Englands Sarina Wiegman bei der Fußball-EM: Die Frau, die immer im Finale steht – Sport | ABC-Z

Ja, doch, tatsächlich, auch Sarina Wiegman hat Momente, in denen sie aus der Ruhe zu bringen ist. Nach dem Viertelfinale gegen Schweden war sie sichtbar aufgewühlt, ihre englischen Nationalspielerinnen hatten sich in ein wildes Elfmeterschießen gerettet und schließlich gewonnen. „Mein Herz beruhigt sich so langsam wieder, ich glaube, ich habe heute mein höchstes Level erreicht“, sagte die Trainerin. „Was für ein emotionales Spiel das war! Unglaublich!“ Mehrmals hatte ausgerechnet Wiegman, die sonst so eine Zuversicht ausstrahlt, nicht mehr daran geglaubt, dass das noch etwas werden würde. Aber es kam, wie es wohl kommen musste.
Ihr Name steht seit diesem Jahr für einen Rekord, den im Fußball wohl so schnell kein anderer Mensch egalisieren wird. Zum fünften Mal nacheinander hat sie das Finale eines großen Turniers erreicht, Olympia ausgenommen. Mit den Niederlanden gewann sie bei ihrer Premiere als Nationaltrainerin sofort die EM 2017 in ihrem Heimatland und war bei der WM 2019 erst von den USA zu stoppen. Für die EM 2022 hatte Englands Football Association (FA) sie verpflichtet: Auch hier wiederholte Wiegman das Kunststück, den Titel als Gastgeber zu holen: Sie brachte England den ersten Fußballtitel seit dem WM-Erfolg der Männer 1966. Danach waren sie auf der Insel derart begeistert von Wiegman, dass sie nach den Löwinnen doch bitte auch den Löwen das Siegen beibringen sollte. Doch die 55-Jährige blieb lieber bei den Frauen und erreichte bei der WM 2023 das nächste Endspiel. Den Titel schnappten ihr die Spanierinnen weg – beim Wiedersehen in der Schweiz steht diesen Sonntag (18 Uhr, ARD) die Revanche aus.
:„Das ist meine Schuld“
112 Minuten verteidigt Deutschland gegen Spanien, dann unterläuft ausgerechnet Ann-Katrin Berger der entscheidende Fehler. Über ein Aus mit tragischer Note, das für den Beginn einer Entwicklung stehen soll.
Dabei hatte dieses Turnier schlecht begonnen. Gegen Frankreich blieben die Engländerinnen deutlich unter ihren Möglichkeiten. Es wirkte fast so, als gingen Wiegman die Ideen aus, wie sich ihr Team befreien könnte. Die frühere Nationalspielerin, gelernte Sportlehrerin und zweifache Mutter fand dann untypischerweise tatsächlich keine Lösung und verlor erstmals nach zwölf Siegen eine Partie bei einer Europameisterschaft.
Aber aus dem schlechten Passspiel, aus den Lücken in der Abwehr und den harmlosen Angriffen zog Wiegman ihre Schlüsse, wenngleich sie dazu manchmal eine Weile brauchte und dabei von der Breite ihres so starken Kaders profitierte. Es lag auch an Wiegmans Wechseln, dass im Viertelfinale gegen Schweden aus einem 0:2-Rückstand noch einen Sieg im Elfmeterschießen wurde, und dass gegen Italien im Halbfinale ein Last-Minute-Erfolg gelang. Beth Mead, Michelle Agyemang sowie Chloe Kelly waren von der Bank gekommen und alle beteiligt an entscheidenden Szenen und Toren. Wiegman wusste, wen es in diesen Situationen brauchte. Und die Spielerinnen lieferten verlässlich.
Vielleicht kann kein Team so sehr wie das englische in der Schlussphase eines Spiels den Druck erhöhen
Dass das in dieser Form möglich war, liegt aber nicht nur an der individuellen Klasse, die Englands Spielerinnen mitbringen. Es liegt auch an der Entwicklung, die Trainerin und Team gemeinsam durchlaufen haben, seit die Zusammenarbeit im September 2021 begann. Geholt hatte sie die FA, weil Wiegman als pragmatisch und perfektionistisch gilt, als souveräne Führungskraft und kluge Taktikerin. Geprägt von der niederländischen Cruyff-Schule setzte sie zu Beginn ihrer Laufbahn als Nationaltrainerin auf das typische 4-3-3-System und hielt oft an ihrer Stammelf fest. In England agierte sie flexibler, was die Besetzung und die Herangehensweise angeht. Wobei sich bei dieser EM gar nicht so klar destillieren lässt, wie denn nun genau der Wiegman-Weg durch die Schweizer Alpen festgelegt ist.
Das brachte ihr Kritik ein, passte aber wiederum zum zweiten Element der Entwicklung. Denn bisweilen war etwas anderes wichtiger als die Taktik. Aus einer Auswahl, die früher mehr für ein Nebeneinander von Individualistinnen stand, hat Wiegman mit ihrer ruhigen und klaren Art tatsächlich ein Team geformt, das füreinander einsteht. Wie genau sie das geschafft hat, konnten sich in den Anfangsjahren die Spielerinnen selbst nicht erklären, aber sie spürten es. Daraus gewachsen ist ein so starker Zusammenhalt, der das Team stützt, wenn in einer Partie eigentlich alles nach einer Niederlage aussieht. Neue Beispiele dafür hat auch diese EM geliefert, denn fußballerisch war das bisweilen mehr Rumpeln als Funkeln. „Solange auf der Uhr noch Sekunden laufen, gibt es für uns noch Sekunden zu warten“, sagte Kapitänin Leah Williamson. „Da geht es weniger um das Ob als vielmehr um das Wie. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich weiß nicht, wie wir es schaffen.“
Das enorme Selbstbewusstsein gepaart mit einer großen Physis ergibt eine Kombination, die sich mit wenigen Ausnahmen verlässlich durchgesetzt hat. Vielleicht kann kein Team so sehr wie das englische in der Schlussphase eines Spiels den Druck erhöhen. Wie etwa Lucy Bronze sich gegen Schweden trotz körperlicher Beschwerden noch hineinwarf, als ginge es um ihr Leben, kann als Paradebeispiel für die Mentalität dieser Mannschaft gelten, die bei der EM 2022, der WM 2023 und der EM 2025 schwierige Momente überstanden hat. Und so könnte Wiegman nun nach den deutschen Trainern Gero Bisanz (1989, 1991, 1995) und Tina Theune (1997, 2001, 2005) als Dritte drei EM-Titel in Serie gewinnen.
Dass das tatsächlich geklappt hat, kommentierte sie mit den Worten: „Ich bin die Glückliche. Ich kann es selbst nicht glauben.“ Glücklich schätzen dürften sich aber vor allem ihre Spielerinnen, mit Sarina Wiegman die Trainerin zu haben, die offensichtlich nicht anders kann, als Finals zu erreichen.