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Ein Tagesausflug auf die bei Touristen beliebte Insel Capri | ABC-Z

Ausgerechnet Capri. Sehnsuchtsbild von Dolce Vita, dem süßen Leben der Schönen und Reichen, abgebildet auf unzähligen Fotomotiven und Schreckensbild des Overtourismus. 2,4 Millionen Touristen zieht es Jahr für Jahr auf die Insel, die gerade einmal 12.900 Einwohner zählt. Gibt es nicht genug andere Ziele auf der Welt? Lohnt es sich wirklich, sich mit Massen in ein Boot zu zwängen, um auf einer vollgestopften Insel herumzulaufen? Und doch: Wenn ich morgens am Frühstückstisch meines Hotels an der Promenade von Neapel sitze und hinaus auf die azurblaue Bucht schaue, da ragt Capri schroff und geheimnisvoll aus dem Meer, wie ein Versprechen.

Eine Überfahrt mit dem Schnellboot ist einfach zu buchen, über Internetportale wie zum Beispiel Ferryhopper kostet das Ticket circa 55 Euro hin und zurück. Allerdings empfiehlt es sich, erst einmal den Wetterbericht zu prüfen, denn bei Sturm werden die Fähren abgesagt, und auch bei hohem Wellengang kann die Überfahrt mit einem Tragflächenboot unangenehm werden. Ich habe Glück, am nächsten Morgen ist das Meer spiegelglatt. Um 9.10 Uhr legt mein Tragflächenboot an der Molo Beverello ab, im Schatten gigantischer Kreuzfahrtschiffe.

Seit mehr als zweitausend Jahren legen hier Schiffe ab

Diese Schiffe tragen nicht unwesentlich dazu bei, dass Scharen an Touristen sich morgens um ihre Guides mit den weiß-blauen Schildern oder mit bunten Bändern dekorierten Schirmen scharen. Allerdings habe ich mir den Andrang schlimmer vorgestellt. Etwa alle dreißig Minuten legt morgens ein Schnellboot von Neapel nach Capri ab. Die Überfahrt dauert eine knappe Stunde. Von Sorrent ist es schneller. Der neue Ticketschalter an der Molo Beverello ist zwar noch nicht fertig, dennoch werden wir durch die eben fertiggestellte Halle zu unserem Kai geleitet und können während des Wartens die Mauerreste des alten römischen Hafens bewundern, die bei Bauarbeiten entdeckt und nun hinter Glas zur Schau gestellt werden. Seit mehr als zweitausend Jahren legen schon Schiffe hier ab. Der römische Kaiser Augustus baute Villen und Festungen auf der felsigen Insel, um die Bucht von Neapel mit ihrem wichtigen Handelshafen besser schützen zu können.

Ein Blau, an dem man sich nicht sattsehen kannUlrike Maria Hund

Sein Adoptivsohn Tiberius verlegte sogar den Regierungssitz von Rom nach Capri. Heute reihen sich Touristen aus aller Welt in die Schlange ein. Engländer, Amerikaner, aber auch viele italienische Familien. Mit Turnschuhen, Sommerkleidern und Sonnenhüten. Koffer mussten extra gebucht werden. Aber nicht viele haben Gepäck dabei. Die meisten wollen offenbar nur einen Tagesausflug machen. Die Stimmung ist entspannt. Neapel mag chaotisch sein und manchmal schmutzig und laut, aber die Touristenströme sind gut organisiert. Zumindest an diesem strahlenden Tag gehen alle gelassen an Bord.

Capri ist ein Felsbrocken mitten im Meer, nur an einer Stelle ist Platz genug für einen Hafen. Eine Standseilbahn überwindet die knapp 150 Höhenmeter hinauf in den Ort. Man muss also noch einmal Schlange stehen, egal, ob man sich für den Funicular entscheidet oder versucht, eines der Boote für eine Inselrundfahrt zu ergattern. Zwei Euro fünfzig kostet die fünfminütige Fahrt. Die Anzahl der Passagiere, die die Absperrung passieren, wird elek­tronisch mitgezählt. Bei achtzig stoppt die Drehzahl, der Durchgang wird automatisch gesperrt, sodass vor der Bahn kein Gedrängel entstehen kann. Ich komme gleich im zweiten Schwung mit. Schneller als erwartet. Nach knapp zwei Stunden ab Hotel bin ich oben. In Capri.

Wie auf einer Party

Die Piazza zwischen Kirche und Rathaus ist in etwa so groß wie ein Wohnzimmer und vollgestellt mit den Tischen der umliegenden Cafés. Es geht zu wie auf einer Party, zu der zu viele Gäste gekommen sind. Eine steile Treppe führt zu einer kleinen Kirche hinauf, aber wer sich auf die Stufen setzen will, wird sofort von einer Politesse freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass das nicht zulässig sei. Ströme von Besuchern zieht es die steile Gasse zu den Augustusgärten hinab. In einem Eckhaus ist ein Infostand, dort verteilt ein freundlicher Mitarbeiter Inselpläne und erklärt geduldig, was es auf der Insel alles zu sehen gibt. Eile ist nicht angebracht. Dazu ist der Himmel zu blau. Der Blick von hier oben zu schön. Man könnte auf der Terrasse des Funicular stehen bleiben und einfach nur auf das glitzernde Meer hinabschauen, aus dem das schroffe Eiland aufragt, und die in der Ferne liegenden Inseln.

In der Via delle Botteghe, einer schmalen Ladenstraße in einem Durchgang unter dem Rathaus, liegt ein Geschäft am andern, die Menge schiebt sich an eleganten Auslagen und kleinen Restaurants vorbei. Man könnte durchaus den Nachmittag damit verbringen, durch die Läden zu streifen, sofern man genügend Geld auf dem Konto hat. Majolikaschilder an den Mauern weisen den Weg zur Villa Jovis hinauf, der Residenz von Tiberius, meinem Ziel für diesen Vormittag, und nach etwa einer halben Stunde steilen Aufstiegs ist die Zahl der Passanten deutlich überschaubarer geworden. Villen mit verwilderten Gärten liegen jenseits der Mauern entlang des Wegs. Als ich einmal zu früh abbiege, weist mich ein aufmerksamer älterer Herr auf meinen Irrtum hin. Offenbar haben die Inselbewohner trotz der Menschenmassen ihre Freundlichkeit nicht verloren. Ab und zu zwängt sich ein Elektrofahrzeug vorbei, um Koffer zu einer der Touristenunterkünfte zu bringen, die sich in den Villen verstecken. Manche von ihnen haben schon bessere Tage gesehen, Moos wächst auf den Gehwegplatten, Fensterläden wirken morsch, und ein Gärtner hat im überwucherten Park schon lange nicht mehr vorbeigeschaut. Entgegen meiner Erwartung ist hier nicht alles auf Hochglanz poliert, ein Fotograf für Lost Places würde selbst auf Capri seine Freude haben. Manche Villen sind vielleicht im Privatbesitz und nur noch im Sommer bewohnt, und wer will schon auf dieser Insel, die nur vom Tourismus lebt, das ganze Jahr über bleiben?

Tiberius wollte es, der römische Kaiser mit dem üblen Leumund, als Lüstling unter seinen Zeitgenossen verschrien und grausam dazu. Immerhin die Staatsfinanzen soll er zusammengehalten haben. Er baute Capri zu seiner Festung aus. Zwölf Schlösser soll es auf diesem felsigen Eiland allein zur Römerzeit gegeben haben, das prächtigste nannte er Villa Jovis, zu Ehren des Gottes Jupiter. Geblieben ist davon ein eindrucksvoller Berg antiker Mauern. Aber wenn man Internetanimationen glauben darf, dann war diese Ruinenlandschaft auf dem südwestlichen Zipfel der Insel einst eine glanzvolle Residenz.

Kurz vor dem Museumsgelände weist ein Abstecher in die Gärten der Astarita. Ein Parkwächter, dessen Lager sich etwas versteckt hinter dem Tor befindet, nimmt gern ein Trinkgeld entgegen und öffnet die Tür zu einem verwilderten Garten. Als ich auf eine kleine Terrasse trete, liegt mit einem Mal die ganze Amalfiküste mir zu Füßen. Die schroffen Milchberge, von denen Capri nur ein aus dem Meer aufragender Teil ist, die winzigen Galli-Inseln, wo einst die Sirenen Odysseus auf seiner Irrfahrt verführen wollten. Selbst die berühmte rote Villa von Malaparte liegt weit unter mir auf einem Felsvorsprung. Tief unten umkreist eine Armada von Booten wie lästige Mücken die Insel, sie ziehen ihre Bahn über das Meer.

Die Villa LysisUlrike Maria Hund

Der Ausblick ist einzigartig und göttlich, aber außer ein paar neugierigen Ziegen ist niemand da, außer mir. Wie kann das sein? Wo sind sie hin, die 16.000 Touristen, die die Insel Tag für Tag besuchen? Es duftet nach Piniennadeln, die Zikaden singen, die Ziegen kommen näher, um nach den Trauben zu haschen, die ich als Proviant mitgebracht habe, und springen aufdringlich auf meine Schenkel, als ich den Rest für mich behalten will. Capra heißt auf Italienisch Ziege. Wahrscheinlich gaben sie der Insel ihren Namen, denn auf diesem kargen Kalksteinmassiv wuchs außer dorniger Mittelmeermacchia, die nur den Ziegen bekömmlich ist, nicht viel. Der Palast des Tiberius bestand im Zentrum aus einer riesigen Zisterne, um das Regenwasser für die Trinkwasserversorgung zu sammeln, denn Capri hat kein Wasser und keine Thermalquellen wie das vulkanische Ischia, das nur einen Katzensprung entfernt über dem Meer zu sehen ist. Heute führt eine untermeerische Wasserleitung von Neapel nach Capri. Als sie im Frühsommer defekt war, mussten die Touristenströme für einen Tag aussetzen.

Zu Füßen der Kaiservilla liegt die Villa Lysis. Auch ihr Erbauer hatte einen zweifelhaften Ruf, aber im Gegensatz zur Villa des Tiberius steht seine Villa noch, ein Traum aus Jugendstil und Art déco, den ein französischer Baron auf dieser Klippe erbauen ließ. Es gibt wohl kaum einen schöneren Ort, um sich der Nichtigkeit des Lebens hinzugeben. Vielleicht auf Dauer unerträglich schön, zumindest hat der Baron d’Adelswärd-Fersen sich trotz der Liebe seines jungen Gefährten und seiner eleganten Besucher mit einer Überdosis Kokain das Leben genommen. Wenn es absolute Schönheit gibt, dann ist das hier, auf dieser Terrasse mit dem Blick auf das Meer und die weißen Felsen, auf die Skulptur eines Jungen, der spielerisch nach seiner Ferse fasst, um einen Dorn herauszuziehen, und die Boote, die von einer Insel zur anderen ziehen.

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