Erster Auftritt im Bundestag: Söder zündet rhetorisches Feuerwerk | ABC-Z
Kommentar von Michael Ehlers: Erster Auftritt im Bundestag: Söder zündet rhetorisches Feuerwerk
Freitag, 15.11.2024, 17:40
Mit einem fulminanten Debüt im Bundestag hat Markus Söder für Aufsehen gesorgt. Rhetorik-Experte Michael Ehlers analysiert die Rede des bayerischen Ministerpräsidenten, der mit scharfen Attacken gegen Ampel und AfD den Wahlkampf einläutete.
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Ein Söder in Hochform stellt sich in den Dienst der Sache und verteilt Spitzen in (fast) alle Richtungen
Der Wahlkampf ist eröffnet
Die Ampel ist Geschichte. Der Wahlkampf wurde spätestens mit der jüngsten Regierungserklärung von Olaf Scholz eröffnet. Nach ihm sprachen Oppositionsführer Friedrich Merz und dann, direkt nach Alice Weidel, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – zum ersten Mal im Bundestag. Die BILD stilisierte den Schlagabtausch zwischen Scholz auf der einen und Merz und Söder auf der anderen Seite vorab zur „historischen Redeschlacht“ hoch. Wie hat sich der Debütant geschlagen? Experte Michael Ehlers wirft einen genauen Blick auf Söders Rede.
Über Michael Ehlers
Michael Ehlers trainiert seit zwei Jahrzehnten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Top-Manager, Profi-Sporttrainer und viele mehr. Er hält Vorträge zu den Themen Rhetorik, Kommunikation, Digitale Transformation und Motivation. www.der-rhetoriktrainer.de
Söder in Hochform
Nervös musste der bayerische Ministerpräsident bei seinem Auftritt nicht sein, der warme Applaus der gesamten Unionsfraktion begleitete ihn ans Rednerpult. Außerdem ist seine Rhetorik natürlich geschult in unzähligen Reden im bayerischen Landtag und in den Bierzelten unter dem weiß-blauen Himmel.
Die Frage war deshalb vor allem, welchen Söder die Bürger erleben würden? Sie erlebten aus meiner Sicht einen Söder in Hochform, der in – fast – alle Richtungen feine und auch gröbere Spitzen verteilte. Sie erlebten auch einen Söder, der einen öffentlichen Treueschwur auf Friedrich Merz leistete: „Unser Land braucht eine starke Führung und einen klaren Regierungsauftrag. Dieser liegt bei uns in der Union. Ich sage es hier in aller Deutlichkeit, besonders im Hinblick auf den Bundeskanzlerkandidaten Friedrich Merz, der Kompetenz, Führungskraft und Erfahrung mitbringt. Das ist unser Ziel.“
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Klares Signal an die AfD
Auffällig war zunächst, dass Söder eine Art Disclaimer an den Anfang seiner Rede stellte. Er adressierte die AfD-Fraktion direkt: „Vorab, bei aller Kritik an der Ampel und den Fehlern – aber all die bisher Verantwortung getragen haben, mögen viele Fehler gemacht haben. […] Aber es sind Demokraten, und das ist der grundlegende Unterschied zu dem selbstgerechten, arroganten Geschrei, das wir gerade eben gehört haben. […] Sie wollen eine andere Republik, sie wollen die Demokratie zersetzen, sie stehen für Hass, Hetze und Geschrei. Und sie sind keine Patrioten, sie sind die Handlanger Putins, und deswegen werden wir ihnen das Land nicht überlassen, zu keinem Zeitpunkt, auf keinen Fall!“
Beim letzten mit allem Nachdruck vorgetragenen Satz wendete er sich auch körperlich direkt der AfD-Fraktion zu, suchte den Blickkontakt. Was folgte, war das angesprochene Geschrei von Storch & Co. Auf der einen Seite also die AfD, deren Mitgliedern er absprach, Demokraten zu sein. Auf der anderen Seite die demokratische Mitte. Das war auch eine taktisch geschickte Grenzziehung. Denn alle Spitzen, alle Schärfe, die nun folgen würden, sind dadurch zum Teil eines politischen Ringens im Rahmen der demokratischen und parlamentarischen Gepflogenheiten geworden. Söder skizzierte also vorab den Rahmen, in dem er sich bewegen würde.
Es folgte ein Blick auf die Weltlage und die vielen Krisen, die den Bürgern Sorgen machen würden. Bemerkenswert hier vor allem dieser Satz: „Der neue Präsident der Vereinigten Staaten könnte alte Gewissheiten und Sicherheiten neu sortieren.“ Mit der Betonung auf „könnte”. Hier hält sich Söder eine Hintertür offen und plädiert für Ruhe als erste Bürgerpflicht.
Abrechnung mit der Ampel
Dann kommt die Abrechnung mit der Fußgängerampel, denn die FDP erwähnt er in seiner gesamten Rede nicht ein einziges Mal. Die rot-grünen Reste bekommen ihr Fett dagegen weg. Realitätsverlust diagnostizierte er ihnen. Die rot-grüne Seifenblase sei geplatzt. Scholz, der sich cooler findet als Merz? „Ich kenne keinen, der uncooler ist als Sie, Herr Scholz“, sieht Söder die Sache ganz anders. Robert Habeck ruft er ein fröhliches „Gute Reise nach Hause!“ zu, weil es in Schleswig-Holstein mit den Grünen so gut gelaufen wäre.
Immer wieder flicht er mehr oder weniger derben Humor in die staatstragenden Absätze ein. „Herr Bundeskanzler, Sie haben einen Eid gegeben, Sie wollen den Nutzen mehren und Schaden vom deutschen Volk abwenden. Das haben Sie definitiv nicht geschafft, meine sehr geehrten Damen und Herren. Sie reden vom Zusammenführen und die Wahrheit ist, keine Regierung je in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat dieses Land tiefer gespalten. Es wäre jetzt eine Chance gewesen, nach so einem Scheitern mit Würde und Anstand zu handeln und zurückzutreten. Eigentlich müsste Ihr Satz heute sein: ‘It’s time to say goodbye, Herr Scholz!’“
Immer wieder bricht er den ernsten Hintergrund mit humorigen Spitzen auf. Grundsätzliche Unterschiede in der Weltanschauung machte er mit feiner Klinge klar: „Ein bisschen weniger woke, divers und Genderfokus, und mehr Leistung, Fleiß und Pünktlichkeit – das sind die deutschen Tugenden, die wir brauchen. Das macht uns stark“.
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Ein neuer Stil im Bundestag
Es war ein wohltuend anderer Stil, als ihn der Bundestag kennt, es war auch ein anderer Stil, als ihn die Großmeister der gepflegten parlamentarischen Beschimpfung wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Horst Ehmke, Helmut Schmidt oder Joschka „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ Fischer gepflegt hatten. Im Stilblüten-Archiv des Bundestags, das die Stuttgarter Zeitung vor Jahren geöffnet hat, finden sich da ganz andere „Pöbel-Klassiker“: Berufsrandalierer, Gangster, Galgenkandidat, Lackschuhpanther, Möchtegern-Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Petersilien-Guru, Putzlumpen, Massenmörder oder Giftspritze. Ausdrücke und Begriffe, die heute vermutlich bereits eine Angelegenheit sein würden für eine der vielen unkontrolliert wuchernden Meldestellen gegen „Hass & Hetze“.
Fazit: Söder im 21. Jahrhundert
Meiner Meinung nach hebt Söder die alte Franz-Josef-Strauß-Schule – intellektuelle Stimmigkeit und emotionale Treffsicherheit, Faktenwissen und Unterhaltungswert – mit seinem Auftritt ins 21. Jahrhundert. Klare Abgrenzung zu Extremisten, den politischen Gegner nicht schonen. Ohne dabei auf aus der Zeit gefallene Ad-Hominem-Angriffe zurückzufallen.
Content stammt von einem Experten des FOCUS online EXPERTS Circles. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.