„Elon Musk wird uns nicht retten können“: Stanford-Wirtschafter Hanno Lustig | ABC-Z
Herr Lustig, an den Anleihemärkten geht es turbulent zu. Wir sehen rasch steigende Renditen für Staatsanleihen. Die Rendite der US-Staatsanleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren liegt bei fast fünf Prozent, nachdem sie vor wenigen Monaten noch bei fast vier Prozent lag. Was ist da los?
Ich denke, die Anleihemärkte stellen sich endlich auf die Tatsache ein, dass eine riesige Menge an Emissionen auf sie zukommt. Für die US-Bundesregierung wird prognostiziert, dass sie bis 2053 ein Primärdefizit produziert.
Das ist das Defizit, bei dem die Zinszahlungen noch nicht berücksichtigt sind.
Genau. Mit den Zinszahlungen werden die Defizite noch viel größer. Die USA wenden jetzt schon rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) für Zinsen auf. Das ist ungefähr das, was das Pentagon jedes Jahr ausgibt. Anleiheinvestoren finden sich mit der Tatsache ab, dass die Regierung voraussichtlich weiterhin Defizite machen wird.
Aber war das nicht auch schon vor zwei Jahren der Fall?
Der große Unterschied ist, dass jetzt die großen Zentralbanken signalisiert haben, nicht mehr einzuspringen. Sie hatten bis dahin einen Großteil der emittierten Anleihen gekauft. Doch seit März 2022 signalisiert die Federal Reserve deutlich, nicht länger US-Anleihen zu erwerben. Deshalb müssen private Investoren nun alle Emissionen absorbieren. Früher konnten wir in den USA überdies darauf zählen, dass der Rest der Welt einen Großteil der Emissionen aufnimmt. Aber Ausländer sind nicht mehr so begeistert vom Kauf von US-Staatsanleihen wie früher.
Verlieren die USA ihr Privileg, ein sicherer Hafen zu sein?
Es gibt Anzeichen dafür, dass Staatsanleihen nicht mehr als begehrte, sichere Anlage gelten. Das erste Signal kam im März 2020, als Covid über uns hereinbrach. Die Renditen für Staatsanleihen stiegen innerhalb einer Woche um etwa 60 Basispunkte.
Das heißt, Anleihen wurden verkauft und nicht, wie sonst in Krisen, gekauft?
Genau. Ausländer verkauften langfristige US-Staatsanleihen, während sie an den Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr festhielten. Das war ganz anders in der Finanzkrise. Normalerweise konnten wir uns immer darauf verlassen, dass bei einem Anstieg der Volatilität auf den globalen Finanzmärkten Ausländer einfach hereinstürmen und Staatsanleihen über das gesamte Laufzeitenspektrum hinweg kaufen. Im März 2020 ist das nicht passiert.
Das wäre der gute Zeitpunkt gewesen, den US-Staatshaushalt in Ordnung zu bringen.
Ja, aber die fiskalische Abrechnung fand nicht statt, weil die Federal Reserve in die Bresche sprang. Wenn man die Schuldverschreibungen ausklammert, kaufte die Fed mehr Anleihen, als die US-Regierung in den ersten drei Quartalen 2020 ausgegeben hatte. Das milderte den Aufwärtsdruck auf die Renditen. Aber dann ist die Inflation in die Höhe geschossen. Die Federal Reserve reagierte im März 2022 mit dem Beschluss, die Anleihekäufe zu beenden.
So weit sind wir noch nicht. Aber wir können sehen, dass das exorbitante Privileg der US-Staatsanleihen langsam verschwindet. Wenn man die zehnjährigen US-Staatsanleihen mit einer deutschen Staatsanleihe vergleicht, bei der das Währungsrisiko abgesichert ist, dann zeigen die Renditen keinen Unterschied mehr. Vor zehn Jahren wären die US-Renditen niedriger gewesen. Die Leute liebten US-Staatsanleihen, zahlten dafür einen Aufpreis. Das ist nicht mehr der Fall. Das gilt auch, wenn man die US-Staatsanleihen mit Unternehmensanleihen mit AAA-Rating vergleicht. Das Finanzministerium hat reagiert und emittiert deshalb überwiegend sehr kurz laufende Anleihen.
Das ist in Ordnung, außer natürlich, dass man bei kurzer Laufzeit ständig Billionen neu aufnehmen muss. So entsteht ein größeres Zinsrisiko. Was ist, wenn der Markt irgendwann sagt, dass wir tatsächlich am Ende sind und diese ganzen Schulden nicht verlängern wollen? Wir befinden uns in einer anderen Welt, in der die Renditen wirklich auf finanzpolitische Nachrichten reagieren.
Unwahrscheinlich. Vielleicht findet Musks Kommission Einsparungen. Alles, was Defizite verkleinert, wäre willkommen. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass Elon Musk uns rettet. Mich treibt das Szenario um, bei dem die Regierung einen ehrgeizigen Finanzplan mit großen Steuersenkungen auf den Weg bringt und der Anleihemarkt wirklich irgendwann sagt: „Nein, mehr nicht, das reicht.“ Das ist zuletzt in den Neunzigerjahren passiert, als Bill Clinton im Weißen Haus saß und er gezwungen wurde, Überschüsse zu erwirtschaften.
Interessant. Alle reden jetzt von Trumps Macht, nachdem die Republikaner nun auch den Kongress erobert haben. Doch die wahre Macht scheint bei den Anleihemärkten zu liegen.
Vom Clinton-Berater James Carville stammt das Zitat: „Früher dachte ich, wenn es eine Reinkarnation gäbe, würde ich als Präsident oder Papst oder als Baseball-Schlagmann zurückkommen wollen. Aber jetzt würde ich gerne als Anleihenmarkt zurückkommen.“ Der Anleihenmarkt ist die einzige Instanz, die die Regierung wirklich dazu zwingen kann, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen. Das ist aber eine knifflige Angelegenheit. Einerseits wäre es nützlich, wenn der Anleihemarkt die politischen Entscheidungsträger dazu bewegen würde, die riesigen Haushaltsdefizite anzugehen. Andererseits basiert das gesamte internationale Finanzsystem auf der Vorstellung, dass US-Staatsanleihen sicher sind. Und wenn es zu großen Bewegungen und Renditen kommt, führt dies zu großer Instabilität. Das haben wir in der Truss-Episode gesehen, als die Bank of England einschritt, um Pensionsfonds zu retten, die lang laufende britische Staatsanleihen im Portfolio hatten, deren Wert eingebrochen war. Das zeigt, wie destabilisierend ein Renditeanstieg sein kann.
Blanchard und Summers sahen die Renditen auf einem säkularen Gleitflug nach unten, obwohl die Defizite stiegen. Haushaltsdefizite wurden nicht bestraft. Man kann verstehen, dass sie der Meinung waren, man könne dieses Spiel einfach immer weiterspielen. Was die Ökonomen übersehen hatten: Die Anleger hatten verstanden, dass Zentralbanken in schlechten Zeiten und speziell bei hoher Emissionstätigkeit massiv eingreifen würden. Jetzt bietet sich ein komplett anderes Bild, nachdem die Zentralbanken sich zurückziehen. Die meisten Ökonomen, mit denen ich spreche, denken inzwischen, dass die USA die Finanzen in Ordnung bringen müssen. Unter den politischen Entscheidungsträgern im Kongress am Capitol Hill allerdings ist der Glaube immer noch lebendig, dass Defizite nichts kosten.
Welches Land steht in Europa unter dem größten fiskalischen Druck?
Großbritannien spürt einen gewissen Druck auf die Renditen, weil die Bank of England richtigerweise signalisiert, sie werde nicht in den Anleihemarkt intervenieren. Das zwingt die Anleger, das Haushaltsrisiko angemessen zu bepreisen. In der Eurozone ist die Situation völlig anders, weil die EZB dem Markt ständig signalisiert, dass sie keine großen Spreads tolerieren wird. Sie hat sich selbst eine Art Mandat dafür erteilt. Die Zentralbanker sagen zwar, dass sie nur intervenieren, wenn die Spreads nicht durch Fundamentaldaten gerechtfertigt sind. Aber in Echtzeit festzustellen, ob eine Erhöhung des Spreads durch Fundamentaldaten gerechtfertigt ist, halte ich für sehr ehrgeizig. Wer das kann, sollte zu einem Hedgefonds wechseln. Die EZB unterminiert damit den Anleihenmarkt. Ich halte das für eine schlechte Idee. Der Anleihenmarkt spielt eine Schlüsselrolle dabei, den politischen Entscheidungsträgern in der Eurozone zu signalisieren, wie viel fiskalische Kapazität sie wirklich haben. Und diese Signale sind derzeit in der Eurozone wirklich bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Defizite in Italien, Frankreich und Belgien zeigen, welche Folgen das hat. Die Politiker schließen daraus, dass sie viel mehr Kredite aufnehmen können. Niemand glaubt doch, dass die Renditen in Italien die wahren Risiken widerspiegeln, die mit Investitionen in den italienischen Anleihenmarkt verbunden sind.
Was spiegeln sie denn? Dass es eine europäische Gemeinschaftsanleihe geben wird, die die Risiken einzelner Länder absorbiert?
Sie spiegeln die impliziten Garantien wider, die die EZB allen Ländern in der Peripherie gewährt hat. Ich würde als Hedgefonds-Investor in London nicht gegen die EZB darauf wetten, dass italienische Anleihen überteuert sind. Man kann sein letztes Hemd verlieren, bevor man recht bekommt. Die EZB berücksichtigt leider die Anreize nicht. Für eine Gemeinschaftsanleihe gibt es von Monat zu Monat wechselnde Begründungen. Das Hauptproblem kann sie nicht lösen: Sie erhöht die finanzielle Kapazität der Eurozone nicht, sie verschiebt die finanziellen Spielräume zu Ländern, die sie nicht haben. Die sind natürlich dafür.
Im deutschen Wahlkampf kommt die Frage auf, ob Deutschland die in der Verfassung festgeschriebene Staatsschuldenbremse lockern soll. Was halten Sie davon?
Ich finde es bemerkenswert, dass in der Eurozone Länder, die bis zur Bewegungslosigkeit verschuldet sind, den Deutschen sagen, sie hätten das Problem, zu wenig Geld auszugeben. Es ist klug, sich einen gewissen finanziellen Spielraum zu bewahren, das sollten wir gelernt haben. Die fiskalische Umsicht, die Sparsamkeit der Deutschen, hat sich bewährt. Dann kann man nämlich seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um auf schlechte Akteure zu reagieren. Belgien oder Italien, die gerade ein Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben, haben damit Schwierigkeiten. Deutschland sollte sich darüber Gedanken machen, das Wachstum zu erhöhen. Ich glaube aber nicht, dass Deutschland sich auf Dauer mehr Wachstum durch höhere Staatsausgaben erkaufen kann.
Sichert nicht Deutschland auch andere Länder ab mit seiner geringeren Ausgabenquote?
Sie haben vollkommen recht. Das ganze Spiel der EZB funktioniert nur, wenn die deutschen Schulden sicher sind. Wenn wir uns einem Szenario nähern, in dem die deutschen, niederländischen und finnischen Schulden ebenfalls als riskant gelten, dann sind alle Wetten ungültig. Dann greifen selbst die EZB-Garantien nicht mehr. Wir sollten in der Eurozone zu einer Situation zurückzukehren, in der der Anleihemarkt die Bedingungen, zu denen sich Länder Geld leihen, beeinflussen darf. Und dann würde man sehen, dass Italiener und Belgier zu viel höheren Zinssätzen Kredite aufnehmen werden als Deutsche. Nur das wird den Politikern in diesen Ländern die richtigen Anreize geben.
Ist es trotz der düsteren Perspektiven ein guter Zeitpunkt, Staatsanleihen mit hohen Renditen zu kaufen?
Ich zögere, Staatsanleihen als großartige Investition anzupreisen. Die grundlegende Bewertung von Staatsanleihen sollte der aktuelle abgezinste Wert zukünftiger Überschüsse sein, genauso wie bei der Bewertung einer Aktie, die der aktuelle abgezinste Wert zukünftiger Erträge ist. Wenn man versucht, diese Berechnung für die US-Staatsanleihen durchzuführen, wird einem mulmig. Ich mache mir Sorgen, dass die Renditen noch viel höher steigen könnten, sobald der Markt sagt: Okay, wir werden Staatsanleihen zum Marktwert bewerten. Fünf Prozent auf eine Anleihe klingen gut, wenn man einen langfristigen Horizont hat. Aber wenn die Renditen steigen und man nach zwei Jahren verkaufen will, drohen schwere Verluste.