Eine Nacht im Uni-Viertel München: Krach wegen Sperrstunde für Späti-Kioske | ABC-Z

Auf Mallorca schätzt man sie nicht besonders, und auch in der Maxvorstadt wächst der Unmut über junge Partymacher auf den Straßen. Zu viel Lärm, zu viel Müll, zu viel Alkohol. Den “Ballermann”-artigen Zuständen begegnete das Kreisverwaltungsreferat (KVR) nun mit einer Art Sperrstunde für die beliebten Späti-Kioske im Viertel: Ab heute herrscht ein Bierverkaufsverbot ab 22 Uhr für die Spät-Kioske (AZ berichtete).
Kann man in der Schellingstraße nachts wirklich kein Auge mehr zudrücken wegen all der Feierwütigen? Die AZ war am Donnerstagabend vor Ort und hat sich bei sommerlichen Temperaturen umgehört.
Raffi (19) und Mechi (18) sind nicht begeistert: “Die Läden sind für uns abends die einzige Möglichkeit, noch günstig was zu Trinken zu holen”, sagt Archäologiestudent Raffi. “Neben dem Gärtnerplatzviertel ist das hier der einzige Ort, wo abends ein bisschen was los ist.” VWL-Student Mechi meint: “Die Münchner sind anders drauf als zum Beispiel Berliner. Da haben die Spätis rund um die Uhr offen und es beschwert sich kaum jemand.” Die Anwohner in der teuren Schellingstraße seien oft schon älter, denkt er. “Im Gärtnerplatzviertel ist Lärm aus dem Nachtleben mehr akzeptiert.”
Um 20 Uhr zeigt sich das Univiertel von seiner schönsten Seite. Die Abendsonne hüllt die Schellingstraße in warmes Licht, die Schanigärten sind proppenvoll. Manche tragen ihren Cocktail auch in der Hand. Protzige Autos, die gelegentlich unüberhörbar durch die engen Straßen fahren, irritieren bisweilen die wohlige Aperol-Feierabend-Stimmung.
Anwohner hat Verständnis für Sperrstunde in Münchner Univiertel: “Ältere Personen leiden”
Einer, dem es seit geraumer Zeit etwas zu bunt zugeht im Viertel, ist Anwohner und CSU-Stadtrat Thomas Schmid. Er hatte früher selbst mehrere Gastrobetriebe, ist aber entsetzt über das, was er derzeit erlebt. “Auf dem Bürgersteig kommt man am Wochenende als Anwohner kaum mehr vorbei. Das ist rücksichtslos. Gerade ältere und schwächere Personen leiden darunter.” In den letzten Monaten sei die Lage im Viertel eskaliert – viele kämen gezielt hierher zum Feiern. Auch unter der Woche.

© Florian Kraus
von Florian Kraus
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Für Schmid sind aber nicht nur die Spätis ein Problem, sondern auch die Bars, die Getränke zum Mitnehmen verkaufen. Sein Denkanstoß: Die Gastronomen und Spätis sollten sich zusammenschließen und privat eine zusätzliche Straßenreinigung organisieren.
Auch der AZ-Reporter sieht am Donnerstag große Trauben vor einigen Gaststätten. Die Kreuzung Türkenstraße/Schellingstraße ist ein Hotspot. Hier gibt es einen Stehausschank von Giesinger Bräu schräg gegenüber vom Soda und dem James T. Hunt. Schon wegen der Raucher ist vor den Lokalen immer viel los. Das Publikum: jung, fröhlich, ausgelassen. A bisserl was geht immer – und heute vielleicht sogar etwas mehr. Der Abend ist noch jung.
“In der Innenstadt gehört Leben dazu”
Gegen neun kommt der Optiker Jane Rossner (22) von der Arbeit nach Hause in die Schellingstraße. Er findet die harten Auflagen für die günstigeren Spätis unsinnig, da die Bars ebenfalls Bier für den Weg verkaufen würden. “In der Innenstadt gehört es mit dazu, dass auch abends noch Leben herrscht.” Wenn er nach der Arbeit nach Hause kommt, will er nicht nur auf der Couch sitzen: “Ich will rausgehen und mich unter die Leute mischen.”

© Florian Kraus
von Florian Kraus
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Um halb zehn stehen einige Autos mit Warnblinker wartend in zweiter Reihe. Vor einem Späti vertreibt ein Inhaber eine Gruppe junger Kunden vor seinem Laden, wo sie sich nach dem Einkauf nicht aufhalten dürfen: “Ihr wisst doch, ich muss aufpassen wegen den Anwohnern!” Einsicht bei den jungen Rauchern und Biertrinkern. Eine Szene, die sich mehrmals wiederholt an diesem Abend.
Ein Abstecher in die Amalienstraße hinter der Uni: Abseits der Schellingstraße ist kaum was los. Auf den mit Kunststoff eingepackten Holzmöbeln einer geschlossenen Bäckerei haben sich einige Leute mit Kippe und Drink niedergelassen. Sonst niemand weit und breit. Zurück also ins Epizentrum.
Sind wirklich nur die Spätis Schuld am Lärm?
Juristin Sarah (37) ist um dreiviertel zehn noch mit Kind, Mann und Hund spazieren. Die neuen Regeln für die Spätis findet sie nicht gut. “Den Zusammenhang zwischen den Spätis und dem ansteigenden Trubel sehe ich nicht. Hier war immer schon viel los.” Den Ärger der Anwohner könne sie aber schon auch nachvollziehen.
Rezeptionistin Judith Wegener (63) kommt um zehn Uhr gerade mit ihrem Hund vom Gassigehen heim. Sie ist froh, im Rückgebäude zu wohnen: “Zur Straße hin ist es am Wochenende kaum auszuhalten. Teilweise geht es die ganze Nacht lang.” Früher sei sie gerne in die Clubmeile am Kunstpark Ost gegangen. “Jeder soll feiern, aber ich glaube, den jungen Leuten fehlt momentan der Platz dazu.”

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Für ihren Hund sei der Müll eine Gefahr: “Am Wochenende ist es ein Spießrutenlauf. Die Bürgersteige sind voller Glasscherben.” Und noch ein Problem für sie: Lachgaskonsum unter Jugendlichen. Vor der Garage des Hauses in der Schellingstraße fände man immer wieder leere Kartuschen. Im Delirium werde dann auch mal gegen das Tor gesprungen und in die Einfahrt uriniert.
So sauer sind die Kiosk-Betreiber
Schräg gegenüber hat Nechirvan Albezihi (32) seinen Kiosk. Er ist stinksauer über die Verordnung der Stadtverwaltung. “Ich war geschockt, am Montag kam der Brief, und wir hatten nicht mal die Möglichkeit, uns richtig dazu zu äußern. Drei Tage sind zu wenig.” Ein Großteil des Geschäfts der Spätis gehe nach Feierabend, wenn die Supermärkte schließen. Vor allem mit Bier. Für die Betreiber seien die neuen Reglungen schmerzhaft bis existenzgefährdend.

Kioskbetreiber Nechirvan Albezihi (32) will klagen gegen das Verbot.
© Florian Kraus
Kioskbetreiber Nechirvan Albezihi (32) will klagen gegen das Verbot.
von Florian Kraus
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Gerade erst hatten Albezihi und sein Bruder viel Geld in den Laden gesteckt. “Ich ernähre hiermit meine Familie. Nur weil es ein paar Leuten, die eh schon ausgesorgt haben, nicht passt, muss ich jetzt vielleicht zumachen.” Er will sich wehren: Er hat seinen Anwalt eingeschaltet und ist Mitinitiator einer Petition. Zusammen mit anderen Kiosken bereiten sie eine Sammelklage vor.
Ob das hilft? Schulterzucken. Was den Kioskbetreiber ärgert: Die Beschwerdeführer hätten das Gespräch verweigert. “Ich bin kompromissbereit, aber sie wollten nicht reden.” Ein Kompromiss, den er sich gut vorstellen könnte: Bierverkauf bis 24 Uhr. Auch an der Müllbeseitigung will er sich mit anderen beteiligen. Könnte etwas helfen. Kaum ein Mülleimer, den der Reporter an diesem Abend sieht, ist nicht überfüllt.
23 Uhr am Georg-Elser-Platz: An einer Grundschule sitzen junge Menschen auf Bänken und Stufen. Hier zieht mal eine Cannabis-Rauch-Wolke vorbei, dort fällt mal eine Bierflasche um und zerspringt. Vor dem Giesinger Stehausschank wenige Meter weiter vorne wird es langsam leiser, jetzt, da die Stühle draußen hochgeklappt werden.
“Wir sind nicht alleine verantwortlich”
Um kurz nach Mitternacht ist vor allem vor den Kneipen noch etwas los. Das Laster Tabak ruft verlässlich. Aber es ist ja auch erst Donnerstag – der kleine Freitag. Manchmal geht die Lärmkurve noch nach oben: Wenn die Polizei mit Sirene vorbeirauscht oder eine Gruppe junger Frauen plötzlich völlig euphorisiert kreischt. Ein Kioskverkäufer, der nicht genannt werden will, ärgert sich: “Uns schiebt man das in die Schuhe, aber wir sind nicht alleine verantwortlich.”
Um ein Uhr geht es langsam heim für den AZ-Reporter – so wie für die meisten Nachtschwärmer an diesem Donnerstag. Bleibt die Frage, wie viel Lärm dazugehört zu einem Studentenviertel.