Gesundheit

Drogen: Deutsche Drogenhelfer bereiten sich auf die Fentanyl-Krise vor |ABC-Z

Fentanyl, ein starkes Schmerzmittel und gleichzeitig eine illegal gehandelte Rauschdroge, führt in den USA tausende Menschen in den Tod. In Deutschland ist die Substanz bislang weniger verbreitet. Doch das könnte sich ändern – dem Schwarzmarkt geht das Heroin aus.

In der offenen Drogenszene ist Heroin seit Jahrzehnten ein verbreitetes Rauschmittel. Die meisten Drogentoten in Deutschland gehen noch immer darauf zurück. Zumindest beigemischt wird dieser Klassiker der Rauschdrogen dem Cocktail in den Spritzen, die sich Schwerstabhängige in Großstädten zubereiten. Doch neue, potenziell tödlichere Mittel drängen auf den Markt – Fentanyl zum Beispiel.

Die Substanz aus der Klasse der Opioide wird in Deutschland tausendfach legal verschrieben, etwa an Menschen mit Krebs im Endstadium. Aber sie hat auch längst auf den Schwarzmarkt gefunden und tut das immer häufiger, denn durch die Lage in Afghanistan wird das Heroin, ein ähnlich wirkender Stoff, knapp. Und das ist hochgefährlich.

Fentanyl mache nicht nur extrem süchtig, erklärt Psychiater Norbert Scherbaum, es wirke auch etwa 50-mal stärker als Heroin. „Deswegen sterben auch überproportional viele Menschen daran“, sagt der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen. Bereits zwei Milligramm gelten als potenziell tödliche Dosis.

Hierzulande starben 2227 Menschen im vergangenen Jahr am Konsum illegaler Substanzen, bei 712 Todesfällen war Heroin im Spiel, dicht gefolgt von Kokain (610 Fälle) und Crack (507 Fälle). In vielen Fällen wurde ein Mischkonsum festgestellt. Und offenbar mischen Dealer bereits Fentanyl den Stoffen bei: Laut Deutscher Aidshilfe wurden im letzten Jahr 3,6 Prozent von 1401 überprüften Heroin-Proben positiv auf die Beimengung getestet.

In den USA hat Fentanyl bereits zu einem enormen Drogenproblem mit zehntausenden Toten geführt. Nach Angaben des US-amerikanischen nationalen Instituts, das Drogenmissbrauch erforscht, starben durch eine Überdosis synthetischer Opioide – vor allem Fentanyl – allein im Jahr 2021 mehr als 70.000 Menschen.

Fentanyl gehört zu einer Gruppe vergleichsweise neuer Drogen: Es sind synthetische Opioide wie Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die alle als zugelassene Medikamente zur Behandlung starker Schmerzen eingesetzt werden. Fentanyl wirkt ähnlich wie Morphin, wird aber komplett synthetisch hergestellt.

Fentanyl kann geschluckt, gespritzt, geschnupft, geraucht oder als Pflaster angewandt werden. In Deutschland scheine die Droge bislang bei weitem nicht die Rolle wie in den USA zu spielen, sagt Scherbaum, der Vorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ist. Die Opioidkrise in den USA sei vor allem durch eine sehr großzügige und sorglose Verschreibung von starken Schmerzmitteln entstanden.

Auch in Deutschland würden solche Medikamente durchaus in einem hohen Maße und vor allem häufiger als noch vor zehn oder zwanzig Jahren verschrieben. „Aber das hat nicht das Niveau der USA.“ Auch jahrelang wiederholte Erhebungen bei Opiatabhängigen auf Entzugsstationen in Nordrhein-Westfalen hätten gezeigt, dass Fentanyl hierzulande bislang nur eine geringe Rolle spiele, so Scherbaum.

Laut Rüdiger Schmolke vom NotdienstLink wird in einem neuen Tab geöffnet für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin spielt Fentanyl in der offenen Drogenszene der Hauptstadt noch keine große Rolle. „Wir wissen, dass es in Tests schon gefunden wurde. Es ist aber nicht das Mittel oder der Stoff, den unsere Klientinnen haben wollen.“

Heroin sei aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten sicherer und garantiere einen längeren Rausch, sagt Schmolke, der Referent für Prävention und Beratung ist. Außerdem wüssten viele, dass das Risiko einer Überdosierung bei Fentanyl sehr viel höher sei. „Deshalb reagieren unsere Klienten eher skeptisch oder ablehnend auf Fentanyl.“

Scherbaum glaubt, dass die Verbreitung der Droge zunehmen und auch hierzulande zu einer Krise führen könnte. „In die Zukunft können wir natürlich alle nicht gucken, aber das Risiko ist sicherlich gegeben“, schätzt der Suchtexperte.

Das hat verschiedene Gründe – einer liegt in Afghanistan. Das Land gilt als wichtigster Standort für den Heroin-Rohstoff Opium, der aus Schlafmohn gewonnen wird. Weil die Taliban den Anbau von Mohn 2022 verboten haben, ist die weltweite Opium-Produktion laut dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) um 74 Prozent eingebrochen.

Fentanyl – günstig in der Produktion

Scherbaum zufolge hat das keine unmittelbaren Folgen, da die Lager wahrscheinlich noch gut gefüllt seien. Außerdem sei möglich, dass andere Länder nun mehr produzierten. Früher oder später sei aber mit einer Verknappung zu rechnen.

Ein weiterer Grund sei, dass sich der internationale Drogenmarkt in Zukunft stark verändern könnte, erklärt der Psychiater. „Die Drogenkartelle merken, dass synthetische Produkte für sie viel gewinnbringender und viel weniger risikoreich in Hinblick auf die Strafverfolgung sind.“ Die Herstellung von Fentanyl sei viel billiger als die von Heroin, da es im Labor hergestellt werden könne.

Schon jetzt bestehe das Risiko, dass Menschen Heroin kaufen, dem Fentanyl beigemischt sei, Konsumenten aber nichts davon wüssten. Die Folge sei, dass sie sich bei der Dosis völlig verschätzten und sich unwissentlich eine Überdosis setzten, sagt Scherbaum. Das Risiko, an bedrohlichen Herzrhythmusstörungen oder Atemstillstand zu sterben, sei bei synthetischen Drogen viel höher als bei Heroin, erklärt der Suchtexperte. Durch eine zunehmende Verbreitung von synthetischen Opioiden würde die Zahl der Drogentoten demnach steigen.

Auch Schmolke ist überzeugt, dass eine verminderte Verfügbarkeit von Heroin für Abhängige „eine absehbare Katastrophe“ wäre. Die Drogenhilfe bereite sich intensiv auf eine zunehmende Verbreitung von Fentanyl vor, auch wenn keinen Anlass für eine „Fentanyl-Panik“ gebe.

Wichtig seien Aufklärung und ein gutes und größeres Therapie- und Substitutionsangebot für Abhängige. In Berlin etwa gibt es laut dem Gesundheitswissenschaftler vier Drogenkonsumräume und drei Konsum-Mobile. Das sei zu wenig.

dpa/nihei

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