Droht Schwarz-Rot der erste große Bruch? | ABC-Z

Berlin. Verfassungsrichterwahl, Stromsteuer, Reformstau – bei Illner zeigt sich, wie instabil die schwarz-rote Koalition wirklich ist.
„Macht Schwarz-Rot da weiter, wo die Ampel aufgehört hat?“ Maybrit Illner eröffnet ihre ZDF-Sendung am Donnerstagabend mit einer Frage, die in ihrer Schlichtheit fast zu harmlos klingt – angesichts der Angespanntheit der aktuellen Lage. Nur 49 Prozent glauben laut Forsa-Umfrage, Schwarz‑Rot streite weniger als ihre Vorgänger. Denn: Die deutsche Wirtschaft stagniert, Streit um die Stromsteuer lähmt das politische Handeln, und nicht einmal bei der Wahl einer Verfassungsrichterin ist man sich einig. Die erste Sommerpause der Legislatur beginnt mit einem Krisenmodus.
Streit um Verfassungsrichterwahl als Symbol politischer Blockade
Es geht um zwei Dinge an diesem Donnerstagabend: den Zustand der schwarz-roten Zusammenarbeit – und das Vertrauen in ihre Zukunft. Als Gradmesser dient ein symbolträchtiger Vorgang: die gescheiterte Wahl einer Bundesverfassungsrichterin. Die SPD will Frauke Brosius-Gersdorf durchsetzen. Doch die Union blockiert.
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Die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Verena Hubertz bleibt trotz allem optimistisch. „Wir bleiben nicht stur, sondern standhaft“, sagt sie mit Blick auf das Festhalten an der umstrittenen Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf. „Sie ist eine hervorragende Juristin.“ Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) wirkt bemüht, den Konflikt kleinzureden. „Ich bin sehr dafür, dass wir mal einen Schritt zurücktreten“, sagt er. Und: „Wir werden natürlich eine Lösung finden.“
Robin Alexander: „Es ist das zweite Mal, dass diese Koalition keine Mehrheit bekommt“
Doch auf Illners hartnäckige Nachfrage, ob das Verhalten nicht an die zerstrittene Ampel erinnere, bleibt er vage. Als sie nicht locker lässt, versucht Frei sich zu entziehen: „Ich würde sagen, wir lassen das mal so stehen.“ Stattdessen steigt Robin Alexander ein – und legt den Finger in die Wunde. „Es ist das zweite Mal, dass diese Koalition keine Mehrheit bekommt. Und das ist das Erstaunliche. Zu Beginn der Koalition ist es die Kanzlerwahl (…) und jetzt die Richterinnenwahl.“
Das seien beides Sachen, die eigentlich nicht zu großen, öffentlichen Konflikten führen sollten. „Man verhakt sich an Kleinigkeiten“, lautet sein Urteil. „Dass die SPD nicht der Union aus der Grube aufhilft, sondern sie weiter aushebt – das ist auch seltsam.“
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Die ökonomische Lage bleibt nicht außen vor. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, warnt: „Man spart an der falschen Stelle, stattdessen verteilt man Wahlgeschenke.“ Gemeint ist die Mütterrente. „Warum hat man sich an dieser Stelle dafür entschieden? Das hätte genauso viel gekostet wie die Senkung der Stromsteuer“, sagt sie.
Wirtschaftsweise warnt vor falschen Prioritäten in der Haushaltspolitik
Maybrit Illner lässt bei den beiden Politikern am Studiotisch nicht locker: „Kann man gut verargumentieren, dass man Geld für eine Mütterrente hat, aber nicht für Stromsteuererleichterung?“, will sie wissen. Hubertz weicht aus – spricht von harten Verhandlungen, von Industrie, von der großen Reformagenda. „Ich sehe das als letzte Chance, dieses Land wieder auf die Spur zu bekommen“, sagt sie. Doch auch Robin Alexander zeigt sich irritiert: „Wenn man vorher rausgibt, dass man die Stromsteuer für alle senken will – und dann rudert man zurück – dann löst das Frust aus.“
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Frei verteidigt die Prioritäten. Es gebe ein Maßnahmenpaket – vom Wohnungsbau über die Bahn bis zur Brückensanierung. „Wir arbeiten mit Hochdruck an diesen Themen“, sagt er. Doch die Mahnungen von Schnitzer bleiben: „Die große Musik spielt doch darin, dass wir uns endlich große Reformen zutrauen: Bei der Rente, bei den Gesundheitssystemen.“ Und weiter: „Wir müssen das gesetzliche Renteneintrittsalter weiter erhöhen. Das wären die Wahrheiten, die man mal auf den Tisch bringen müsste.“
Rente mit 70? Dänemark macht es vor – ohne Protest
Illner greift das auf: In Dänemark sei längst Rente mit 70 Realität – ohne Aufschrei. Hubertz kontert mit einer persönlichen Anekdote: „Mein Vater war Schlosser, der hat nicht bis 65 durchgehalten.“ Sie will nicht, dass das Thema allein von Zahlen bestimmt wird. „Herr Merz könnte auch schon in Rente sein – ist er aber nicht“, fügt sie sarkastisch hinzu.
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„Deutschland bewegt sich dann, wenn es mal so richtig knarzt“, sagt Hubertz – und meint das nicht als Drohung, sondern als nüchterne Zustandsbeschreibung. Sie erinnert an die Digitalisierungsschübe während der Corona-Pandemie, an die Energiewende infolge des russischen Angriffskriegs.
Schwarz-Rot ringt vor allem mit sich selbst
Die Sendung macht deutlich: Schwarz-Rot ringt nicht nur mit wirtschaftspolitischen Weichenstellungen, sondern vor allem mit sich selbst. Statt Tempo zu machen, streitet man über Zuständigkeiten, statt neue Mehrheiten zu organisieren, verstrickt man sich in alten Fronten.
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Am Ende bleibt der Eindruck einer Koalition, die sich mit ihrer eigenen Schwäche arrangiert hat – die keinen Kanzler im ersten Wahlgang zustande brachte, die die Schuldenbremse mithilfe der alten Mehrheit aushebelte und jetzt hofft, dass sich mit mehr Geld alles lösen lässt. Doch wie viel „Knarzen“ hält ein Land wirklich aus, das auf Reformen wartet?