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1.500-Meter-Läuferin Nele Weßel: Halbes Finale, voller Jubel | ABC-Z

Berlin taz | Sie demonstrierte reichlich Selbstvertrauen: Nele Weßel, 1.500-Meter-Läuferin, lief im Vorlauf bei den Weltmeisterschaften in Tokio geduldig an der Innenkante, was auf den nur dreidreiviertel Stadionrunden überhaupt gar nicht so leicht ist: Geduld zu haben. Nach gerade mal vier Minuten ist so ein 1.500-Meter-Lauf bei den Frauen nämlich auch schon wieder vorbei. Da ist nicht so viel Zeit wie auf den längeren Distanzen, sich im Schlussspurt rechtzeitig in die richtige Position zu schieben.

Im Fall von Weßel hieß „richtige Position“ im Vorlauf alles inklusive Platz sechs: Die ersten sechs kamen weiter in die beiden Halb­finals. Und Weßel wurde, mit neuer persönlicher Bestleistung von 4:03:57 Minuten, tatsächlich exakt Sechste. Das Selbstbewusstsein war also berechtigt. Im Halbfinal schied Weßel am Sonntagnachmittag dann aus: Die Italienerin Marta Zenoni hatte weniger Geduld, drängelte sich durch eine nicht vorhandene Lücke und brachte Weßel und eine portugiesische Läuferin damit beinahe zu Fall. Weßel wurde Letzte.

Dennoch: Die 25-Jährige Mittelstreckenläuferin, in Berlin geboren und inzwischen für den hessischen Verein TV Waldstraße Wiesbaden startend, feierte ihren Halbfinaleinzug „wie eine Medaille“, wie sie der „Sportschau“ sagte.

Ist es schon Grund zur Freude, wenn eine deutsche Nachwuchsläuferin ins Halbfinal einer Weltmeisterschaft kommt? Tja. Die euphorische Tonlage auch des „Sportschau“-Moderators beim Anblick von Weßels gereckter Faust, mit der sie die Ziellinie des Vorlaufs überquerte, als hätte sie das Final gewonnen, ist vor allem auch eine ganz gute Standortbestimmung, wie es um die internationale Konkurrenzfähigkeit der Laufdisziplinen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) bestellt ist. Es geht so.

Es gibt bei den Frauen die 3.000-Meter-Hindernis-Läuferin Gesa Krause, die 2024 bei den Europameisterschaften in Rom Silber gewann. Aber bei einer EM fehlt eben auch die Konkurrenz aus Kenia und Äthiopien. Bei den Männern im Marathon können Amanal ­Petros und Samuel Fitwi international mithalten mit der ostafrikanischen Spitze. Diese beiden Laufdisziplinen explizit ausnehmend, sah DLV-Vorstand Leitungssport Jörg Bügner nach den Olympischen Spielen in Paris im vergangenen Jahr aber „keinen Grund zur Euphorie“. Insgesamt, sagte er damals, müsse man „mehr ins Handeln kommen“, statt sich in den bürokratischen Untiefen einer Reform der Leistungssportförderung zu verlieren. „Wir schreiben ­Excel-Listen, die anderen trainieren.“

Training, Polizeischule, Training

Das ist natürlich etwas fies, denn bei Läuferinnen wie Weßel dreht sich der ganze Alltag um nichts anderes als Training. Weßel, die im Sportförderpogramm der Bundespolizei ist, gab mal zu Protokoll, die erste Trainingseinheit starte um 7.15 Uhr. Danach Polizeischule, nachmittags wieder zwei, drei Stunden Training. Bei Olympia in Paris schied sie in den Vorläufen aus. Weßels Mutter Kathrin war eine erfolgreiche Läuferin in der DDR, bei Olympia in Seoul wurde sie über 10.000 Meter Vierte.

Weßel sagte mal, die Erfolge ihrer Mutter machten ihr „Mut“. Es wäre auch verständlich, wenn sie sie unter Druck setzen würden. Aber Weßel, die als 400-Meter-Hürden-Läuferin begonnen hat, was als härteste Sprintdisziplin gilt, häufig mit Verletzungen zu tun hatte und noch drei Wochen vor Tokio mit einer Sommergrippe im Bett lag, ist offenbar geduldig. Und ja, über so viel motivierte Unverdrossenheit seiner unterfinanzierten Ath­le­t*in­nen darf sich die kaputt gesparte deutsche Sportförderung wirklich freuen.

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