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Eine Elfjährige bringt ein Kind zu Welt – vom Stiefvater | ABC-Z

„Ich darf Sie dann bitten, den Raum zu verlassen“, sagt die Vorsitzende Richterin. Am Donnerstag ist der öffentliche Teil der Verhandlung am Landgericht Siegen nach wenigen Minuten vorbei. Nun wird das Mädchen per Video aussagen, das Ben­jamin S. schwer sexuell missbraucht haben soll. Die Zwölfjährige hat im vergangenen Mai im Alter von damals elf Jahren ein Kind zur Welt gebracht. Ein DNA-Test hat ergeben: Das Baby stammt von S.

In ersten Vernehmungen hatte die Zwölfjährige gesagt, sie sei verliebt gewesen in S., ihren Stiefvater. Sie habe deshalb von ihm schwanger werden wollen und sich Sperma aus einem benutzten Kondom eingeführt. Nach psychologischer Betreuung revidierte sie die Aussage, an der Ärzte und Ermittler ohnehin gezweifelt hatten. Gegen S. wurde im Oktober Anklage erhoben, er sitzt in Untersuchungshaft.

Dem 38 Jahre alten Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft sexuellen Missbrauch in insgesamt neun Fällen zwischen März 2020 und August 2023 vor. In fünf Fällen soll es zu Geschlechtsverkehr gekommen sein, teils mit Kondom, also schwerem sexuellem Missbrauch. Nach der letzten mutmaßlichen Tat soll das Kind schwanger geworden sein. Der Tatort soll die Wohnung der Familie gewesen sein. Laut Anklage soll der Stiefvater das Mädchen schon mit Zunge geküsst haben, als es sieben Jahre alt war. Auf Handys stellten die Ermittler Dutzende Fotos sicher. Sie sollen das Mädchen und den Stiefvater bei intimen Küssen zeigen. Die Staatsanwaltschaft wertet die Aufnahmen als Kinderpornographie. Die leibliche Mutter heiratete den Vater drei Monate bevor ihr Kind schwanger wurde.

Lehrer des Mädchens wandten sich an das Jugendamt

Es ist nicht so, dass die Kameras und die Schreibblöcke von Journalisten in einem Gericht so etwas wie Gerechtigkeit herstellen könnten, dass sie wiedergut­machen könnten, was einer Minderjährigen angetan wurde. Aber der mutmaßliche Täter kann sie als Sanktion empfinden, insbesondere wenn er dringend tatverdächtig ist wie in diesem Fall. Dank der Kameras und der Schreibblöcke kann jeder wissen, wie grausam er gewesen sein soll. Geht es um Kindesmissbrauch, funktioniert das nur halb. Journalisten dürfen in der Regel nicht zuhören, wenn im Saal über Details der mutmaßlichen Taten gesprochen wird. Aus gutem, aber zwiespältigem Grund: Zum Schutz des intimsten Lebensbereichs des Opfers erhält auch der mutmaßliche Täter Privatsphäre. Man könnte auch ­sagen: Er behält Macht.

Der Fall, der am Landgericht Siegen verhandelt wird, war im vergangenen Jahr in ganz Deutschland Thema. Andere Fälle, in denen eine Elfjährige ein Baby zur Welt bringt, sind aus jüngerer Zeit nicht bekannt. Auch die Umstände in den Monaten davor sind schwer vorstellbar. Das Mädchen war zunächst normal weiter in die Schule gegangen, die Schwangerschaft verdeckte sie mit weiten Kleidern. Lehrern fiel auf, dass das Mädchen sich veränderte, zurückzog, nicht mehr aufgeweckt war wie früher. Die Schule meldete den Verdacht dem Jugendamt, die Schwangerschaft wurde festgestellt. Seit der Geburt lebt das Mädchen in einer Einrichtung. Sie wird psychologisch betreut, das Baby soll bei einer Pflegefamilie leben.

Vor dem Prozess hatte die Zwölfjährige angegeben, nicht aussagen zu wollen. Sie ist Nebenklägerin in dem Verfahren. Am ersten Verhandlungstag hatte ihre Anwältin erklärt, sie würde nun doch sprechen wollen, allerdings nur, wenn der Angeklagte nicht im Raum sitze. Am Donnerstag erklärt die Vorsitzende Richterin, das Mädchen habe sich zu Beginn der Woche das Gericht angeschaut. Die Parteien hätten sich auf eine Videovernehmung geeinigt. Dennoch gilt am Donnerstag überall im Gericht Video- und Fotoverbot, ein Mann vom Fernsehen muss seine Kamera am Empfang lassen.

Der Angeklagte schweigt zu den Vorwürfen

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sollen an diesem Tag auch die Gynäkologin, die Therapeutin und die Psychiaterin des Mädchens aussagen. Bevor die Journalisten den Saal verlassen, gibt die Kammer noch einem Antrag des Verteidigers statt. Nun wird ein Gutachter beauftragt, der vor Gericht erläutern soll, inwiefern die frühere Aussage des Mädchens über die Befruchtung mittels Kondom stimmen kann.

Der Angeklagte schweigt zu den Vorwürfen. Am Donnerstag sitzt er teilnahmslos da und starrt auf ein behördliches Papier, den Kopf mit einer Hand gestützt, leicht abgewandt vom Publikum, dunkelblaue Winterjacke, Fake-Pelz, Sneaker. Sechs Prozesstage sind geplant, das Urteil soll Mitte Februar fallen.

In einem anderen Verfahren ist das Landgericht Siegen noch nicht so weit, was auch daran liegen könnte, dass der mutmaßliche Täter der Tat nur hinreichend verdächtigt wird und deshalb nicht in Untersuchungshaft sitzt. Die Anklage, die schon im Mai 2023 erhoben wurde, richtet sich gegen den biologischen Vater der Zwölfjährigen. Der Neununddreißigjährige soll mit einem zweiten Mann in mehreren Fällen zwischen April 2018 und November 2021 die ältere Schwester der Zwölfjährigen vergewaltigt haben. In diesem Zeitraum war die Schwester zwölf bis vierzehn Jahre alt. Das Gericht bestätigt am Donnerstag, dass die Zulassung der Anklage noch geprüft werde. Gegen die Mutter wird demnach in beiden Fällen bislang nicht ermittelt. Der mutmaßliche Tatort ist in beiden Fällen der gleiche.

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