Englische Nationalmannschaft: Das Königreich des Thomas Tuchel | ABC-Z
Die Mission von Thomas Tuchel beginnt: Seit dem Neujahrstag ist er der erste deutsche Nationaltrainer Englands – die Zweifler meldeten sich lautstark zu Wort. Das Ziel: der WM-Titel 2026. Seine Wirkungsstätte: ein 135 Hektar großes Gelände.
Seinen Platz in der Geschichte des englischen Fußballs bekommt Thomas Tuchel (51) bereits in der ersten Januar-Woche – im wahrsten Sinne des Wortes. Dann wird ein Porträt von ihm auf einem der Flure der FA-Verbandszentrale St. George’s Park aufgehängt. Dort sind in einer Bildergalerie die 16 bisherigen Trainer der englischen Nationalmannschaft zu sehen. Ex-Bayern-Coach Tuchel wird der 17. sein. Und vor allem ist er der erste Deutsche, der das Mutterland des Fußballs trainiert.
Offiziell beginnt Tuchels Vertrag am 1. Januar und läuft bis Sommer 2026. Das Ziel: der WM-Titel 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Und damit der erste Pokal seit der Heim-WM 1966 vor dann 60 Jahren.
Dafür hat Tuchel mit dem St. George’s Park ein 135 Hektar großes Königreich. Auf der Anlage in Burton upon Trent nördlich von Birmingham soll er Harry Kane, Jude Bellingham und Co. titelreif machen.
Ein Laufhügel, auf den Felix Magath stolz wäre
14 Fußball-Plätze, benannt unter anderem nach Gary Lineker, Gordon Banks († 81) oder David Beckham, stehen zur Verfügung. Auf dem „Sir Bobby Charlton Pitch“ wächst genau die gleiche Rasenmischung wie im Wembley-Stadion. Dazu kommt ein Laufhügel, auf den Felix Magath stolz wäre, sowie ein „Outdoor Leadership Center“ zum Teambuilding mit Seilgarten und Bogenschieß-Anlage.
Weitere Annehmlichkeiten der 127 Mio. Euro teuren Anlage: eine Futsal-Halle, vier Pools zwischen zehn und 36 Grad, ein Unterwasser-Laufband, eine Kältekammer für bis zu minus 160 Grad und eine Höhenkammer, die die Luft auf 5000 Metern simulieren kann. Ein Hilton Hotel mit 228 Zimmern liegt mit auf der Anlage. Auf der Karte des Restaurants stehen neben Fish and Chips (umgerechnet 25 Euro) auch vegane Burger (17) und Kürbisrisotto (20). Das wird Tuchel, der nach eigener Aussage versucht, vegetarisch zu essen, gefallen.
Dass der Job hart wird, weiß der Coach längst. „Wir brauchen keinen Thomas Tuchel, sondern einen Patrioten“, wütete die „Daily Mail“ bei seiner Verpflichtung und sprach von einem „schwarzen Tag für England“. Tuchel konterte: „Wir wollen Weltmeister werden. Wenn das gelingt, ist es egal, welche Nationalität in meinem Pass steht.“
Zweifel, ob Tuchel „Außenminister des Verbands“ sein kann
Zur Vorbereitung reiste Tuchel wie vor zwei Jahren vor dem Bayern-Job nach Indien, brachte mit der indischen Heilkunst „Ayurveda“ Körper und Geist in Top-Form. Mit Schlüsselspielern wie Kane schrieb er erste Text-Nachrichten, mit Interimscoach Lee Carsley waren Übergangstreffen geplant. Dazu suchte er sich mit Co-Trainer Anthony Barry (war auch bei Bayern) und Torwart-Trainer Hilário (von Chelsea) schon Helfer aus.
Tuchel wird in London leben und hat mit dem Verbands-Büro im Wembley-Stadion einen Arbeitsplatz in der Stadt. Zur FA-Anlage nach Burton sind es aus der Stadt mit dem Auto rund zweieinhalb Stunden. Vorgänger Southgate war nahezu täglich da und durch seine Ansprache auf Augenhöhe extrem beliebt bei den Verbandsmitarbeitern. Auf den Fluren hängt noch immer ein Spruch von ihm: „Du kannst nie sagen ‚Du hast es geschafft‘, denn das wäre der Tag, an dem du aufhörst, besser zu werden.“
Oft nahm Southgate auch zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung. In England gibt es Zweifel, ob Tuchel diese Rolle als eine Art Außenminister des Verbands einnehmen kann – obwohl das gute Englisch des Ex-Chelsea-Trainers geschätzt wird. Die Verantwortung ist groß: Prinz William ist als Präsident der oberste Repräsentant der FA.
Aktuell sucht der Verband einen weiteren Co-Trainer, weil er sich verpflichtet hat, für jedes Nationalteam mindestens einen Coach zu beschäftigen, der BME ist, also „Black or minority ethnic“ (schwarz oder einer ethnischen Minderheit angehörend). Aus Verbandskreisen heißt es, im neuen Jahr soll das Trainerteam endgültig stehen.
Bei allen Nebengeräuschen: Entscheidend wird für Tuchel die Arbeit auf dem Platz. Und die beginnt Ende März, wenn es in der WM-Quali in Wembley gegen Albanien und Lettland geht.
Lukas Dombrowski, Christian Falk, Torsten Rumpf