Erding: Arm in einer reichen Stadt – Erding | ABC-Z
Auch in einer finanziell gut situierten Stadt wie Erding gibt es Menschen in Not, Mitbürger, die an oder sogar unter der Armutsgrenze leben. Auf Initiative von Stadträtin Helga Stieglmeier (Grüne) hat die Große Kreisstadt erstmals eine Armutsexpertise anfertigen lassen, auch um den Bedarf an zusätzlichen Hilfsangeboten zu ermitteln. Diplom-Statistiker Christian Rindsfüßer präsentierte am Dienstag Zahlen und Fakten im Stadtrat. Der Bericht verweist auf ein starkes Stadt-Land-Gefälle und auf ein bekanntes Grundproblem: die hohen Mieten.
Christian Rindsfüßer ist Diplom-Statistiker am Institut für Sozialplanung, Jugend- und Altenhilfe, Gesundheitsforschung und Statistik (SAGS) in Augsburg. Bei einem Schwellenwert unterhalb 60 Prozent des mittleren Einkommens beginne laut EU-Konvention eine „Armutsgefährdung“, erklärte der Statistiker. Für eine Einordnung hatte Rindsfüßer vergleichbare Kommunen herangezogen: die Kreisstädte Ebersberg, Fürstenfeldbruck, Landsberg am Lech und Pfaffenhofen sowie die Gemeinde Germering im Landkreis Fürstenfeldbruck.
Auffällig sei, dass in allen Auswahlgemeinden der Anteil der Wohnungen in Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen deutlich höher ist als auf der Landkreisebene insgesamt. So beträgt der Anteil der Mietwohnungen in der Großen Kreisstadt Erding 60 Prozent, während im ländlichen Steinkirchen der Anteil bei unter 20 Prozent liege. „In der Peripherie finden Sie kaum Mietwohnungen“, sagte Rindsfüßer.
Nun sind aber viele Leistungsempfänger oder sozial schlechter gestellte Haushalte auf ein – bezahlbares – Mietwohnungsangebot angewiesen. Ein Grundproblem seien die Unterschiede im Preisniveau zwischen großstädtischen und ländlichen Gebieten, sagte Rindsfüßer. „Gerade die Miet- und Immobilienkosten, die einen erheblichen Anteil des Einkommens binden, sind im Untersuchungsgebiet sehr hoch.“ Bis auf Pfaffenhofen sind alle Auswahlkommunen in den beiden höchsten Wohngeldklassen eingestuft. Innerhalb des Landkreises Erding müsste laut Rindsfüßer ein „Konsens geschaffen werden“, nach dem Geschoss- und Mietwohnungsbau auch in kleineren Kommunen „ein Thema ist“.
Hauptindikator für Armut ist die Anzahl der Sozialleistungen
Wie der Statistiker weiter ausführte, haben die hohen Zuzüge in den Jahren 2015/2016 und 2022 durch Geflüchtete in allen Auswahlkommunen zu „erhöhten Inanspruchnahmequoten“ von Sozialleistungen geführt – der Hauptindikator für Armut ist die Anzahl der Sozialleistungen. Der Anteil der „nicht-deutschen“ an den Leistungsempfängern liegt in Erding wie in allen betrachteten Gebietskörperschaften bei mindestens 50 Prozent, in Ebersberg (Stadt und Landkreis) und Germering bei mehr als 60 Prozent.
„Ein überdurchschnittlicher Anteil der Betroffenheit vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II“, sagte der Statistiker, entfalle zudem auf die Altersgruppe der über 55-Jährigen bis circa 66-Jährigen. Fast doppelt so hoch wie bei allen Leistungsempfängern bis zum Renteneintrittsalter ist allerdings die Bezugsquote bei Kindern unter 15 Jahren. „Eine deutliche Zuspitzung“ sieht Rindsfüßer bei „den alleinerzogenen Kindern“. Hier liege Erding im Vergleich der Auswahlkommunen „im negativen Sinne“ an zweiter Stelle nach der Großen Kreisstadt Fürstenfeldbruck.
17 Prozent müssen in Erding mit einer Kaufkraft bis 1500 Euro auskommen
Beim Anteil der Haushalte mit einer Kaufkraft von unter 1500 Euro weisen alle untersuchten Kreisstädte höhere Anteile als die Landkreise insgesamt auf. In der Stadt Erding müssen insgesamt 17 Prozent der Bürger und Bürgerinnen, das ist jeder und jede Sechste, mit einer monatlichen Kaufkraft bis 1500 Euro auskommen.
Zum Schluss präsentierte Christian Rindsfüßer „Handlungsempfehlungen“ für Erding. Als Beispiele nannte er unter anderem „die Förderung und Fortführung“ der Tafel Erding und der Nachbarschaftshilfe, kostengünstige Angebote vor allem für Kinder, zum Beispiel in der Freizeitgestaltung, die Förderung von Sprachkursen oder Aufklärungskampagnen zu den Leistungen. Auch beim Sozialen Wohnungsbau sollten die Kommunen „nicht verzagen“.
Helga Stieglmeier wendet sich mit persönlichen Worten ans Gremium
Nun beginne die Arbeit für die Fraktionen im Stadtrat, erklärte Oberbürgermeister Max Gotz (CSU). Sie sollen sich besprechen, „wo für uns Ansatzpunkte sind und wo wir uns Erfolge versprechen“. Er könne sich eine Ausweitung des Angebots im Haus der Begegnung vorstellen.
Helga Stieglmeier wandte sich mit persönlichen Worten ans Gremium. Sie sei selbst in Armut aufgewachsen, erklärte sie. Hinter den nackten Zahlen stünden Menschen. Menschen, bei denen das Geld oft nur zum Nötigsten reiche, die von Ausgrenzung bedroht und von der Teilhabe ausgeschlossen seien. Sie sei froh, dass nun erstmals eine Armutsexpertise vorliege. „Nun müssen wir schauen, dass wir sie in unsere Arbeit einbauen, um die Situation dieser Menschen zumindest zu erleichtern.“