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Erschreckende Zahlen: Fast nirgends ist die Rente so wenig wert wie in München | ABC-Z

München – Ulrike Schmitt (64, echter Name der Redaktion bekannt) ist frischgebackene Rentnerin. Weil sie 43 Jahre für ein großes Münchner Unternehmen gearbeitet hat, könne sie gut von ihrer Rente leben, sagt sie im Gespräch mit der AZ. Schmitt weiß durch ihr Ehrenamt beim VdK aber auch, dass es vielen nicht so geht. „Gerade bei den Münchner Mieten.“

Deshalb ärgert sie sich darüber, dass die Renten im Wahlkampf kaum eine Rolle spielen. Das Thema ist ein heikles – es droht, den Generationenvertrag zu sprengen. Armut für jene, die ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben, egal ob betrieblich oder im Haushalt. Und weniger Lohn für diejenigen, die jetzt und in Zukunft schuften.

Altersarmut und Wahlkampf: Der Verlust der Babyboomer

Der Grund: Bis 2036 gehen fast 20 Millionen Babyboomer in Rente, doch nur 12,5 Millionen Junge rücken bis dahin nach, zeigt eine Auswertung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Zugleich hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt von 1949 bis 2021 für Männer um 14 und für Frauen um 15 Jahre erhöht.

Die Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen.
Die Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen.
© NurPhoto/imago
Die Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen.

von NurPhoto/imago

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Die Sorge: Es wird weniger Geld geben. Doch für wen? Schon jetzt heißt Rente für viele Menschen ein Leben in Armut. 24,5 Prozent der Frauen ab 65 und 17,6 Prozent der Männer ab 65 leben in Bayern in Armut – im Bundesländervergleich ist das neben Hamburg und Berlin laut VdK Bayern die höchste Quote.

Wie viel ist die Durchschnittsrente in den verschiedenen Regionen wert?
Wie viel ist die Durchschnittsrente in den verschiedenen Regionen wert?
© dpa-Grafik
Wie viel ist die Durchschnittsrente in den verschiedenen Regionen wert?

von dpa-Grafik

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Fast nirgends ist die Rente so wenig wert wie in München

„Die hier meist überdurchschnittlich hohen Lebenshaltungskosten, u.a. durch hohe Wohnkosten, werden nicht durch ebenso überdurchschnittlich hohe Renteneinkünfte kompensiert“, teilt der VdK auf Anfrage der AZ mit. Demnach liegen fünf der zehn Regionen Deutschlands, in denen der Rentenwert bezogen auf die regionalen Preise am niedrigsten ist, in Bayern – darunter die Stadt München und der Landkreis Miesbach. Und die Lage verschlechtert sich weiterhin: Laut VdK Bayern haben Bestandsrentner im Freistaat 2023 durchschnittlich 1400 Euro erhalten – Neurentner nur 1351 Euro.

Die Altersarmut trifft vor allem Frauen, wie Schmitt in ihrem VdK-Ortsverband selbst sieht. Weil sie etwa Kinder großgezogen, Angehörige gepflegt und nur noch halbtags gearbeitet haben. „Bei uns im Unternehmen haben sich die Kolleginnen immer gesagt: ,Arbeitet nicht halbtags, das bricht euch das Kreuz'“, erzählt sie.

Eine Rente, mit der man sich nicht verstecken muss

Weil Armut unsichtbar und einsam mache, soll ihrer Meinung nach die Rente auskömmlich sein, „um ein Leben zu führen, wo ich mich nicht verstecken muss, weil ich mir das Kino oder das Theater nicht leisten kann“. Einige Parteien wollen deshalb die Rente aufbessern. Die Linke fordert etwa eine „solidarische Mindestrente“: Das heißt, die Rente wird auf die Armutsrisikogrenze von derzeit rund 1400 Euro aufgestockt.

Außerdem will sie das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anheben, das derzeit bei 48 Prozent liegt. Das Rentenniveau gibt an, wie viel ein durchschnittlicher Rentner mit 45 Beitragsjahren vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen als gesetzliche Rente erhält. Kurzum: je höher das Rentenniveau, desto besser die finanzielle Lage der Senioren.

Das BSW will Mindestrenten

Das BSW will einen sofortigen Inflationsausgleich und die Rente um 120 Euro anheben. Für Menschen mit 40 Versicherungsjahren soll es zudem eine Mindestrente von 1500 Euro geben, für Menschen mit 30 Jahren 1300 Euro und nach 15 Jahren 1200 Euro. Derzeit erhält ein Fünftel der Rentner mit mehr als 45 Versicherungsjahren weniger als 1200 Euro, wie aus einer BSW-Anfrage an die Bundesregierung hervorging.

Die Grünen wollen eine Garantierente: „Wer 30 Versicherungsjahre hat, erhält eine Mindestzahl an Rentenpunkten, um Altersarmut zu vermeiden“, teilt die Partei auf Anfrage der AZ mit. Derzeit wären dafür 37 Rentenpunkte nötig – nach der momentanen Regelung bräuchte man 37 Versicherungsjahre mit Durchschnittsgehalt.

Die Grünen wollen eine Garantierente (Archivbild).
Die Grünen wollen eine Garantierente (Archivbild).
© Sven Käuler/dpa
Die Grünen wollen eine Garantierente (Archivbild).

von Sven Käuler/dpa

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Auch die AfD gibt an, „in mehreren Schritten“ die Rente anheben zu wollen: Deutsche sollen langfristig durchschnittlich 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens erhalten. Dafür sorgen, dass das Rentenniveau zumindest nicht sinkt, wollen die SPD und die Grünen: Beide versprechen 48 Prozent. Auch die Union spricht von einem „garantierten stabilen Rentenniveau“ durch wirtschaftliches Wachstum, legt sich allerdings auf Nachfrage der AZ auf keine Höhe fest.

„Strategien für Vermögensbildung“

Im Kampf gegen Altersarmut wünscht sich Schmitt außerdem: „Es müssen von Firmen und vom Gesetzgeber Strategien aufgezeigt werden, frühzeitig Vermögen fürs Alter zu bilden.“ Die Union und die Grünen möchten kleine und mittlere Arbeitgeber bei den Betriebsrenten unterstützen, die SPD fordert eine staatliche Förderung für kleine und mittlere Einkommen bei der privaten Vorsorge.

Die Rente zu erhöhen oder auch nur zu stabilisieren, wird aufgrund der alternden Gesellschaft teuer – für die Beitragszahler, fürchten diese. Der Münchner Wirtschaftsprofessor und Rentenexperte Axel Börsch-Supan sagt der AZ zur geplanten Haltelinie von 48 Prozent beim Rentenniveau: „Die könnte man gar nicht aus den Beiträgen finanzieren.“

Der Münchner Wirtschaftsprofessor und Rentenexperte Axel Börsch-Supan sagt, das Potenzial der Aktienrente für eine Stabilisierung des Rentensystems sei gering.
Der Münchner Wirtschaftsprofessor und Rentenexperte Axel Börsch-Supan sagt, das Potenzial der Aktienrente für eine Stabilisierung des Rentensystems sei gering.
© Horst Galuschka/imago
Der Münchner Wirtschaftsprofessor und Rentenexperte Axel Börsch-Supan sagt, das Potenzial der Aktienrente für eine Stabilisierung des Rentensystems sei gering.

von Horst Galuschka/imago

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Außer sie steigen – aber keine der Parteien spricht sich dafür aus. Abfedern ließe sich das, indem Menschen erst später in Rente gehen. Rentnerin Schmitt hätte sich nicht vorstellen können, länger zu arbeiten. „Ich war einfach ausgelaugt“, sagt sie. Und das, obwohl sie keine körperlich anstrengende Arbeit hatte. Das Renteneintrittsalter pauschal anheben will auch keine der Parteien. Ganz im Gegenteil: Die Linke will das Eintrittsalter auf 65 herabsetzen.

Wer 45 Jahre in die Versicherung eingezahlt hat, soll den Plänen der meisten Parteien zufolge früher abschlagsfrei in Rente gehen können. Union und SPD halten an der Regelung von bis zu zwei Jahre früher fest, das BSW wirbt für einen Eintritt ab 63 und die Linke sogar für einen Eintritt ab 60 (bei 40 Versicherungsjahren).

Flexibles Eintrittsalter bei AfD und FDP

Die AfD verlangt hingegen 45 Versicherungsjahre, um überhaupt abschlagsfrei in Rente gehen zu können, hält das Eintrittsalter aber flexibel. Dieses will auch die FDP gänzlich flexibel halten: Wer länger arbeitet, solle auch mehr Rente erhalten.

Schmitt sagt zur Eintrittsdebatte: „Wenn die Leute länger arbeiten sollen, müssen die Arbeitgeber auch mehr in die Gesundheitsversorgung stecken.“ Um so zu verhindern, dass die Beschäftigten ausbrennen.

Länger arbeiten müssen bis zur Rente? Manche möchten gerne noch etwas warten mit dem Ruhestand, andere fühlen sich ausgelaugt.
Länger arbeiten müssen bis zur Rente? Manche möchten gerne noch etwas warten mit dem Ruhestand, andere fühlen sich ausgelaugt.
© Westend61/imago
Länger arbeiten müssen bis zur Rente? Manche möchten gerne noch etwas warten mit dem Ruhestand, andere fühlen sich ausgelaugt.

von Westend61/imago

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Um das Beitragsvolumen zu steigern, schlagen einige Parteien vor, den Kreis der Versicherten zu erweitern. Die Linke, das BSW, die Grünen und die AfD möchten nach dem Vorbild von Österreich, dass auch Selbstständige und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Börsch-Supan sieht das kritisch: „Wenn die Beamten alle reingehen, wird das die finanzielle Situation der Rentenversicherung verschlechtern, weil Beamte länger leben.“

Die Rentenbeiträge mit Hilfe von Investitionen am Aktienmarkt zu stabilisieren, ist unter den Parteien umstritten. Die Union möchte eine kapitalgedeckte Frühstart-Rente, bei der für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr pro Monat zehn Euro in ein privates Altersvorsorgedepot vom Staat eingezahlt werden. Bei der AfD sollen es für jedes deutsche Kind 100 Euro sein.

Die FDP setzt auf Aktien

Zudem möchte diese wie auch die FDP mit Hilfe von Aktien die individuelle und betriebliche Altersvorsorge fördern. Die Liberalen wollen sogar Teile der Rentenbeiträge in einem unabhängigen Fonds anlegen. Auch die Grünen möchten einen solchen Fonds, allerdings finanziert mittels Darlehen aus dem Bundeshaushalt und geknüpft an „soziale und nachhaltige“ Kriterien.

BSW und Linke lehnen die Aktienrente strikt ab. Die Linke teilt auf Anfrage der AZ mit, dass auch Gewinne am Aktienmarkt von den kommenden Generationen erwirtschaft werden müssten und das demografische Problem nicht lösen.

Eine Seniorin in der Kleiderkammer der Tafel Pirna.
Eine Seniorin in der Kleiderkammer der Tafel Pirna.
© Daniel Wagner/imago
Eine Seniorin in der Kleiderkammer der Tafel Pirna.

von Daniel Wagner/imago

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Die Sorge des BSW, dass mit den Renten am Aktienmarkt gezockt werde, teilt Rentenexperte Börsch-Supan nicht: „Das Risiko ist relativ niedrig, aber es gibt auch nur niedrige Renditen.“ Das Potenzial der Aktienrente für eine Stabilisierung des Rentensystems sei gering.

Keine Aussage zum Bundeszuschuss

Zum Bundeszuschuss und dessen Zukunft äußern sich die Parteien nicht. Seit knapp 70 Jahren wird die Rente bezuschusst – im Jahr 2023 waren es etwa 84 Milliarden Euro. Einen Finanzierungsmix aus Steuern und Beiträgen hält Rentenexperte Florian Blank vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für dauerhaft möglich und sinnvoll.

„Gemessen am Haushalt der Rentenversicherung ist der Zuschuss relativ stabil geblieben“, sagt er der AZ. 1957 machte der Zuschuss laut der Deutschen Rentenversicherung 24 Prozent der Einnahmen der Rentenversicherung aus. 2023 lag der Anteil bei 22 Prozent.

Wegen der vielen Baby-Boomer, die zugleich in der Wirtschaft fehlen, steigen die Kosten der Rente in jedem Fall weiter.

Um deren Zukunft zu sichern, gilt: „Man müsste am Arbeitsmarkt etwas ändern, nicht am Rentensystem“, sagt Börsch-Supan. Es braucht mehr Kinder, mehr arbeitende Frauen und auch mehr Zuwanderung – also mehr erwerbstätige Menschen, die Wohlstand erwirtschaften. Nur so lässt sich die Rente retten.

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