Politik

Erfolg für Woidke, Problem für Scholz | ABC-Z

Nicht immer fühlt sich ein Sieg eindeutig wie ein Sieg an. Der Abstand der SPD zur AfD in Brandenburg war in den ersten Prognosen so knapp, dass der Ministerpräsident Dietmar Woidke die Parteigenossen im Willy-Brandt-Haus am Sonntagnachmittag bat, sich erst mal nur vorsichtig zu freuen. Diese Vorsicht konnten Woidke und Parteichef Lars Klingbeil bei ihrem gemeinsamen Auftritt am Montagmittag ablegen. Aber mehr als ein Durchatmen war es dann doch nicht. Denn in dem „persönlichen Sieg“ für Woidke, wie es Klingbeil nannte, liegen für die SPD und vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz einige unangenehme Botschaften und Erkenntnisse.

„Das war ein Sieg der Entschlossenheit und Geschlossenheit“, sagte Woidke am Montag. Es war schon eine kleine Überraschung, dass er überhaupt ins Willy-Brandt-Haus kam. Denn seine Abgrenzung zur Bundespartei und zu allem, das nach Ampel-Koalition aussieht, ging soweit, dass er lange offen hielt, ob er im Falle eines Sieges nach Berlin kommt. Gemeinsame Auftritte mit Scholz gab es im Wahlkampf nicht; letzterer trat stattdessen mit den örtlichen Landtagskandidaten auf.

Scholz muss anders agieren als Woidke

Am Montag bestand nicht die Gefahr, dass sich Woidke und Scholz über den Weg laufen, weil der Kanzler noch in New York bei den Vereinten Nationen war. Eine Videoschalte musste reichen. Später sagte Woidke dann mit der Entspanntheit eines Wahlsiegers, dass man schon auch Respekt haben sollte vor den Leistungen der Ampel, aber dass sie sich das Leben selbst nicht immer leicht machte.

Das dürfte auch Klingbeil so sehen. Klare Haltung, Kampfgeist, Mut und Geschlossenheit – diese Attribute nehme er mit für den Wahlkampf im Bund, sagte der Parteichef. Vor allem das mit der Geschlossenheit ist ja in der SPD so eine Sache. Das beginnt schon damit, dass weder Woidke noch Klingbeil die Wortwahl von Scholz übernehmen wollten, wonach das Brandenburger Ergebnis für die SPD „sehr toll“ ist. Ohnehin wird durch den Wahlsieg in Brandenburg die Debatte in der SPD, wie die Bundestagswahl in einem Jahr noch zu gewinnen sein könnte, nicht enden. Sie beginnt jetzt erst so richtig. Und eine Frage wird dabei immer drängender: Mit welchem Kandidaten hätte die SPD überhaupt eine Chance?

Scholz wird nicht den Woidke machen können. Aus zwei Gründen: Erstens ist das Parteiengefüge im Bund diverser als in Brandenburg. Die SPD stellt sich auf eine Auseinandersetzung mit Friedrich Merz ein, dem Kanzlerkandidaten der Union. Und nicht, wie Woidke es machte, auf eine Zuspitzung: Scholz oder die AfD. Zweitens hat Scholz im Vergleich zu Woidke miserable Beliebtheitswerte. Laut Infratest Dimap gaben 52 Prozent der SPD-Wähler an, dass sie ohne Woidke die SPD nicht gewählt hätten. Scholz hatte solche Beliebtheitswerte auch mal, einige Zeit vor der Bundestagswahl 2021. Da war er als Bundesfinanzminister der beliebteste Sozialdemokrat, aber die SPD stand schlecht da. Wer Scholz wollte, musste SPD wählen. Jetzt wollen immer weniger Leute Scholz nochmal.

Über einen Kanzlerkandidaten Pistorius will niemand sprechen

Nach jetzigem Stand ist es für die SPD also nicht von Vorteil, den Wahlkampf ganz auf die Personalie des Kanzlers zuzuschneiden. Im Willy-Brandt-Haus hofft man zwar, dass Scholz im Ansehen der Bürger steigen wird, wenn die Alternative Merz lautet – der derzeit ähnlich unbeliebt ist. Aber ausgemacht ist das nicht. Woidkes Erfolg zeigt: Der Kandidat ist enorm wichtig. Das spricht nicht für Scholz, sondern eher für einen der beliebtesten Politiker der Republik: den Sozialdemokraten und Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Woidke findet die Debatte über die Kandidatur von Scholz nach eigener Aussage überzogen. Klar werde Scholz wieder Kandidat. „Wer soll’s denn anderes sein?“, fragte er am Montag im Willy-Brandt-Haus. Klingbeil gab sich ebenfalls Mühe, die Debatte einzudampfen. Alle in der SPD-Führung wollten mit Scholz in den Wahlkampf, da gebe es „kein Wackeln“. Aber es gibt ein Kopfschütteln über Scholz. Warum hat eigentlich Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen zum Autogipfel geladen – und nicht Scholz ins Kanzleramt? Das ist so eine Frage, die sie sich in der SPD stellen.

Vor Woidke liegt nun keine ganz leichte Aufgabe. Er muss nach Lage der Dinge mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht zusammenarbeiten. Die CDU, mit der Woidke auch sprechen will, hat schon abgewunken. Für Klingbeil und seine SPD bleibt schon die bestehende Koalition schwierig genug. Die Auseinandersetzung mit der FDP spitzt sich zu. Er hoffe, dass niemand in der Koalition auf die Idee komme, vor Verantwortung wegzurennen, sagt Klingbeil, auf die FDP angesprochen.

Die FDP schiebt ihr unterirdisches Ergebnis auf die Ampel

Deren Nervosität hatte am Wahlabend von Minute zu Minute zugenommen. Die Zahlen wurden immer schlechter, zuletzt lag die Partei bei unter einem Prozent, und am Ende setzte ihr stellvertretender Vorsitzender Wolfgang Kubicki, der im Rollenspiel der Führung immer den „Bad Cop“ gibt, die These in die Welt, dass an allem Elend nur die Ampel schuld sei. „Ich glaube nicht, dass bei der jetzigen Performance diese Koalition Weihnachten noch erreicht“, sagte er bei Welt TV. Wenn es nicht gelinge, in den nächsten zwei oder drei Wochen einen „vernünftigen gemeinsamen Nenner“ zu finden, mache es für die Liberalen keinen Sinn mehr, an dieser Koalition weiter mitzuwirken.

Am Montag, während Kubickis Prognose die Runde machte, trat sein Parteivorsitzender Christian Lindner vor die Presse. Der erste Ton war da schon gesetzt, jetzt galt es den zweiten und dritten zu finden, so dass eine Melodie daraus werden könnte, mit welcher die Freien Demokraten in die Nachwahlzeit starten könnten. Lindner suchte und fand einen Weg: Er widersprach Kubicki mit klaren, aber auffällig knappen Worten, und fügte dann umso wortreicher Erläuterungen hinzu, in denen Zustimmung mitschwang. Unter der Rubrik Widerspruch sagte er, sein Vize habe keine Dynamik Richtung Koalitionsbruch in Gang gesetzt, zumindest „sehe“ er eine solche Dynamik nicht, und Kubickis Frist (bis Weihnachten) sei eben nur dessen „eigene Frist“.

Unter der Rubrik „vielleicht doch“ wob Lindner dann aber ein Netz von Formulierungen, die ganz anders klangen. Nach dem größten Fehler der FDP gefragt antwortete er ohne Zögern, das, was die Partei „hauptsächlich belaste“, sei, dass sie an einer Regierung mitwirke, „die wenig weltanschauliche Gemeinsamkeiten hat“, und die kaum noch bei den Bürgern ankomme. Deshalb seien jetzt zwei Arten von „Mut“ nötig: Erstens der Mut „in einer kontroversen Koalition“ weiterzuarbeiten, zweitens aber auch die Courage, „eine neue Dynamik zu entfachen“.

Das war noch nicht so viel, wie Kubicki gesagt hatte, aber fast – und auch beim Zeitplan lagen Chef und Vize am Ende kaum noch auseinander. Wo Kubicki „Weihnachten“ als Deadline genannt hatte, sprach Lindner von einem „Herbst der Entscheidungen“, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Herbst mit der Wintersonnenwende ende. Heiligabend ist da nur noch drei Tage entfernt. Lindner nannte drei Felder, auf denen jetzt „Entscheidungen“ kommen müssten: Einen aus Sicht der FDP soliden Haushalt, eine „Wirtschaftswende“ und vor allem einen neuen Ansatz bei der Migrationspolitik. Bei letzterer wies er immer wieder auf eine neue Nähe zur Union hin. „An diesen Fragen wird die Koalition gemessen“, sagte er und fügte hinzu, an diesen Fragen „messen auch wir als FDP die Regierung“. Die Zeit, die Lindner der Koalition noch gibt, kennt also Grenzen.

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