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Eine zweite Chance für Pferde – Gesellschaft | ABC-Z

Schon 100 Kilo abgenommen: Mariposa. (Foto: Nadine Regel)

An diesem Samstagvormittag im Oktober steht die Sonne an einem wolkenlosen Himmel. Die Blätter der Ahornbäume zwischen den Pferdekoppeln leuchten goldgelb, die Stallungen und die Reithalle auf dem weitläufigen Hof sind aus roten Steinen gemauert, alles wirkt sehr aufgeräumt. Früher war das Anwesen ein Zuchtstall für Araberpferde, später wurde es als Sportreitstall genutzt. Als der Österreichische Tierschutzverein die Pferdeklappe etablieren wollte, stellte die Eigentümerfamilie das Gelände pachtfrei zur Verfügung. Das Projekt läuft inzwischen seit vier Jahren, es hat nicht nur das Leben sehr vieler Pferde, sondern auch das von Nicole Mayrhofer verändert.

Schon als Kind war sie jeden Tag im Stall, geworden aber ist sie erst mal Raumgestalterin. Sie arbeitete schon jahrelang in diesem Beruf, als sie von der Eröffnung der Pferdeklappe hörte – und intuitiv wusste, dass sie dabei sein wollte. Mayrhofer bewarb sich und wurde zunächst Mitarbeiterin auf dem Hof. Vor einem Jahr hat sie dann die Leitung übernommen. Um ihr Wissen über Pferde und deren Bedürfnisse zu vertiefen, macht sie gerade eine Weiterbildung im Bereich Tierschutz und Tierheimhaltung. Auch ihre beiden Töchter lieben Pferde und helfen am Wochenende gerne mit. „Ich habe hier meinen Traumjob gefunden“, sagt sie. Täglich mit Pferden zu arbeiten, ihnen eine neue Chance auf ein besseres Leben zu eröffnen – was könnte es Schöneres geben?

„Wir nehmen nur Tiere auf, die wir wieder aufpäppeln und weitervermitteln können“, erklärt Mayrhofer. Damit unterscheidet sich die Pferdeklappe von einem Gnadenhof, auf dem alte oder unheilbar kranke Tiere ihren Lebensabend verbringen. Eine echte, anonyme Klappe war ursprünglich sogar geplant, doch inzwischen hat sich die direkte Aufnahme bewährt, mit einem Gespräch von Mensch zu Mensch. So lassen sich wichtige Informationen über die Vorgeschichte des Pferdes gewinnen.

Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Österreich, und die Nachfrage ist riesig. Der Hof darf maximal 28 Pferde beherbergen, „aktuell könnten wir aber bestimmt doppelt so viele aufnehmen“, sagt Mayrhofer.

Das Gelände der Pferdeklappe in Reutte, Tirol.
Das Gelände der Pferdeklappe in Reutte, Tirol. (Foto: ÖTV/ÖTV)

Die Gründe für die Abgabe von Pferden sind vielfältig: finanzielle Schwierigkeiten, gesundheitliche Probleme oder auch der Tod des Besitzers einerseits, die Beschlagnahmungen durch Amtstierärzte andererseits, wenn Haltungsbedingungen nicht eingehalten werden. Die vermittelten Pferde bleiben auch später noch Eigentum des Tierschutzvereins, damit sichergestellt werden kann, dass sie gut versorgt und nicht wie ein Wanderpokal weitergereicht werden.

Mariposa ist inzwischen zur Heuraufe gegangen, um dort an ein paar Halmen zu knabbern. „Sie kam aus einer privaten Haltung, in der ihr Pferdepartner gestorben war“, erzählt Mayrhofer. Einzelhaltung ist für Pferde in Österreich gesetzlich verboten, weil sie das Wohlbefinden der Tiere stark beeinträchtigt. Hinzu kam Übergewicht, vermutlich das Ergebnis fehlgeleiteter Tierliebe – denn falsches Füttern kann ernsthafte Krankheiten verursachen. Mariposa steht nun unter strikter Diät und wird täglich gezielt bewegt.

Auf der anderen Seite der Koppel steht eine riesige Schimmelstute, ein Shire Horse, die größte Pferderasse der Welt. Zusammen mit zwei weiteren Pferden kam sie in erbärmlichem Zustand nach Reutte: stark unterernährt, mit deformierten Hufen und Entzündungen an den Fesseln. Alle drei benötigen intensive Pflege. Die Schimmelstute leidet zudem an Hufkrebs. Ihr ist noch deutlich anzusehen, dass sie krank ist, trotzdem kommt sie kurz herangetrottet, als Mayrhofer nach ihr ruft. Alle drei Tiere sind das Opfer falscher Haltung. In ihrem früheren Stall wurden mehr als 50 Shire Horses zur Zucht gehalten, ohne dass ihre Grundversorgung gewährleistet war.

Ebenfalls gut untergekommen: zwei Shire Horses.
Ebenfalls gut untergekommen: zwei Shire Horses. (Foto: Nadine Regel)

Ganz egal, wie erfüllend es ist, solche elenden Geschöpfe dann gesundzupflegen: Manchmal ist die Arbeit auch bedrückend, manchmal empfindet Nicole Mayrhofer blanke Wut. „Es macht mich einfach traurig, die Tiere in so schlechtem Zustand zu sehen“, sagt sie. Am meisten ärgert sie sich über das Verhalten der Menschen, das dazu geführt hat.

Wenn man Mayrhofer so zuhört, dann kommt es leider ziemlich häufig vor, dass Pferde nicht als Lebewesen, sondern als reines Investment betrachtet werden. Das Wohl der Tiere bleibt dabei oft auf der Strecke. Manche Pferde, erzählt Mayrhofer, würden vor dem Verkauf schmerzfrei gespritzt, um Verletzungen oder Krankheiten zu verschleiern. Die Käufer erkennen ihren wahren Zustand dann erst, wenn das Geld überwiesen ist, die Wirkung nachlässt, die Pferde aber bereits zu Hause im Stall angekommen sind.

„Bei uns stehen die Tiere im Mittelpunkt“, sagt Mayrhofer, obwohl auch hier eine Adoptionsgebühr erhoben wird, wenn ein Pferd in neue Hände wechselt. Die meisten Interessenten kommen aus dem Tierschutzbereich und haben ähnliche Anliegen wie das Team der Pferdeklappe: Sie wollen den Tieren etwas Gutes tun und vertrauen dabei auf die ehrlichen Angaben zu ihrem Gesundheitszustand. Dadurch steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tier nicht wieder zurückgegeben wird. Das ist wichtig, denn auch für Pferde kann ein häufiger Standort- und Besitzerwechsel belastend und stressig sein. Die Vermittlungsquote in Reutte liegt bei 90 Prozent.

Manchmal falle es ihr schwer, die Pferde wieder ziehen zu lassen, räumt Mayrhofer ein. Sie erinnert sich an ein junges Pferd, das sie am liebsten selbst übernommen hätte. „Das wäre aber nicht das richtige Familienpferd gewesen“, sagt sie. Es sei eine Spur zu temperamentvoll gewesen, leider.

Bei der Vermittlung achten Mayrhofer und ihr Team darauf, dass die Pferde für immer bei ihren neuen Menschen bleiben können und dass sie gut untergebracht sind. Sie schauen auch, ob die Chemie zwischen Mensch und Tier stimmt. „Ich erkenne das an der Reaktion des Pferdes.“ Manche Pferde fühlen sich sofort zu einer Person hingezogen, andere bleiben distanziert. Wie bei Hunden können Erfahrungen aus der Vergangenheit das Verhalten prägen und etwa dazu führen, dass ein Pferd Frauen eher vertraut als Männern. „Meistens spielt aber einfach die individuelle Sympathie eine Rolle“, sagt Mayrhofer.

Auf dem Weg zur Reithalle geht es an zwei Eseln vorbei. Sie stammen vom Tierschutzhof des Vereins. Zwar könnten sie theoretisch vermittelt werden, sagt Mayrhofer, doch das sei bei Eseln gar nicht so einfach. „Sie können sehr laut sein“, sagt sie, was zu Problemen mit Nachbarn führen kann. Dann geht es hinaus auf die Weide, die in einzelne Koppeln unterteilt ist. Auf einer stehen Reitponys, die jahrelang auf einem Reiterhof eingesetzt wurden; der Betreiberin war der Pachtvertrag nicht verlängert worden. Sie fühlte sich nicht mehr in der Lage, eine neue Bleibe zu suchen, und gab die Tiere schließlich in die Obhut der Pferdeklappe.

(Foto: Nadine Regel)

Schräg gegenüber stehen zwei Shire Horses. Nicole Mayrhofer stellt sich neben das schwarze Pferd, das sie, die ohnehin schon recht groß ist, noch einmal um gut 30 Zentimeter überragt. Sie hält den schweren Kopf in den Händen, das Pferd steht ganz ruhig da. Dazwischen springt ein cremefarbenes Pony umher und könnte theoretisch unter dem Bauch des Riesenpferdes hindurchspazieren. Vanilla gehörte ursprünglich zur Ponygruppe, wurde dort aber gemobbt und suchte über den Zaun Nähe zu den Shires. Mayrhofer und ihr Team entschieden, sie neu zu gruppieren. „Heute ist sie die Chefin in ihrer Gruppe“, sagt sie und lacht.

Für Vanilla hat sich der Umzug in die Pferdeklappe also doppelt gelohnt: ein echter Neuanfang mit großen Freunden und die Aussicht auf ein besseres Zuhause. Und genau darum geht es bei der Pferdeklappe schließlich.

(Foto: ÖTV/ÖTV)

Artgerechte Pferdehaltung

Eine artgerechte Pferdehaltung berücksichtigt die natürlichen Bedürfnisse der Herdentiere mit ihrem ausgeprägten Bewegungsdrang. Pferde brauchen regelmäßigen Kontakt zu Artgenossen, da andere Tiere wie Ziegen oder Esel diesen nicht ersetzen können. Täglicher, mehrstündiger Freilauf auf der Weide oder sonstige Bewegung, die kontinuierliche Aufnahme von Raufutter über etwa 16 Stunden sowie Schutz vor Witterung bei gleichzeitiger Frischluftzufuhr sind grundlegende Voraussetzungen. Der Untergrund sollte hygienisch, rutschfest und weich eingestreut sein, um bequeme Liegeplätze zu gewährleisten. Regelmäßiges Ausmisten beugt Krankheiten wie Mauke vor. Das Futter muss auf die Bedürfnisse des Pferdes abgestimmt sein, um Hufrehe, Koliken oder das Equine Metabolische Syndrom, eine Stoffwechselkrankheit bei Pferden, zu vermeiden. Auch der regelmäßige Besuch beim Hufschmied ist für die Gesundheit unerlässlich. Für die Haltung können monatlich bis zu 1000 Euro oder mehr anfallen, was vor dem Pferdekauf unbedingt bedacht werden sollte. Pferde können bis zu 30 Jahre alt werden.

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