft heizen sich die Atmosphäre und die Ozeane zusätzlich auf. Die „Klimakrankheit“ verschlechtert sich also gewissermaßen noch schneller als ohnehin schon.

Wie dringend Gegenmaßnahmen sind, damit sich der Zustand des Patienten Erde allmählich wieder bessert, machte bei der Vorstellung des Berichts der kolumbianische Friedensnobelpreisträger und Ex-Präsident Juan Manuel Santos am Beispiel der besonders brisanten Klimakrise deutlich: „Uns bleiben nur noch fünf Jahre Zeit für eine Umkehr.“ Was er meinte, war das verbleibende Restbudget an Kohlendioxid-Emissionen. Sollte die Weltgemeinschaft nicht rechtzeitig die Emissionen schnell absenken und wie international verabredet bis zur Jahrhundertmitte Klimaneutralität erreichen, sagte Johan Rockström, würden auch die letzten intakten Klimapuffer der Erde überfordert und kritische Kipppunkte mit globalen Auswirkungen die Folge sein.

Neben Santos und der irischen Ex-Präsidentin und Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, hat der planetare Gesundheits-Check-up auch Unterstützung vonseiten der indigenen Gruppen bekommen. Deren wichtige Rolle beim Aufarbeiten von Umweltschäden und für den Schutz ökologisch intakter Lebensräume war in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden. Levke Caesar, eine der Hauptautorinnen des „Planetary Health Check“, sagte: „Die Botschaft ist klar: Die Umwelt wird zwar oft lokal begrenzt geschädigt, aber diese setzen den Planeten insgesamt unter Druck und können letztlich jeden überall treffen.“ Leidet der Planet, leiden die Menschen: Die Organe des Planeten würden schwächer, warnte Caesar, seine Widerstandskraft nehme zunehmend ab.

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