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Erlangen: Gericht verhängt Haftstrafe gegen bewaffneten „Schamanen“ – Bayern | ABC-Z

In den 27 Stockwerken des „Langen Johann“, dem markantesten Hochhaus der Unistadt Erlangen, leben mehr Menschen als in manchem fränkischen Dorf. Eigentlich waren Polizeibeamte im November 2024 dort auf der Suche nach einer kriminalistischen Kleinigkeit, illegalen Arzneimitteln. Ein selbst ernannter „spiritueller Heiler“ und „Schamane“ hatte sie offenbar angeboten, das wollten sie unterbinden. Die Ermittler entdeckten dann aber deutlich größere kriminalistische Kaliber. Sie fanden in der Wohnung des 62-Jährigen und in Kellerräumen Kriegswaffen. Ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft listet sie am Amtsgericht Erlangen säuberlich auf: vier Maschinenpistolen, ein Maschinengewehr, zwei Sturmgewehre und ja, auch drei sogenannte Kalaschnikows. Zusätzlich entdeckten sie weitere Schusswaffen und Munition.

Die Verhandlung beginnt mit einem Rechtsgespräch, zur Verständigung aber über ein mögliches Strafmaß bei umfassendem Geständnis kommt es nicht. Auch so indes räumt Rechtsanwalt Marcus Fischer für seinen Mandanten die aufgelisteten Vorwürfe – darunter Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz – umfänglich ein, jedenfalls dem Grundsatz nach.

Zur Sache will sich der 62-Jährige, grünes Hemd, zum Zopf zusammengebundene, graue Haare, nicht detailliert äußern. Auf einige Punkte aber möchte er Wert gelegt wissen: Er habe Waffen in dem Hochhaus „verwahrt“, das schon. Habe die aber nie verkaufen oder selbst nutzen wollen. Und gewusst, ob sie „funktionsfähig“ sind, habe er auch nicht. Vor allem aber: Er sei niemals „Reichsbürger“ gewesen. Davon ist in der Anklage auch keine Rede, allerdings hatte schon kurz nach dem Waffenfund die für Extremismus zuständige Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Die Richterin trägt die Vorstrafen des Angeklagten vor, darunter eine Geldstrafe wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Darunter auch Hakenkreuze.

Über sich selbst will der Angeklagte auch erst mal nichts sagen. Über seinen Blick aufs eigene Leben kann man sich im Internet aber auch so gut informieren. Geboren ist er demnach in Baden-Württemberg – man glaubt, ihm das anzuhören –, in ländlicher Umgebung und Naturverbundenheit. Erste „schamanische Erfahrung“ will er als Siebenjähriger gemacht haben, als er bei Frost unfreiwillig im Wald habe übernachten müssen. Nach dem Abi will er sich beim Motorsport mehr als ein Dutzend Knochenbrüche zugezogen haben. Schon aus purem Eigennutz habe er sich da mit „Heilung“ und „Schmerz-Reduzierung“ auseinandergesetzt.

Der 62-jähriger Informatiker (links) soll gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen haben. (Foto: Olaf Przybilla)

Ein Studium will er abgeschlossen und diverse „schamanische Ausbildungen“ durchlaufen haben. Im Gericht stellt er sich dann auch als „Informatiker“ vor.  Im „Heilen mit Klängen“ – das wiederum hat er im Netz geschrieben – sei er ebenso bewandert wie mit japanischen „Heilströmen“. Als Buchautor hat sich der 62-Jährige auch einen Namen gemacht, über Runen hat er geschrieben, keltische Rituale, nordische Götter und die Möglichkeit, „Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen“.

Auch ein Buch über „natürliche Heilmethoden“ findet sich, inspiriert angeblich durch das Wirken von Alchimisten. Das dürfte jener Themenkreis sein, aufgrund dessen seine Wohnung im „Johann“ durchsucht wurde, als es offenbar um aufgeladenes Wasser zu Heilzwecken ging. Ermittelt habe man wegen eines Vorwurfs aus dem „Lebensmittelrecht“, sagt der Chefermittler. Ein Routineeinsatz.

400 Parteien, „ein sehr großes Wohnhaus“, sagt der Ermittler, der Angeklagte habe dort im 14. Stockwerk gelebt, zusammen mit seiner Frau und einer Tochter. Wie alt diese sei, fragt die Richterin. „15“, antwortet der Angeklagte.

Die Richterin trägt eine Äußerung vor, in der es um „spirituelles Erwachen“ geht, krudes, wirres, querulatorisch klingendes Zeug, das vom 62-Jährigen stammen soll. Der hebt die Hand und will sich offenbar äußern, sein Anwalt unterbindet das. Schon in der polizeilichen Vernehmung habe der 62-Jährige betont, kein „Reichsbürger“ zu sein, sagt der Ermittler. Die Waffen wollte er demnach lediglich im Haus „verwahrt“ haben, zugunsten von anderen, entweder verstorbenen oder nicht auffindbaren Personen. Über das „Umfeld“ des Angeklagten berichtet der Chefermittler, da seien einige „waffenaffin“.

Das Klingelschild im „Langen Johann“.
Das Klingelschild im „Langen Johann“. (Foto: Olaf Przybilla)

Als man sich nach dem Waffenfund im „Johann“ umhörte, waren da manche mindestens erstaunt. Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz? Das sei etwas, was man „nicht sofort“ mit einem in Verbindung bringe, der mit Klangschalen, einem Didgeridoo aus Bergkristall und „spiritueller Heilkunst“ für sich Werbung macht, sagte ein Nachbar. Was dazu geführt haben mag, dass im Haus Dutzende Schusswaffen gefunden wurden? Da waren auch die Nachbarn ratlos.

Ob man womöglich die Zuschreibungen deuten kann, die sich der Schamane in seinem Autorenprofil selbst gegeben hat? Eher nicht. Demzufolge vereine der 62-Jährige in sich Extreme wie „Gutmütigkeit“ – und „Wehrhaftigkeit“. Der Weg zu Kriegswaffen ist da schon weit. Als „Informatiker und IT-Dozent“ sowie „Schamane und Heiler“ passe er in „keine Schublade“, heißt es im Profil. Und auch sein Aufritt in sozialen Netzwerken ist bestenfalls uneinheitlich. Viel von „An was Schönes denken“, „Lächeln“ und „Glücklich sein“ ist da die Rede. Es finden sich aber auch Verschwörungs-Stereotype. Und ein Kommentar unter einem Fake-Bild, das offenbar suggerieren soll, die Grünen hätten Plakate aufgehängt mit dem Spruch: „Tod dem weißen, deutschen Mann.“ Der Kommentar darunter lautet: „Da wird es wohl noch ,zur Revange’ kommen müssen.“ Gemeint ist mutmaßlich: zur Revanche.

Der Angeklagte weist einen Waffenfetisch von sich, die Sammlung sei vielmehr „Dummheit“ gewesen

Erörtert wird das im Prozess nicht. Aber ein paar Angaben will der 62-Jährige dann doch machen. Seine Tätigkeit als „Schamane“ sei etwas „für die Seele“ gewesen, Geld habe er damit nie verdienen wollen. Mit seinen Büchern schon, aber geringfügig. Die Sache mit den Waffen wolle er „vollständig und lückenlos“ aufgeklärt wissen. Er hoffe auf ein mildes Urteil, er wolle sich anschließend nämlich im „Digitalministerium“ bewerben.

Er habe keinen Waffenfetisch, sei aus „Dummheit“ und aus „Liebe“ zu den Waffen gekommen. Man habe ihn gebeten, die in Kisten verwahrten Waffen zu übernehmen. Nichts an ihm sei kriminell, er sei „Pazifist“. Habe aber „Scheiße gebaut“.

Unter anderem wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz in zehn Fällen wird der 62-Jährige zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Tatsächlich seien keinerlei terroristische Pläne nachweisbar, „sonst wären wir hier nicht am Amtsgericht“, sagt die Richterin. Trotzdem sei eine Haftstrafe der Schuld des 62-Jährigen angemessen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

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