Turmfalken-Küken in Grafing: Überlebensschancen und Lebensweise – Ebersberg | ABC-Z

Ein bisschen voyeuristisch ist die ganze Angelegenheit schon: Wer hätte schon gerne in seinem Schlaf- und Wohnzimmer eine Kamera installiert, die Bilder von einem selbst, dem oder der Liebsten und dem werdenden Nachwuchs in die Welt katapultiert? Nun muss man der Stadtverwaltung Grafings allerdings zugutehalten, dass das Turmfalkenpärchen, von welchem sie Fotos auf dem Instagram-Kanal der Stadt posten, vermutlich nichts dagegen hat. Außerdem sind sie einfach sehr süß.
Auf den Fotos aus dem Horst am Dach der Grundschule sieht man sechs braune Eier, gesprenkelt mit schwarzen Punkten. Das größtenteils braun gefiederte Weibchen und das etwas auffälliger braun-grau-schwarz-farbige Männchen kümmern sich hingebungsvoll um die Eier. Sie gehen abwechselnd auf die Jagd und wärmen ihren Nachwuchs mit dem eigenen Körper. Aufteilung der Haushaltsarbeiten: Fünfzig-fünfzig.
Doch sind Turmfalken – auf Latein falco tinnunculus – im Landkreis Ebersberg eine Seltenheit? Wie viele der Küken werden überleben? Und was zum Henker haben sie mit Papageien zu tun? Antworten auf diese Fragen weiß Richard Straub, stellvertretender Vorsitzender des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz in Bayern.
Der Turmfalke ist im Landkreis Ebersberg „nicht bedroht“
Und er hat gute Nachrichten: „Es gibt so viele Turmfalken im Landkreis, dass sie als ‚nicht bedroht‘ eingestuft werden.“ Genaue Zahlen sind schwierig zu bekommen, allerdings habe der LBV über die letzten Jahrzehnte über einhundert Nisthilfen für die Falken im Landkreis aufgestellt.
Darüber hinaus sind sie nicht zimperlich, was andere Standorte für Brutstätten anbelangt: Bäume, Scheunen oder Nisthilfen, die eigentlich für die im Landkreis viel seltenere Schleiereule gedacht sind – alles fair game für die Turmfalken. „Die Wohnungssituation ist entspannt für sie“, sagt Straub. Falke müsste man sein…

:Storchenrekord
In diesem Frühjahr nisten im Landkreis Ebersberg so viele Storchenpaare wie mindestens seit 60 Jahren nicht mehr.
Wie viele Turmfalken es im Landkreis gibt und wie viele ihre Küken sie durchbringen können, hängt maßgeblich davon ab, wie das Mäusejahr ist. Laut chinesischer Astrologie befinden wir uns im Jahr der Holz-Schlange, aber das ist nicht damit gemeint. „In einem milden Winter überleben mehr Mäuse“, erklärt Straub. Das bedeutet mehr Futter für die Vögel und ihre Jungen. Da der letzte Winter recht mild war, geht Straub davon aus, dass alle Küken durchkommen werden, jedoch mindestens fünf von ihnen. Das Nesthäkchen hat dabei die geringste Überlebenswahrscheinlichkeit.
Die Mäuse erbeutet der Turmfalke mit einer besonderen Jagdmethode. Im Gegensatz zu den Lauerjägern Storch oder Graureiher, die auf dem Boden jagen, erhebt sich der Turmfalke in die Lüfte. Im sogenannten Rüttelflug bewegt er sich allerdings nicht von der Stelle, sondern nutzt die Winde und eine besondere Flügelschlagtechnik, um in der Luft an einer Stelle zu bleiben. So hat der Greifvogel einen hervorragenden Überblick und kann sich auf seine Beute stürzen.
Genetisch gesehen handelt es sich beim Turmfalken um einen Sing- und keinen Greifvogel
Wobei es zweifelhaft ist, dass der Turmfalke wirklich ein Greifvogel ist – zumindest genetisch gesehen. „Er ist nicht sehr nah verwandt mit anderen heimischen Raubvögeln wie dem Bussard oder dem Habicht“, sagt Straub. DNA-Analysen haben gezeigt, dass er mit dem Papagei näher verwandt ist und keine direkte verwandtschaftliche Beziehung zu den Greifvögeln hat. Der Turmfalke, so scheint ist, ist also ein Singvogel. Dieser Polly ist das aber egal. Diese Polly will keinen Cracker, sondern Mäusefleisch und diese Polly bittet auch nicht darum. Ein ausgewachsener Turmfalke verzehrt etwa ein Viertel seines Körpergewichts an Nahrung pro Tag.

Den Turmpapageien im Landkreis scheint es also gut zu gehen. Doch wird der Klimawandel für sie eine Herausforderung darstellen? Richard Straub ist auch hier zuversichtlich. „Turmfalken sind gut an viele unterschiedliche Temperaturen angepasst“, sagt er. Man findet sie sowohl in kälteren als auch in wärmeren Regionen.
Mittlerweile sind einige der Küken geschlüpft. Vier der weiß-grauen, etwas zerzausten Küken betteln bereits um Nahrung, zwei der Eier lassen sich noch etwas Zeit. Zu sprechen oder gar zu singen hat noch keines der Küken angefangen. Es würde sich aber vielleicht lohnen, neben der Kamera auch ein Mikrofon aufzustellen.