Stil

Er wollte nicht Mr. Boring sein | ABC-Z

Es gibt in Castingshows Momente, da schauen die Juroren, als hätten sie einen seltenen Rohdiamanten entdeckt, den man hervorragend in Form schleifen könnte. Als Liam Payne 2010 die X-Factor-Bühne betritt, mit Justin-Bieber-Surfer-Frisur, 16 Jahre alt, zeigt eine Jurorin auf ihn, und der Ausdruck auf dem Gesicht von Casting-Urgestein Simon Cowell verändert sich. Das Publikum kreischt schon, weil Liams Frisur und Lächeln genau das sind, was junge weibliche Fans im Jahr 2010 sehen wollen. Und Cowell kennt Liam, der schon mal bei einer Castingshow weit gekommen war, da war er 14 Jahre alt gewesen. „Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist.“ Dann singt Liam, und alle im Raum stehen, auch die Jury. „Das war außergewöhnlich.“

Schließlich wurde der vielversprechende Liam Payne zusammen mit vier anderen Teenagern in die Band One Direction gesteckt, die es in der Show X-Factor gerade mal auf Platz drei schaffte. Das hätte das Ende sein können, ein bisschen Fame in einer Castingshow hat schließlich nichts zu sagen. Doch One Direction sollte eine der erfolgreichsten Boybands in der Geschichte werden, das öffentliche Casting hatte ihr nicht geschadet, im Gegenteil: So konnten die Fans den Weg nach oben, ebenso wie die Rückschläge, verfolgen – das war umso faszinierender.

Die fünf jungen Männer hatten viel Potential, viel Starappeal und so viel Persönlichkeit, dass gleich klar war, wie schwierig dieses Gruppenprojekt werden würde. Bei einem Auftritt in der Show, die Jungs singen Coldplay, sitzen viele Töne nicht, die Sänger grinsen einander verstohlen an, verpassen Einsätze. Sie sind Teenager, die zwar geübt haben, aber eben nicht perfekt sind.

Die ersten vier Alben stiegen alle auf Platz eins ein

Im Video zu ihrer ersten Single „What Makes You Beautiful“ aus dem Jahr 2011 rennen die fünf Boys am Strand entlang, singen mit treuherzigen Blicken, die bei Teenagern noch dackelig echt sind, in die Kamera, am Ende kommen natürlich noch Girls dazu. Es ist harmlos, authentisch, herrlich jugendlich. 1,5 Milliarden Mal wurde das Video auf Youtube gestreamt. Die ersten vier Alben von One Direction stiegen alle auf Platz eins der US-Billboard-Charts ein. Die fünf Sänger waren gemachte Stars.

Liam Payne war, obwohl erst 16 Jahre alt, der Vernünftige. Er wirkte in Interviews und auf der Bühne ausgleichend, fast schon beängstigend reif für sein Alter. Dafür etablierte er sich bald als Songwriter, schrieb auf den One-Direction-Alben an vielen Songs mit, produzierte sogar. Doch er wollte nicht „Mr. Boring“ sein, wie er dem Guardian sagte. Er wollte auch Spaß haben.

One Direction im Jahr 2015 ohne Zayn Malik: Liam Payne, Niall Horan, Louis Tomlinson und Harry Styles (v.l.n.r.)
One Direction im Jahr 2015 ohne Zayn Malik: Liam Payne, Niall Horan, Louis Tomlinson und Harry Styles (v.l.n.r.)AP

Je berühmter und erfolgreicher One Direction wurde, desto aufreibender wurde das Touren für Payne. Die absoluten Adreanlinhöhen, gefolgt von tiefster Langeweile, ähnelten einer Drogensucht, erklärte Payne dem „Guardian“. Payne wandte sich dem Alkohol zu. Eine Weile nahm er ein Epilepsiemedikament, „um stabil zu bleiben“, dabei habe es Momente gegeben, auch auf der Bühne, „in denen ich meinen Namen nicht hätte nennen können“.

Liam Payne kämpfte mit dem Alkohol

Wie es mit Boybands so ist, hatte einer der Boys irgendwann keine Lust mehr: Zayn Malik nutzte das Momentum, das er hatte, machte solo weiter, datete sogar die richtige Hadid-Schwester. Und nach einem kurzen Anlauf zu viert ging auch der Rest von One Direction 2016 in eine „unbestimmte Pause“.

Harry Styles wurde solo zu einem der größten männlichen Popstars, die es gerade gibt. Und Liam Payne? Er kämpfte, wie er später zugab, noch mit dem Alkohol. Später war er ein Jahr lang nüchtern, bekam mit Cheryl Cole, einer Jurorin von X-Factor, einen Sohn. Seine Single „Strip That Down“ von 2017 war ein Hit, das 2019 erschienene Album „LP1“ war zwar einigermaßen erfolgreich, erhielt aber schlechte Kritiken. Immer wieder sprach Payne offen über seine psychischen Probleme und seinen Kampf gegen den Alkohol. 2023 sagte er in einem Video, er habe sich entschieden, nüchtern zu sein. Er habe 100 Tage im Entzug in Louisiana verbracht.

Vor seinem Tod besuchte Liam Payne Anfang Oktober ein Konzert seines früheren Bandkollegen und Freundes Niall Horan in Argentinien. Er postete Bilder seiner Reise, die er gemeinsam mit seiner Freundin Kate Cassidy antrat, in den sozialen Medien. Noch am Morgen seines Todestages veröffentlichte er auf Snapchat Videos vom gemeinsamen späten Frühstück. Wie die „Daily Mail“ berichtet, soll Payne an dem Tag mit „erratischem Verhalten“ in der Hotellobby aufgefallen sein und unter anderem seinen Laptop zerstört haben, „bevor er in sein Zimmer getragen werden musste“.

Später fiel Payne aus dem dritten Stock seines Hotels und erlag seinen schweren Verletzungen. Er wurde 31 Jahre alt.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"