Erhöhung des Mindestlohn: Ökonomisch sinnvoll und sozial gerecht | ABC-Z

Die Mindestlohnkommission hat gesprochen – und sich für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13,90 Euro für
2026 und 14,60 Euro für 2027 ausgesprochen. Damit bleibt sie unter der politisch viel diskutierten Marke von 15 Euro, die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD als “erreichbar” bezeichnet wurde. Aber sie hält die EU-Mindestlohnrichtlinie ein (und auch ihre eigene, neue Geschäftsordnung), die vorsieht, dass als Lohnuntergrenze mindestens der Bruttomedian des durchschnittlichen Stundenlohns gezahlt werden soll. Hierzu wird die sogenannte Niedriglohnschwelle herangezogen, die bei zwei Dritteln des Medianlohns liegt. Diese entspricht laut Statistischem Bundesamt dem nun empfohlenen Mindestlohn.
Wer hingegen 15 Euro ab 2026 erwartet hatte, wird enttäuscht. Der Abstand zu dieser Höhe ist zunächst noch groß, 2027 aber schon in greifbarer Nähe. Ist die Empfehlung der Kommission daher eine verpasste Chance?
Nein. Sie ist ökonomisch sinnvoll, sie ist sogar sozial gerecht, und sie ist eine Entscheidung mit Augenmaß. Zudem ist sie ein Zeichen von Unabhängigkeit, was in der aktuellen Wirtschaftslage wichtiger ist als symbolische Politik.
Die wirtschaftliche Realität im Jahr 2025 ist eine andere als noch vor wenigen Jahren. Die deutsche Wirtschaft kämpft mit einer anhaltenden Wachstumsschwäche, die Arbeitslosigkeit steigt leicht, Insolvenzen nehmen zu. In dieser Lage wäre eine abrupte Anhebung auf 15 Euro ein riskantes Experiment gewesen – mit ungewissem Ausgang für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit.
Ein Mindestlohn von 13,90 Euro bedeutet eine spürbare Erhöhung, ohne die Belastungsgrenze kleiner und mittlerer Unternehmen zu überschreiten. Insbesondere viele Landwirte werden aufatmen: Der Bauernverband hatte zuletzt Ausnahmen für eine Erhöhung auf 15 Euro für die meist ausländischen, nur saisonal beschäftigten Erntehelferinnen und Erntehelfer gefordert. Gerade hier, aber auch in arbeitsintensiven Branchen wie Gastronomie, Landwirtschaft oder Einzelhandel, in denen die Löhne ohnehin niedrig sind, hätte ein zu starker Anstieg zu Personalabbau oder gar Geschäftsaufgaben führen können. Die Kommission hat sich bewusst gegen diesen Weg entschieden – und damit für Stabilität.
Kein echter Zugewinn für viele
Ein oft übersehener Aspekt: Für viele Beschäftigte im Niedriglohnbereich bringt ein höherer Mindestlohn keinen realen Zugewinn, weil ein Plus beim Einkommen auf Sozialleistungen wie Wohngeld oder Bürgergeld angerechnet wird. Wer aufstockt, hat am Ende oft kaum mehr in der Tasche – trotz höherem Bruttolohn. Aber Lohnpolitik allein kann soziale Ungleichheit nicht beheben. Es braucht flankierende Reformen im Transfersystem, damit Arbeit sich wirklich lohnt.
Die Entscheidung der Kommission ist auch ein Statement in eigener Sache. Sie zeigt, dass das Gremium nicht zum Erfüllungsgehilfen politischer Zielmarken geworden ist. Der Koalitionsvertrag ist ein politisches Versprechen – aber kein bindender Auftrag an ein unabhängiges Expertengremium. Dass sich die Kommission davon emanzipiert hat, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von institutioneller Reife.
Gerade weil die Kommission in der Vergangenheit – etwa 2023 – für ihre zögerliche Haltung kritisiert wurde, war die Versuchung groß, nun mit einer kräftigen Erhöhung ein Gegensignal zu setzen. Doch sie hat sich nicht treiben lassen, weder von der Politik noch von medialem Druck. Das verdient Respekt.
Auch das Bundesarbeitsministerium unter Bärbel Bas hatte sich zuletzt vorsichtig positioniert. Zwar wurde das Ziel von 15 Euro nicht infrage gestellt, doch intern war klar: Die wirtschaftliche Lage verlangt ein gestuftes Vorgehen. Die Empfehlung der Kommission entspricht dieser Linie, sie ist ein Kompromiss, der langfristig tragfähig ist und auch ein Kompromiss, der für die Koalitionspartner und die Sozialpartner in der Kommission eine akzeptable Lösung sein dürfte.
Denn ein Mindestlohn, der zu schnell steigt, kann unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben: Er kann Lohnabstände nivellieren, Tarifverhandlungen unterlaufen und regionale Arbeitsmärkte überfordern. In strukturschwachen Regionen, etwa in Teilen Ostdeutschlands, ist die Produktivität oft niedriger. Ein bundesweit einheitlicher Mindestlohn von 15 Euro hätte dort überproportional geschadet.
Maß und Mitte statt Symbolpolitik
Die Debatte um den Mindestlohn ist oft von Symbolik geprägt. 15 Euro – das klingt rund, gerecht, politisch stark. Doch Wirtschaftspolitik braucht mehr als starke Worte. Sie braucht Verantwortung, Differenzierung und Augenmaß. Die Kommission hat genau das geliefert.
Ein Mindestlohn von 13,90 bzw. 14,60 Euro ist kein Rückschritt. Er ist ein Fortschritt – aber ein vorsichtiger. Einer, der die Balance sucht zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft. Einer, der anerkennt, dass Lohnpolitik nicht losgelöst von der Realität betrieben werden kann.
In einer Zeit, in der Vertrauen in Institutionen schwindet, ist das vielleicht die wichtigste Botschaft: Dass es noch Orte gibt, an denen nicht das Lauteste zählt, sondern das Überlegte.