Emily Vogel: Das Gesicht des Scheiterns jubelt plötzlich | ABC-Z

Tränen der Freude flossen schon Minuten vor dem Ende. Viola Leuchter, die riesige Linkshänderin, hatte 120 Sekunden vor der Schlusssirene mit einem Durchbruch das 27:23 im WM-Halbfinale von Rotterdam erzwungen, da wurde Emily Vogel mit einem Seitenblick auf ihre Kapitänin Antje Döll der historische Moment gewahr. “Bei Antje liefen die Tränen”, sagte Vogel nach dem Abpfiff. “Da wusste ich, es konnte nichts mehr schiefgehen.”
Die Deutschen entthronten mit einem sensationellen 29:23-Sieg den Weltmeister Frankreich. Da war sie schon, die erste Medaille für die deutschen Handballerinnen seit WM-Bronze 2007. Am Sonntag (17.30 Uhr, ARD) haben sie gegen den Topfavoriten Norwegen die historische Chance, nach 1993 den zweiten WM-Titel für die Auswahl des Deutschen Handballbundes zu gewinnen.
“Einfach geil”, sagte Vogel und setzte ein breites Lächeln auf, als würde sie für Zahnpasta werben. Die Mischung aus Wut, Leidenschaft, aber auch Erleichterung macht diese deutsche Mannschaft stark.
Vogels Freude wirkte auf Fans, die sie lange verfolgen, irgendwie unwirklich. Die 27-Jährige, die mit 18 in der Nationalmannschaft debütiert hatte und während der letzten Heim-WM 2017 als “Wunderkind des deutschen Frauenhandballs” (FAZ) gefeiert worden war, versinnbildlichte in den vergangenen Jahren das kollektive Versagen. Zehn Mal war sie zu einem großen Turnier gereist. Zehn Mal hatte es, trotz Hoffnungen, nie für etwas Zählbares gereicht.
“Emmy ist dieser Medaille so lange hinterhergehechelt”
Dramatische Pleiten in der Nationalmannschaft begleiteten Vogels Weg, etwa die verpasste Olympiaqualifikation 2019 oder der Untergang im WM-Viertelfinale 2023 gegen Schweden, als dem Team in den ersten vierzehn Minuten kein einziger Treffer gelang. Aus Vogel, dem großen Versprechen, wurde das Gesicht des Scheiterns.
Dabei verläuft Vogels Klubkarriere äußerst erfolgreich. Ausgebildet in Buxtehude, gewann sie mit dem Thüringer HC den deutschen Pokal und wechselte 2020 in die starke ungarische Liga zu Ferencváros Budapest, in das Dorado des Frauenhandballs. Auch dort gewann sie Meisterschaft und Pokal, stand 2023 im Finale der Champions League. Als Profi verdient sie in Budapest sehr gut, während Nationalspielerinnen wie Jenny Behrend in Deutschland einem Minijob nachgehen müssen, um ihr Leben zu finanzieren.
Dass man an Vogel den deutschen Misserfolg festmachte, hat auch mit
ihrer Familie zu tun. Ihre bis heute sehr meinungsstarke Mutter Andrea
Bölk gehörte zum Team, das 1993 in Oslo den letzten großen Titel holte.
Die Tochter wollte es ihr nachtun. Das baute Druck auf und hemmte Vogel
offensichtlich, wenn sie für die Nationalauswahl auflief. Sie wirkte
hektisch und enttäuschte bei vielen Turnieren. “Jetzt geht ein Traum in
Erfüllung”, sagte die Mutter dem Sportinformationsdienst. “Emmy ist
dieser Medaille so lange hinterhergehechelt.”





















