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Erding: Wenn sich der Durchgang zum Geisterreich öffnet – Erding | ABC-Z

Rauhnächte sind jene geheimnisvollen Nächte zwischen dem kürzesten Tag des Jahres, dem Thomastag am 21. Dezember, und dem 6. Januar. Sie stehen im Zeichen des Mondkalenders mit dem Jahresende zur Wintersonnwende und dem im 16. Jahrhundert eingeführten gregorianischen Kalender, in dem das neue Jahr erst am 1. Januar beginnt. In dieser Zwischenzeit, in einem heidnisch-christlichen kalendarischen Niemandsland, so glaubte man, stehe die Tür zum Geisterreich offen und man versuchte mit allerlei Bräuchen und Ritualen, sich vor ihnen zu schützen. Auch im Landkreis Erding gibt es dazu Legenden und Erzählungen. Kreisheimatpflegerin Sandra Angermaier hat sich ebenfalls mit der Thematik befasst und hält in der Adventszeit dazu Vorträge.

Johann Wimmer hat sich in dem Buch „Sagen, Legenden, Anekdoten und Erzählungen“, das 2004 in der Reihe Erdinger Land erschienen ist, mit diesem Aberglauben befasst. Die Geschichten basieren auf privaten Sammlungen von Bürgern aus dem Landkreis sowie Aufsätzen einer Schulklasse aus dem Jahr 1952. Sie thematisieren die „Wilde Jagd“, im bairischen auch „Nachtgload“, also Nachtgeleit genannt, und die Legende, dass Tiere in den Rauhnächten sprechen könnten.

Bei der Nachtgload handelt es sich um eine Gruppe von Dämonen und Geistern Verstorbener, angeführt vom germanischen Gott Wotan, die arme Seelen, die ihrer angesichtig wurden, für immer mit auf ihre Jagd mitrissen. Wenn sie mit Sturm und rasenden Wolken am Himmel auftauchen, muss man sich mit überkreuzten Armen auf den Boden werfen, sonst ist es um einen geschehen, heißt es in einer Legende, die sich zwischen Wartenberg und Langenpreising abgespielt haben soll: „Nachts ist einmal die alte Deutinger Uschi mit der Mitterdirn von Wartenberg auf Aisch unterwegs gewesen. Da ist mit einem Male das Nachtgload über ihnen gewesen. Schnell haben sie sich auf den Boden gelegt, jede hat einen Laib Brot als Ausgeding von der Bäuerin unter dem Arm gehabt. Das Nachtgload is niedergegangen und hat sich von den beiden Brotlaiben sein Anteil weggenommen. Passiert ist den beiden weiter nichts.“

Da hatten die beiden noch mal Glück gehabt, denn meistens gehen solche Erzählungen böse aus. So die Geschichte vom Knecht in einem der Schulaufsätze, der nicht glauben wollte, dass am Heiligen Abend, wenn die Leute in der Christmette sind, die Pferde reden könnten: „Als wieder die Leute in die Mette gingen, legte sich der Knecht unter den Pferdebarren. Auf einmal fingen die Pferde zu reden an: ,Heuer müssen wir noch eine Arbeit tun, und zwar den Knecht zum Friedhof tragen.’ Da erschrak der Knecht so, dass er starb.“

Das Bleigießen an Silvester soll auf den Aberglauben der Raunächte zurückgehen: im kalendarischen Niemandsland sollte ein Blick in die Zukunft möglich werden. (Foto: Toni Heigl)

Dass Neugier lebensgefährlich ist, wird in einer weiteren Legende thematisiert: In der Mettenacht sollen die Dreschflegel von selber auf der Tenne zu dreschen anfangen, heißt es dazu. „Ein Fürwitz von einem jungen Knecht“, erzählt Wimmer in seinem Buch, „wollte es nicht glauben und ging in der Mettennacht um zwölf Uhr Mitternacht auf die Tenne. Anderntags hat man den Knecht erschlagen aufgefunden.“

Kreisheimatpflegerin Sandra Angermaier kennt noch eine weitere lokale Geschichte, die aber glimpflicher endet. Demnach wollte ein Bauer aus dem Landkreis der herannahenden Nachtgload zusehen und steckt den Kopf aus dem Fenster und durch die eisernen Gitter, die sich davor befanden. Dabei erschreckte er sich so sehr, dass sein Kopf anschwoll und er ihn nicht mehr durch das Gitter zurückziehen konnte. Die ganze Nacht verharrte er so in der Eiseskälte, erst am Morgen konnte er sich befreien.

Bei der Abwehr böser Geister sind kreisende Bewegungen unbedingt zu vermeiden

Angermaier hat sich insbesondere mit dem Brauchtum befasst, wie man die bösen Geister abwehren kann. Dabei gibt es eine Konstante: Man musste alles vermeiden, was mit kreisenden Bewegungen einhergeht. So wurde das Spinnrad vor den Rauhnächten weggeräumt, sonst konnte der Spinnfaden zum Lebensfaden werden, der im kommenden Jahr durchschnitten würde. Auch die Plätzchen mussten vorher gebacken werden, das Rühren des Teiges hätte die Dämonen aufgebracht.

Keinesfalls durfte in diesen Tagen Wäsche gewaschen werden. Das Rühren der Wäsche im Waschzuber war tabu, und sie dann auch noch im Freien auf die Wäscheleine zu hängen, ein verhängnisvoller Fehler: Darin konnten sich sonst Dämonen der wilden Jagd verfangen und sich dafür rächen. Ein Hemd, das dort zum Trocknen hing, werde zum Totenhemd im folgenden Jahr.

Silvesterböller haben ihren Ursprung im Aberglauben

Schutz sollte vor allem das Räuchern von Hof und Stall bieten. Weil Weihrauch teuer war, verwendete man eine heimische Alternative, die aber von langer Hand vorbereitet werden musste: Bereits beim Osterfest bewahrte man von den geweihten Palmbuschen einige Palmkätzchen auf. Hinzu kamen an Maria Himmelfahrt Kräuter aus den geweihten Kräuterbuschen. Im Sommer sammelte der Bauer im Wald dann noch Fichtenharz, mit dem alles vermengt wurde. Diese Mischung wurde zu Beginn der Rauhnächte in einer Eisenpfanne erhitzt und damit ging man dreimal durch Haus, Hof und Stall, während man das Vaterunser betete.

Heutige Silvesterbräuche wie das Böllern oder auch Bleigießen hätten ihren Ursprung in diesem alten Aberglauben, sagte Angermaier. Der Lärm sollte die bösen Geister vertreiben und die Formen des Bleis einen Blick in die Zukunft ermöglichen.

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