Erbschaftssteuer: „Wir Vermögenden leisten aktuell nicht genug“ | ABC-Z

Persönlich begegnet sind sich Stella Pazzi und Sebastian Schwenke das erste Mal für dieses Gespräch, aber das Du war sofort selbstverständlich. So ist das eben unter jungen Unternehmern. Vieles verbindet die beiden: Beide sind in ihren Dreißigern, sind ehrgeizig und stammen aus Unternehmerfamilien. Schwenke betreibt mit seiner Familie ein Hotel in Brandenburg und arbeitet in Berlin als Unterstützer für Gründer. Pazzi hat vor ein paar Jahren die Softwarefirma ihres Vaters in Saarbrücken übernommen. Doch soviel sie eint, in einem sind sie sehr unterschiedlich: in ihrer Position zur Erbschaftsteuer.
Herr Schwenke, Sie werden aller Voraussicht nach mal von Ihren Eltern mehrere Millionen Euro erben – und fordern von der Politik: Ich will mehr Steuern zahlen! Warum?
Schwenke: Wir Vermögenden leisten aktuell nicht genug. Deutschland braucht gerade viel Geld für Investitionen, etwa für Infrastruktur oder Bildung. Dazu müssen wir alle beitragen und den Gürtel etwas enger schneller. Ich bin überzeugt, dass die Erbschaftsteuer ein wichtiger Hebel sein kann. Etwa die Hälfte der Vermögen in Deutschland wird nicht erarbeitet, sondern geerbt. Das führt zu einer extremen Ungerechtigkeit.
Frau Pazzi, Sie stehen als Unternehmerin einer höheren Erbschaftsteuer skeptisch gegenüber. Geht es in Deutschland echt so ungerecht zu?
Pazzi: Ich sehe das anders. Wir haben hier bereits so viele Steuern, wir sind Rekordhalter . . .
Schwenke: . . . bei der Lohnsteuer, ja. Was die Vermögens- und Erbschaftsteuer betrifft, nicht. Da heißt es immer, der Erblasser habe das Vermögen ja schon versteuert, also wäre es eine Doppelversteuerung. Dabei hat die Person, die das Erbe bekommt, bis dahin noch gar keine Steuern darauf bezahlt.
Pazzi: Ich sitze hier als Unternehmerin. Wir müssen bei Erbschaften klar zwischen Barvermögen und Betriebsvermögen unterscheiden. Es ist wichtig, dass es für Firmenerben weiterhin Ausnahmen gibt, wenn sie das Unternehmen fortführen. Wenn die Nachfolger künftig hohe Steuern zahlen müssten, würde das bedeuten, dass sie vorher dafür Rücklagen bilden müssen und sie dieses Geld nicht mehr ins eigene Unternehmen investieren können. Nur weil eine Firma mehrere Millionen Euro wert ist, heißt das ja nicht, dieses Geld liegt einfach herum. Das steckt in Maschinen, Gebäuden, Patenten, Arbeitsplätzen. Eine höhere Erbschaftsteuer wäre ein riesiges Innovationshemmnis und würde den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden.
Schwenke: Das ließe sich über flexible Stundungsregeln lösen, also dass die Firmenerben die Steuer über einen längeren Zeitraum bezahlen. Ich finde es nicht gut, Betriebsvermögen kategorisch von der Erbschaftsteuer auszuschließen, wie wir es aktuell tun. Was ich an deiner Argumentation nicht verstehe: Es sind doch gerade unsere beiden Familien mit einem mittelgroßen Vermögen, die die höchste Steuerlast tragen und die total unfair behandelt werden gegenüber den wirklich Superreichen. Damit meine ich: Bei Erbschaften von mehr als 20 Millionen liegt der effektive Steuersatz bei wenigen Prozent, bei Vermögen zwischen 500.000 und 2,5 Millionen ist er deutlich höher. Die Oetkers, Henkels und Würths zahlen also viel weniger. Das macht mich an der Diskussion um die Erbschaftsteuer so fuchsteufelswild. Warum dich nicht?
Pazzi: Diese Neiddebatte finde ich nicht zielführend. Das ist doch eine Leistung, die man anerkennen muss . . .
Schwenke: . . . eine Leistung der Vorgängergeneration, ja. Für die Erben ist es aber ein leistungsloses Einkommen.
Pazzi: Was heißt denn hier leistungsloses Einkommen? Da steht ja schon viel Arbeit dahinter, ein Unternehmen zu erhalten und Verantwortung zu übernehmen. Wer hat denn da heute noch Lust drauf? Die meisten Leute suchen einfach nur einen sicheren Job, etwa im öffentlichen Dienst. Viele Betriebe finden keine Nachfolger. Ich übernehme hier viel Verantwortung, und ich finde es unfair, wenn es heißt, dass ich mich ins gemachte Nest lege und mir alles missgönnt wird. Das ist es, was mich fuchsteufelswild macht.
Auslöser der aktuellen Debatte um die Erbschaftsteuer ist die Frage, wie man den Sozialstaat finanziert. Kritiker sagen, dass eine höhere Steuer das Loch nicht stopfen kann. Befürworter argumentieren, die Steuer könnte zumindest dazu beitragen.
Pazzi: Ich stimme zu, dass wir vor riesigen Herausforderungen stehen, etwa was die Rente angeht, aber auch bei der Bildung. Bei der Chancengerechtigkeit geht es ja nicht nur um Geld, sondern auch um die Skills, die man als Kind bekommt.
Schwenke: Dafür braucht der Staat Geld!
Pazzi: Aber der hat das Geld ja! Er hat Rekordsteuereinnahmen! Er hat die neuen Schulden, das Sondervermögen! Und trotzdem reicht es nicht, weil wir einen ineffizienten Staat haben, der es nie schaffen wird, mit seinem Geld auszukommen oder gar „genug“ zu haben. Neue Mittel wecken immer neue Bedürfnisse. Wir müssen doch dabei ansetzen, dass wir mit dem vielen Geld jetzt was Gescheites machen. Und die Erbschaftsteuer hat ja nicht mal eine Zweckbindung. Das Geld wäre einfach weg.
Schwenke: Das sehe ich anders. Wir haben uns 16 Jahre lang kaputtgespart, diesen Investitionsstau müssen wir auflösen und dafür braucht es eben viel Geld. Für Bildung sind immer noch zu wenig Ausgaben eingeplant, man muss sich nur die Sparmaßnahmen an den Unis hier in Berlin anschauen. Wir müssen noch mehr in Schulen investieren, in die Digitalisierung. Es geht zu wenig Geld an die Kommunen. Außerdem: Jeder Cent mehr, der bei den Bürgern ankommt, kurbelt den Konsum an, das würde auch unserer Wirtschaft sehr helfen.
Was sagt Ihre Familie dazu, dass Sie dem Staat das hart erarbeitete Vermögen schenken wollen?
Schwenke: Wir haben da schon Meinungsverschiedenheiten. Ich kann meinen Vater gut verstehen, wenn er sagt: „Ich habe das doch auch für dich und deinen Bruder aufgebaut!“ Meine Großeltern sind aus Ostpreußen geflohen, mein Vater ist in den ersten Jahren seiner Kindheit auf dem Dachboden einer Scheune aufgewachsen. Er hat Jura studiert, eine Kanzlei gegründet, die das finanzielle Fundament für alles andere war, das meine Familie aufgebaut hat. Wir haben viele Gespräche über das Erbschaftsthema geführt, mittlerweile ist die Position meiner Familie in meine Richtung gerückt. Ich finde einfach, dass wir von diesem Individualismus wegkommen müssen und von der Vorstellung, dass wir das Geld privat besser für das Gemeinwohl einsetzen können.
Pazzi: Uns beide eint, dass wir wollen, dass es für alle hier im Land besser wird. Wir haben auch eine ähnliche Familiengeschichte. Mein Vater hat das Unternehmen aufgebaut, auch mit der Motivation, dass es mir besser geht und um mir etwas zu hinterlassen. Er kam selbst aus armen Verhältnissen, mein Großvater ist damals völlig mittellos als italienischer Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Aber ich glaube, da hast du ein ganz anderes Vertrauen in politische Entscheidungen als ich. Man muss sich ja nur das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler anschauen, das aufdeckt, wie viel Geld in Projekten steckt, die schieflaufen. Das sind unfassbare Summen, die da verschwendet werden. Ich versuche lieber, das Geld innerhalb meines eigenen Wirkungskreises zu verwenden. Das ist auch eine Motivation für mich – und da ärgert es mich, dass man mir das wegnehmen will, weil einige Politiker im linken Spektrum meinen, alles besser zu wissen als die Bürger.
In der Diskussion geht es viel um gleiche Startchancen, also dass es auch Kinder ohne Erbe zum Aufstieg schaffen können. Sie beide profitieren vom Wohlstand, den Ihre Eltern aufgebaut haben. Welche Privilegien hatten Sie?
Schwenke: Mein Bruder und ich sind in einem großen Haus mit Garten aufgewachsen, wir konnten draußen mit unseren Freunden spielen und an einer Privatschule Abi machen, wo das Bildungsniveau sehr hoch war. Das hat mir viel auf den Weg mitgegeben, was andere Menschen nicht bekommen. Wir konnten uns natürlich nicht alles leisten, aber Geld war nie ein großes Thema. Deswegen möchte ich was abgeben, damit auch andere Kinder diese Möglichkeiten haben.
Pazzi: Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum wir so unterschiedliche Perspektiven haben. Bei uns zu Hause gab es durchaus Existenzängste, und wir waren finanziell nie so gut aufgestellt, dass Krisen spurlos an uns vorbeigegangen sind. Das habe ich alles immer mit meinen Eltern am gemeinsamen Tisch beim Abendessen mitbekommen. Meine Eltern haben mir schon viel ermöglicht, ich war beispielsweise an einer privaten Grundschule. Das Erbe meines Großvaters konnte ich dafür verwenden, um in Kanada zu studieren. Ich bin also mit Privilegien aufgewachsen, aber durchgängige finanzielle Sicherheit war kein Teil davon.
Frau Pazzi, Sie sind keine klassische Erbin, weil Sie die Anteile Ihrem Vater abgekauft haben. Ist Ihr Fall nicht das beste Beispiel, dass Nachfolge auch ohne Erbe funktionieren kann?
Pazzi: Das stimmt, ich bin da ein Sonderfall. Dazu muss man wissen: Mein Vater hat das Unternehmen zwar aufgebaut, hatte aber nicht plötzlich Millionen Euro auf dem Konto. Er muss nun auch irgendwie seine Altersvorsorge gestalten. Ich habe deshalb im Jahr 2018 ein Bankdarlehen aufgenommen und mit einem Teil des Geldes meinen Vater ausgezahlt – dem ich wünsche, dass er lange lebt und alles davon aufbraucht – und den Rest in das Unternehmen investiert. Ich würde aber niemandem raten, es mir gleichzutun. Die Krisen wie etwa Corona haben mich sehr belastet. Wenn ich versage, ist alles weg, das ist ein riesiger Druck.
Ein populäres Beispiel als Argument für die Reform der Erbschaftsteuer geht so: Wird Omas Häuschen an den Enkel vererbt und verkauft, fallen dafür Steuern an, sofern der Freibetrag überschritten wird. Wer mehr als 300 Immobilien erbt, gilt als Unternehmer und zahlt keine Steuern.
Pazzi: Dieser Fall ist doch nicht der typische Unternehmer, das geht an der Realität vorbei! Aber ja, es ist auf jeden Fall ein Problem, dass die Freibeträge seit vielen Jahren nicht angepasst wurden, obwohl die Immobilienpreise gestiegen sind.
Schwenke: Da stimme ich dir zu, die Freibeträge müssen angehoben werden. Die Kinder und Enkel sollten das vererbte Eigenheim behalten können, das darf man ihnen nicht wegnehmen. Aber: Das Geld, das durch diese Anpassung fehlt, muss man anderswo wieder reinkriegen, und deshalb muss man bei Superreichen und dem Betriebsvermögen ansetzen.
Der Staat hat ein Konto, um freiwillig Geld zuzuschießen, ein „Schuldentilgungskonto“. Wäre das eine Option für Sie, Herr Schwenke?
Schwenke: Ja, wäre es. Ich glaube nur, dass es eine kollektive Anstrengung braucht und es nicht wirklich hilft, wenn wir jetzt einzeln unser Geld verschenken.
Pazzi: Und was, wenn in eurem Hotel eine hohe Erbschaftsteuer fällig würde?
Schwenke: Das hängt davon ab, ob wir es schaffen würden, sie aus eigenen Mitteln zu stemmen. Ansonsten plädiere ich ja dafür, die Stundungsregeln so zu gestalten, dass die Steuern nicht direkt gezahlt werden müssten. Man könnte auch über andere Optionen nachdenken. Wie wäre es, wenn sich der Staat als stiller Gesellschafter bei den Unternehmen beteiligt und die Familie kann die Anteile später zu festgelegten Konditionen zurückkaufen? Oder man wählt einen ganz anderen Weg und beteiligt auch die Mitarbeiter am Unternehmen? Immerhin tragen die zu dessen Erfolg bei. Das entspricht auch dem Leistungsprinzip: Wer Wert stiftet und sich abrackert, soll davon profitieren.
Pazzi: Tragen die Mitarbeiter auch die Verantwortung, wenn etwas schiefläuft? Ich finde die Idee naiv, zu sagen, alle sollen sich am Erfolg beteiligen, aber das Risiko bleibt bei einer Person. Ganz ehrlich: Ich frage mich in der aktuellen Situation schon, ob mein unternehmerisches Engagement hier in Deutschland noch erwünscht ist.
Pazzi: Ich bin in einer hart umkämpften Branche, also wenn die Lage hier nicht mehr tragbar wäre, ja. Es geht auch um die allgemeinen Rahmenbedingungen, aber die Erbschaftsteuer spielt bei so einer Entscheidung schon mit rein.
Schwenke: Auf der einen Seite heißt es immer, die Unternehmen verlagern bei einer höheren Steuer ihren Standort. Auf der anderen Seite steht das Argument, man könne das Vermögen nicht eintreiben, weil es illiquide, also nicht beweglich ist. Was denn nun?
Pazzi: Ganz einfach: Die Unternehmen würden verkauft werden und zum Beispiel an Private Equity, also internationale Beteiligungsgesellschaften gehen. Dabei ist es eigentlich die Stärke des deutschen Mittelstands, dass über Generationen hinweg gedacht wird und man nicht sagt: Nach mir die Sintflut!
Schwenke: Ich glaube nicht, dass es die Wirtschaft ankurbelt, wenn man den Erstbesten, der zufällig in das Unternehmen reingeboren ist, als Nachfolger einsetzt. Studien aus mehreren europäischen Ländern und den USA belegen: Erben sind im Schnitt schlechtere Manager.
Pazzi: Das ist doch eine total individuelle Entscheidung! Und im Übrigen: Die Verschonungsregeln bei der Erbschaftsteuer greifen ja nur, wenn das Unternehmen fortgeführt wird. Wollen die Erben Geld aus dem Unternehmen rausziehen und sich ihre Anteile ausschütten lassen, müssen sie es versteuern.
Schwenke: Aber man zahlt nur Steuern auf den Wertzuwachs der Anteile zwischen dem Erhalt und dem Verkauf – und nicht auf die gesamte Erbschaft. Außerdem gibt es viel zu viele Schlupflöcher.
Pazzi: Wir sind uns einig, wenn es um Steuerhinterziehung geht. Ich bin natürlich auch nicht dafür, dass jemand Steuern hinterzieht.
Frau Pazzi, Herr Schwenke, würden Sie Ihren Kindern ein Erbe vermachen?
Pazzi: Ich habe keine Kinder und weiß noch nicht, ob ich welche bekomme. Aber sollte es so sein, würde ich wollen, dass sie behütet aufwachsen, und ich würde sie von Nöten fernhalten. Ich würde ihnen aber beibringen, dass Privilegien immer mit Verantwortung einhergehen.
Schwenke: Ich habe auch noch keine Kinder. Aber ich würde ihnen genug Freiraum geben und sie unterstützen, auf eigenen Beinen zu stehen. Gleichzeitig sollten sie sich selbst was erarbeiten müssen. Wenn sie nicht 100 Prozent des Vermögens, sondern beispielsweise nur 60 Prozent erhalten, soll das reichen.





















