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Duell bei Schach-WM: Brutal und seltsam schön | ABC-Z

A m Ende war es ganz schnell vorbei: Im 55. Zug der letzten von 14 Partien verschenkte der Titelverteidiger Ding Liren ein sicheres Remis durch – ja, was war das eigentlich? Eine Unachtsamkeit? Ein simpler Gehirnblurp, ein Riss in der Konzentration, ein Aussetzer, wie er nicht einmal einem mittelmäßigen Spieler wie mir passieren sollte?

Der Tribut der unfassbar anstrengenden Partien zuvor, die für Ding Liren selbst, wie er sagte, von Tag zwei an nichts anderes als eine Qual gewesen waren. Ganz im Gegensatz zu seinem Gegner Gukesh, zarte 18 Jahre alt, der auch in aussichtslos ausgeglichenen Positionen immer noch ein paar Züge machte, einfach weil, wie er sagte, er es derart genieße, Schach zu spielen; wobei er nichtsdestotrotz nach seinem letzten Zug in Tränen ausbrach, die wohl nicht nur solche der Freude gewesen sind, sondern auch solche der Erleichterung.

Es ist viel gemäkelt worden über das Niveau der Partien, verschiedene Topspieler meinten sich abfällig darüber äußern zu müssen, dass die Qualität mancher Züge einer Weltmeisterschaft nicht angemessen seien; Magnus Carlsen beispielsweise oder auch der amerikanische Großmeister Hikaru Nakamura. Objektiv betrachtet ist das falsch: eine Datenanalyse des Schachwissenschaftlers Mehmet Ismael kommt zu dem Schluss, dass dieses Match das exakteste seit der Weltmeisterschaft 1995 war, jener legendären Begegnung zwischen Garry Kasparov und Viswanathan Anand auf dem World Trade Center.

Warum das von vielen Kommentatoren nicht erkannt worden ist, liegt wohl auch daran, dass sich alle einig sind: in diesem WM-Kampf ist nicht der stärkste Spieler im aktuellen Schach gekürt worden; das ist bis jetzt noch immer Magnus Carlsen.

Das Fehlen des Besten

Aber ebenjener Magnus Carlsen hat auf eine Teilnahme an den letzten zwei Weltmeisterschaften verzichtet, weil ihm das Format zu anstrengend ist. Er hat im Vorfeld der letzten WM versucht, neue Formate in diesen Wettkampf einzuführen: kürzere Formate, die für seine Begriffe unterhaltsamer und zeitgemäßer sind. Als der internationale Schachverband Fide sich weigerte, trat er ungeschlagen zurück und kommentiert jetzt süffisant aus dem Hintergrund.

Wobei es ein zugegebenermaßen sehr valider Grund ist zu sagen: das ist einfach too much, diese Quälerei, die monatelange Vorbereitung, die völlige Abschottung während der Matches, die tagelang derart beanspruchte Birne, dass sie notgedrungen irgendwann durchglühen muss. Es ist zu viel, obwohl die Fide hier schon Konzessionen gemacht hat: das Weltmeisterschaftsduell 1984 zwischen Anatoli Karpow und Garri Kasparow zog sich über ein halbes Jahr und 48 Partien und wurde trotzdem vorzeitig abgebrochen. Das ist kein Argument: dass es früher noch verrückter war, heißt ja nicht, dass es heute noch so zu sein hat.

Es ist auch so anstrengend genug: auch bei dieser WM konnte man mit jeder fortschreitenden Partie sehen, wie dieses vermaledeite Brett mit den Figuren darauf Stück für Stück das Leben aus den Kontrahenten heraussog. Und nicht nur aus den beiden vorne am Brett: ein Stück weit gilt das auch für die Zuschauer*innen, die ja anders als in Bewegungssportarten wenn auch nicht mitspielen, so doch mitdenken, mitrechnen, mitleiden.

Mir ist in meinem Dasein als Sportfan noch kein Event untergekommen, dass derart in der Lage ist, mich zu entrücken. Es hat etwas Mystisches; nicht das Spiel an sich, das ja allerhand Überhöhungen auszuhalten hat, aber exakt dieses Format, das Carlsen für aus der Zeit gefallen hält. Genau das ist aber sein großer Zauber: es erlaubt einem, aus der Zeit zu fallen.

Insofern hat es auch etwas Kathartisches, einem der besten Spieler der Welt, der noch zwei Spiele davor eine von Anfang bis Ende perfekte Partie aufs Brett gezaubert hatte, dabei zuzusehen, wie er wegen eines Zuges verliert, den selbst ein kleines Schachlicht wie ich sofort als Fehler erkannt hat. Traurig ist es, aber auf eine seltsame Art auch schön.

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