Drei Jahre Krieg in der Ukraine: Schweden und Finnland: Sicherheitspolitische Kehrtwende im Norden | ABC-Z

Drei Jahre Krieg in der Ukraine
Schweden und Finnland: Sicherheitspolitische Kehrtwende im Norden
26.02.2025, 17:34 Uhr
Artikel anhören
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden
Schweden und Finnland haben schnell erkannt, dass Russlands Überfall auf die Ukraine ein radikales Umdenken erfordert. Unvorbereitet waren sie nicht: Schweden etwa hatte die Wehrpflicht schon 2017 wieder eingeführt.
Ein Montagmittag in Stockholm: Trotz eisiger Kälte haben sich um die hundert Menschen auf dem Sergels Torg, einem zentralen Platz der schwedischen Hauptstadt, versammelt. Es ist ein berührender Moment, als ein Junge die ukrainische Nationalhymne anstimmt. Jeden Montag um die gleiche Zeit versammeln sich hier Bürgerinnen und Bürger, um ihre Solidarität mit der Ukraine auszudrücken. Neben Beiträgen von Politikern und Kulturschaffenden werden ukrainische Lieder gesungen. Die Menschen auf dem Platz teilen ihre Ängste und Hoffnungen und zeigen vor allem eins – ihr Mitgefühl und ihre Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, die sich unter großen Opfern dem russischen Aggressor entgegenstellen.
Seit dem 24. Februar 2022, dem Tag, als russische Truppen die Ukraine überfielen, hat sich in der schwedischen Gesellschaft viel verändert. Schweden engagiert sich aktiv in der humanitären Hilfe für die Ukraine, nahm Flüchtlinge auf und stellte umgehend finanzielle Unterstützung für Hilfsorganisationen bereit. Und es änderte sich auch etwas in der öffentlichen Wahrnehmung: Viele Bürgerinnen und Bürger wurden sich der zunehmenden Bedrohungen durch Russland bewusst, was zu einer erhöhten Unterstützung für eine stärkere Verteidigungspolitik führte.
„Wenn man sich der Bedrohung bewusst ist, ist man besser vorbereitet.“ Ein Satz, den man oft hört. Und er kommt nicht überraschend, denn das schwedische Konzept der „Gesamtverteidigung“ (auf Schwedisch „Totalförsvar“, also wörtlich „Totalverteidigung“) ist ein umfassender Ansatz zur nationalen Sicherheit, der sowohl militärische als auch zivile Aspekte integriert. Es zielt darauf ab, die Gesellschaft als Ganzes auf mögliche Bedrohungen und Krisen vorzubereiten, sei es durch militärische Aggression, Naturkatastrophen oder andere Notlagen. Um dies zu gewährleisten, hat Schweden eigens einen Minister berufen: Carl Oskar Bohlin ist der schwedische Minister für zivile Verteidigung und spielt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des Gesamtverteidigungskonzeptes. Sein Ministerium ist verantwortlich für die Koordination von Maßnahmen zur zivilen Verteidigung und Krisenbewältigung.
Schweden hat schon 2017 die Wehrpflicht wieder eingeführt
Die Nordischen Länder haben schnell erkannt, dass Russlands Angriffskrieg ein radikales Umdenken, insbesondere in der Sicherheitspolitik, erfordert. Nur drei Monate nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine stellten Stockholm und Helsinki einen Nato-Beitrittsantrag. Finnland, über lange Zeit betont militärisch neutral, trat 2023 dem Militärbündnis bei, ein Jahr später erfolgte der Beitritt Schwedens.
Die militärische „Zeitenwende“ hatte sich jedoch bereits 2017 angedeutet, als Schweden als Reaktion auf die russische Besetzung der Krim im Jahre 2014 die Wehrpflicht wieder einführte. Finnland, das mit Russland eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze teilt, erhöhte seine Verteidigungsausgaben und hat in den letzten Jahren seine militärischen Kapazitäten modernisiert und verstärkt, um auf die Bedrohungen durch hybride Kriegsführung und militärische Provokationen reagieren zu können. Dies umfasst auch die Verbesserung der Luftverteidigung und die Stärkung der maritimen Präsenz.
Insgesamt zeigt die hybride Kriegsführung Russlands im Ostseeraum, wie komplex und vielschichtig moderne Konflikte sein können. Die Aktivitäten von sogenannten Schattenflotten-Schiffen, mit deren Hilfe Russland die EU-Öl-Sanktionen aufgrund des Angriffskrieges in der Ukraine zu umgehen versucht, stellen außerdem eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar. Die Tanker sind in einem fragwürdigen technischen Zustand, und die Havarie eines solchen Schiffes könnte eine verheerende Ölpest in der Ostsee auslösen. Auch das besorgt viele Menschen in den Ostsee-Anrainerstaaten.
Finnland bietet Kurse in „civil preparedness“ an
Ein weiteres besorgniserregendes Element der hybriden Kriegsführung sind die wiederholten Vorfälle mit beschädigten Unterseekabeln, die es immer wieder auch in die deutschen Nachrichten schaffen. Diese Kabel sind entscheidend für die globale Kommunikation und den Datenaustausch. Angriffe oder Störungen an den Unterseekabeln können erhebliche wirtschaftliche und sicherheitspolitische Folgen haben. Es gibt Hinweise darauf, dass russische Schiffe oftmals in der Nähe dieser Kabel operieren, was die Besorgnis über mögliche Sabotageakte verstärkt. Solche Aktionen könnten darauf abzielen, die Kommunikationsinfrastruktur der Nato-Staaten zu destabilisieren und die Reaktionsfähigkeit im Krisenfall zu beeinträchtigen.
Finnland, mit seiner Wehrpflicht und einem gut ausgebildeten Militär, ist bestrebt, sich auf diese Herausforderungen einzustellen und die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Die allgemeine Wehrpflicht, die nie abgeschafft worden war, stellt sicher, dass eine große Anzahl von Bürgern im Falle eines Konflikts mobilisiert werden kann. Die Wehrpflicht ist zudem Bestandteil der nationalen Verteidigungsstrategie und trägt zur Resilienz der Bevölkerung bei. Gleichzeitig werden für die Zivilbevölkerung Kurse zu „civil preparedness“, also zur Vermittlung nützlicher Skills im Falle einer Krise, angeboten. Diese verbuchen einen enormen Zulauf.
Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine erreicht, die militärisch traditionell eher neutralen Länder im Norden stärker an das westliche Sicherheitsbündnis zu führen. In beiden Ländern war der Nato-Beitritt kaum umstritten. Vor einigen Jahren hätte das sicher noch zu kontroversen Debatten geführt. Politik und Zivilgesellschaft stehen fest an der Seite der bedrängten Ukraine. Die militärische und humanitäre Hilfe, die Aufnahme geflüchteter Ukrainerinnen und Ukrainer und die verhängten Sanktionen gegen den Aggressor stoßen auf einen breiten Konsens in der Bevölkerung beider Länder. All das – da ist man sich einig – hilft dem ukrainischen Volk und stärkt die Sicherheit Europas.
Die Autorin: Christine Leuchtenmüller leitet das Auslandsbüro Nordische Länder der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Stockholm.