EM-Märchen: Wie Ronaldo den Grundstein für das georgische Wunder legte | ABC-Z
Der Sieg der Georgier über Portugal war nicht nur die größte Sensation der EM – er war auch der vorläufige Höhepunkt der rasanten fußballerischen Entwicklung in dem Land im Südkaukasus. An deren Anfang stand auf fast schicksalshafte Weise Portugals Superstar Cristiano Ronaldo.
Als Cristiano Ronald 2013 in die georgische Hauptstadt Tiflis kam, war Georgien noch ein anderes Land. Die 3,5 Millionen Einwohner waren gerade dabei, sich von dem Krieg mit Russland erholen. 2008 war der übermächtige Nachbar nach jahrelangen Grenzkonflikten um die Gebiete Südossetien und Abchasien einmarschiert. 130.000 Menschen mussten fliehen, die georgische Fußball-Nationalmannschaft musste ihre Spiele zeitweise im Exil, unter anderem in Deutschland, austragen.
Der Besuch von Ronaldo, der damals gekommen war, um die Fußball-Akademie von Dinamo Tiflis einzuweihen, ist elf Jungen besonders in Erinnerung geblieben: Sie trafen auf ihr großes Idol. Es ist eine der besonderen Geschichten dieser EM, dass diese elf Jungen heute zum Aufgebot der georgischen Nationalmannschaften gehören – zu dem Team, das Portugal am Mittwoch sensationell mit 2:0 (1:0) schlagen und sich so für das Achtelfinale qualifizieren konnte.
Einer von ihnen war Kvisha Kvaratskhelia, der Star des Teams. Als Elfjähriger hatte er sich damals zusammen mit seinen Freunden um Ronaldo geschart. Das Foto von der Begegnung ging nach dem Spiel in Gelsenkirchen viral. Kvaratskhelia, heute 23, hatte Georgien nach einem unwiderstehlichen Sololauf in Führung gebracht. Nach dem Schlusspfiff tauschte er das Trikot mit Ronaldo. „Wir haben uns schon vor dem Spiel getroffen, er hat mir Erfolg gewünscht“, sagte Kvaratskhelia. „Er ist einer der besten Spieler der Welt, und es ist toll, wenn er vor der Partie mit dir spricht. Das hat uns dabei geholfen, dass wir heute etwas Großes geschafft haben.“
Es war ein historischer Moment für den EM-Neuling Georgien, der es gleich bei seiner ersten Turnierteilnahme in die Runde der besten 16 Teams geschafft hat. In Tiflis herrschte nach dem Triumph Ausnahmezustand. Die Menschen feierten auf den Straßen, viele konnten es gar nicht glauben. „Wir befinden uns in einem Märchen, in einem Märchen – die georgische Nationalmannschaft besiegt Ronaldos Portugal und trifft nun auf Spanien“, sagte der Live-Kommentator des georgischen Fernsehens. Am Sonntag geht es in Köln gegen den Top-Favoriten auf den EM-Titel.
Spielen wie mit 16 und ein besonderer Spirit
Es sei immer noch „ein bisschen schwierig zu realisieren, was wir geschafft haben“, sagte Trainer Willy Sagnol. Ihm würden ein wenig die Worte fehlen, er wisse nur, dass er „sehr stolz ist, Trainer dieser Mannschaft zu sein“, so der französische Ex-Profi von Bayern München. Georgien hatte allerdings bereits zuvor aufhorchen lassen.
Schon bei der 1:3-Auftaktniederlage gegen die Türken und beim 1:1 gegen die Tschechen zeigte die Mannschaft ihre Qualitäten: Sie verteidigte nicht nur aufopferungsvoll, sondern spielte nach Ballgewinnen mutig und entschlossen nach vorne. Auch von Rückschlägen ließ sie sich nicht beeindrucken. „Wir hatten keine Last auf den Schultern, hatten nichts zu verlieren“, erklärte Sagnol. Vor dem Anpfiff gegen die Portugiesen hätte er seinen Spielern geraten, so zu spielen, wie sie es als 16-Jährige getan hätten – „ohne sich großartige Gedanken zu machen“. Es käme nur darauf an, „dass wir anschließend nichts zu bedauern haben.“
Sagnol, der vor dreieinhalb Jahren Nationaltrainer wurde, ist eine der Schlüsselfiguren des Erfolges. Allerdings, so der 47-Jährige, habe er auch von der Vorarbeit profitiert, die in Georgien geleistet wurde. Der Verband habe über „zehn bis 15 Jahre“ die Nachwuchsarbeit professionalisiert, Akademien geschaffen – wie beispielsweise die, die Ronaldo 2013 eröffnet hatte. „Es sind viele Samen eingesetzt worden“, sagte Sagnol. Zudem sei bei der Nationalelf „ein Bewusstsein geschaffen worden, dass wir die Spiele nicht nur gewinnen wollen, sondern dass wir auf eine schöne Art gefallen wollen“. Das sei „der Spirit unserer Mannschaft“.
Hinzu kommt, hier liegt der größte Verdienst von Sagnol, eine ausgeprägte Homogenität. Damit lassen sich auch Qualitätsunterschiede ausgleichen. „Unsere Bank ist sicher nicht die beste Bank der Welt – aber in Bezug auf die menschlichen Qualitäten schon“, erklärte der Coach. Der Teamgeist habe Georgien bereits durch die Play-offs in der EM-Qualifikation getragen, als die Mannschaft im Finale durch einen Sieg nach Elfmeterschießen über Griechenland ihr Ticket lösen konnte. „Schon damals habe ich gehört, dass wir unser Maximum erreicht haben“, sagte Sagnol und grinste. Der georgische Traum ging weiter.
Das Spiel gegen Spanien wird in Georgien ein Feiertag werden. „Wir haben bewiesen, dass wir jedes Team schlagen können. Wir werden da sein, um wieder zu kämpfen und zu gewinnen“, versprach Kvaratskhelia.