Politik

„Drag ist eine Extension meiner Persönlichkeit“ | ABC-Z






Kelly Heelton

Seit nunmehr 20 Jahren steht Kelly Heelton auf der Bühne – und performt. Die Drag-Queen hat sich einen Namen gemacht. Nicht zuletzt durch die Teilnahme an der Fernsehshow „Drag Race Germany“ 2023, der deutschen Version von „RuPaul’s Drag Race“. Es war ihr beruflicher Durchbruch als professionelle Drag-Queen. Kelly Heelton schaffte es ins Finale der Show und wurde am Ende Vierte.

Das hätte sie sich bei ihrem ersten Auftritt vor 20 Jahren wohl nie erträumen lassen. Damals sprang sie bei einem Drag-Event in Köln kurzfristig für eine Freundin ein. Zu der Zeit lebte Heelton erst seit kurzem in Deutschland und hatte nur wenige Berührungspunkte mit der Kunstform. Es war eine prägende Bühnenerfahrung, diesem ersten Auftritt im Hilton-Hotel verdankt sie auch ihren Künstlernamen. Später wurde aus „Hilton“ „Heelton“, wie „High Heels“. „Ein Glück, dass mein erster Auftritt nicht bei Ikea oder Rewe war“, sagt sie und lacht. Auch abseits des Rampenlichts steht Kelly Heelton auf der Bühne, als Schauspielerin. Außerdem unterrichtet sie Kinder in Gesang und Tanz unter anderem an einer Frankfurter Musicalschule.












Ursprünglich kommt die Performerin aus Brasilien. Schon als Kind hatte sie Freude daran, sich zu verkleiden. Mit dem Umzug nach Deutschland 2003 entdeckte Kelly Heelton schließlich ihre Leidenschaft für Drag, und die hält bis heute. Das spürt man vor allem in den Momenten, in denen sie über ihre Identitätsfindung spricht: „Drag ist quasi therapeutisch. Es ist eine Extension meiner Persönlichkeit. Wenn ich mich schminke, fühle ich mich wie eine Superheldin. Aber Clark Kent bleibt.“

Es gehe darum, erklärt Heelton, die eigene Identität, seine Persönlichkeit zu entdecken. Doch beobachtet die deutsch-brasilianische Künstlerin gerade bei der jüngeren Generation auch eine gefährliche Entwicklung durch den medialen Einfluss: „Einfach sich zu schminken und die Persönlichkeiten anderer aus dem Internet zu kopieren, hat nichts mit Drag zu tun.“





Seit ihren Anfängen habe sich viel verändert. Drag als Kunstform, wie wir sie heute kennen, sei endlich im Mainstream angekommen, freut sich Heelton. Als Beispiel nennt sie „Drag Race Germany“. „In der Sendung durften wir uns so präsentieren, wie wir sind, unsere ‚wahre Seite‘ zeigen.“ Sie selbst kennt das noch ganz anders. Wenn etwa Schwule in Medien als lächerliche Figuren oder als „Paradiesvögel“ dargestellt werden – das Wort hasst Kelly Heelton.

Es gibt auch viel, was sich noch nicht verändert habe. Homofeindliche Anfeindungen gegenüber der LGBTQ-Community seien weiterhin ein Problem, sagt Heelton, die sich auch für andere einsetzen möchte. Alltäglicher Rassismus sei ebenfalls ein Thema, vor allem in der PoC-Community. Kelly Heelton spricht aus eigener Erfahrung. Sie wurde selbst schon oft Opfer verbaler und körperlicher Attacken, auch in Frankfurt. Wie sich so etwas ändern ließe? Das verrät die Drag-Queen zum Schluss: „Wir müssen uns mehr und mehr zeigen! Wir tun nichts Schlechtes, nur weil wir so sind, wie wir sind. Wir wollen nichts anderes als Respekt. Und den müssen wir einfordern.“




Lady Amanda Kayne

Es sind die Chansons der Zwanziger- und Dreißigerjahre, mit denen Lady Amanda Kayne ihr Publikum verzaubert. Sie bezeichnet sich selbst als Travestiekünstlerin. Eine Kunstform, die auf den ersten Blick vielleicht weniger populär erscheint als Drag, nicht ganz so schrill und auffällig. Am ehesten denkt man dabei an das Travestie-Duo Mary und Gordy aus vergangenen Zeiten. Doch die Kunstform ist aktueller denn je. Das beweist die glamouröse Lady Amanda Kayne auf der Bühne: „Ich habe etwas zu sagen. Und diese Botschaft will ich den Zuschauern mitgeben.“








Richtig trennscharf lassen sich Drag und Travestie nicht voneinander abgrenzen, die beiden Kunstformen des Cross-Dressings gehen ineinander über. Doch grundsätzlich erschafft eine Drag-Queen mit ihrer Rolle eine Art Alter Ego, während ein Travestiekünstler üblicherweise in verschiedene Frauenrollen schlüpft und sie parodiert. Lady Amanda Kayne zufolge, die mit ihrer Bühnenrolle ebenfalls eine zweite Identität ins Leben gerufen hat, liegt der Unterschied zu Drag hingegen woanders: „Bei der klassischen Travestie, wie ich sie betreibe, spielen ernstere Themen, die unter die Haut gehen, eine genauso große Rolle wie der Unterhaltungsfaktor.“ Bei Drag stehe eher das Entertainment im Vordergrund. Zudem singe eine Travestiekünstlerin überwiegend live. Wenngleich Drag dadurch nicht weniger Tiefgang habe: „Egal ob Drag oder Travestie: Sobald wir eine Bühne betreten, machen wir ein politisches Statement. Die Travestie ist auf einem anderen Level unterhaltsam.“

Schon mit 16 Jahren hatte Patrick Franke, wie die Künstlerin privat heißt, sein Bühnendebüt. Damals noch ohne einen Künstlernamen, der entstand erst rund zwei Jahrzehnte später: „Amanda“ ist die Starke, „Kayne“ steht sinnbildlich für das Schöne, das Ästhetische. Als Fan von „Downton Abbey“ musste noch das „Lady“ her, und auch „weil ich halt keine zwanzig mehr bin“, ergänzt die Travestiekünstlerin und lacht.





Der Weg ins Rampenlicht verlief damals ungeplant. Doch er ging immer weiter. Im Frankfurter Papageno-Theater steht Lady Amanda Kayne noch regelmäßig auf der Bühne. Nicht überall findet die Kunstform Anklang. Laut Kayne liegt das vor allem daran, dass bei vielen noch immer ein Klischeedenken herrsche. Wie zum Beispiel, dass man als Travestiekünstler immer die „Frau“ in der Beziehung sei. Oder dass nur schwule Männer Drag machen würden.

„Das sind veraltete Denkmuster“, sagt Kayne, die in ihrem Leben selbst oft mit Gegenwind zu kämpfen hatte. Vor allem das Verhältnis zum christlich geprägten Elternhaus sei sehr schwierig. „Allein die Tatsache, dass man homosexuell ist, ist dort eine Todsünde“, sagt die Performerin. Bis vor sechs Jahren wussten die Eltern nicht einmal von der Verwandlungskunst des eigenen Sohnes. Das waren Erfahrungen, die sie bis heute prägen – und stärker machen. Denn wenn Lady Amanda Kayne heute auf der Bühne steht, hat sie eine besondere Botschaft: „Wir müssen gegen die Vorurteile kämpfen und den Leuten zeigen, dass es eben nicht immer so ist, wie sie denken.“




Alraune

Mit phantasievollen, originellen Performances zieht die Drag-Queen Alraune die Zuschauer in ihren Bann. Ihre Auftritte sind schon jetzt unverwechselbar. Dabei steckt die Bühnenkarriere der Drag-Queen quasi noch in den Kinderschuhen. Theo, die Person hinter der Showfigur, startete erst vor gut einem Jahr mit Drag. Doch hat die kreative Zwanzigjährige bei Auftritten wie dem Drag Slam in Frankfurt schon bewiesen, was in ihr steckt.








Begonnen hat alles mit ersten Schmink- und Make-up-Erfahrungen in der Kindheit. Alraune tauchte immer weiter in die Kunst ein und machte sie sich schließlich zu eigen. „Mir geht es bei Drag um das Erzählen einer Geschichte. Schlechte Ereignisse, die in der Welt passieren, nehme ich in meine Performance auf und drehe sie um, mache daraus was Schönes.“ Das sei ihr Weg, mit schlimmen Sachen klarzukommen. Auch Filme und Literatur, erklärt die Drag-Queen, nutze sie oft als Inspirationsquelle. Dabei mische sie Fantasy-Elemente mit realen Dingen. „Das ist immer meine Grundidee, wenn ich Looks entwerfe.“

Abseits des Rampenlichts studiert sie im vierten Semester Modedesign an der AMD Hamburg. Die eigenen Outfits kreiert die Drag-Queen selbst. Praktisch, Drag ist bekanntlich ein teures Hobby. Die Künstlerin versucht, für die Bühnenlooks vieles, was sie schon hat, zu verwenden oder Secondhand zu kaufen. Auch Freunde werden gerne nach Leihgaben gefragt.





Für Alraune beginnt Drag nicht erst auf der Bühne. Der Weg dorthin, das Entwickeln der Performance, ist Teil der Kunst. Der eigene Input durch die Mode sei dabei unentbehrlich. Drag vereine verschiedene Interessen. „Nicht nur Zeichnen, sondern auch Musik und Film gehören für mich dazu. Meiner Kreativität sind keine Grenzen gesetzt“, erklärt die Künstlerin den Prozess des Entstehens, der auch schon mal ein halbes Jahr dauern kann. Man spürt, wie wichtig ihr Perfektion ist. „Ich möchte keine Kreation der Öffentlichkeit präsentieren, wenn ich nicht komplett dahinterstehe. Es ist der Selbstausdruck, den ich mit meiner Kunst zeigen möchte“, sagt Alraune. „Nicht mal unbedingt anderen Menschen. In erster Linie mache ich Drag für mich selbst.“ Der Selbstausdruck, auf den sie anspielt, greift noch tiefer. Heute gibt es wohl kaum eine Kunstform, die so polarisiert wie Drag. Eine oft missverstandene Kunst, deren Protagonisten häufig anecken. Nicht selten müssen sich Drag-Queens für das, was sie tun und wer sie sind, rechtfertigen. Auch Alraune. „Drag kämpft gegen die Norm an, damit kommen viele Leute nicht klar. Mittlerweile ist mir das aber egal“, sagt sie. Das war nicht immer so. Mit der Zeit jedoch wurde Alraune mutiger, traute sich mehr – dank Drag. „Es ist ein Prozess. Durch Drag bin ich selbstbewusster geworden.“ Die Kunst gebe ihr Kontrolle. Nicht darüber, was andere über sie denken, aber darüber, was sie auf der Bühne von sich zeigt.

Und was hat es mit dem Namen „Alraune“ auf sich? Zu ihrer zweiten Identität hat die Künstlerin ihre ganz eigene Geschichte. Gewählt wurde das gleichnamige Nachtschattengewächs passend zum Nachtleben einer Drag-Queen. „Und“, ergänzt Alraune trocken, „mir ist einfach kein witziger Name eingefallen.“




Giselle Hipps

Giselle Hipps liebt es, als Drag-Queen andere Menschen zum Lachen zu bringen. Es ist einer der Gründe, warum sie sich vor gut zwölf Jahren für Drag entschied. „Es ist eine einzigartige Kunstform, die eine völlig neue Persönlichkeit erschafft“, sagt die Drag-Queen. Unter der Woche ist Hendrik, wie die Künstlerin privat heißt, Pflegedienstleiter einer Einrichtung im Frankfurter Westend. Am Wochenende steht die farbenfrohe, laute Giselle Hipps im Rampenlicht. Immer einen Spruch auf den Lippen, immer am Polarisieren. Ihr Künstlername entstand einst auf einem Christopher Street Day. Es ist eine Umkehrung ihrer Initiale, „und wegen eines Rocks, der meine Hüfte sehr breit gemacht hat“. Der Name hat sich nicht nur auf der Bühne etabliert. Auch privat bleibt sie für ihre engsten Freunde Gisela. Doch ist es nur der Name, der bleibt. „Ich will nicht immer Giselle sein, Hendrik würde mir schon fehlen“, sagt Hipps, die gerne auch mal aus ihren High Heels schlüpft, „um meine Füße zu spüren“.








Es ist nicht nur der Wechsel der Persönlichkeiten, der die Faszination ausmacht. In erster Linie nutzt die Drag-Queen die Kunstform als politisches Sprachrohr. Durch den Rechtsruck habe sich ihr politisches Engagement auf der Bühne weiter verstärkt: „In meinen Shows positioniere ich mich klar gegen rechts und spreche mich laut dagegen aus, die AfD zu wählen.“ Schließlich sei Drag schon immer politisch. „Die ersten Menschen, die damals auf der Christopher Street gegen die Polizei demonstriert haben, waren Transmenschen und Drag-Queens“, sagt die Dreißigjährige. Seitdem habe sich viel getan. „Drag ist in der Gesellschaft angekommen, doch akzeptiert ist es noch nicht. Wir werden immer noch bespuckt, verfolgt, beleidigt, bekommen Morddrohungen bei Instagram und werden sexuell belästigt.“





Ihre Anfänge hatte Giselle Hipps bei einer Jugendgruppe in Aschaffenburg. Ein Jahrzehnt später ist sie als Moderatorin zahlreicher Events deutschlandweit bekannt. Vorne mit dabei: der Drag Slam in Frankfurt. Seit vielen Jahren führt Hipps durch den Contest mit verschiedenen Newcomern aus der Drag-Szene. Sich selbst nennt Hipps „die jüngste Milf Frankfurts“: „Ich habe tausend Kinder.“ Damit sind jene gemeint, die Ablehnung erfahren haben und in der „Drag-Slam-Familie“ Halt finden. Giselle Hipps, ursprünglich aus einem konservativen Landkreis, hatte es in der Jugend selbst nicht immer leicht. Wegen ihrer Sexualität wurde sie Opfer vieler Schikanen. Mit 14 kam das Outing bei der Mutter, mit 18 beim Vater – aus Scheu vor seiner Reaktion. Unbegründet. Sie hat bis heute ein gutes Verhältnis zu ihrer Familie. „Ich möchte mich nicht mehr verstecken. Wer mich nicht so akzeptiert, wie ich bin, hat keinen Platz in meinem Leben verdient.“

Wenn man Giselle Hipps zuhört, wird deutlich: Drag kann alles Mögliche sein, die Kunst der Verwandlung, ein politisches Statement oder auch ein Zufluchtsort. Das Besondere an Drag sei, so Hipps, dass man auch nach jahrelanger Routine immer noch neue Seiten entdecke. Es gebe keine Grenzen. Und was bedeutet Drag für Giselle Hipps persönlich? „In erster Linie: Liebe zu verbreiten. Denn die Menschen sollten endlich mal anfangen, lieb zueinander zu sein.“




Abby Tension

Als Abby Tension in die funkelnde Welt des Cross-Dressings eintauchte, ahnte sie noch nicht, dass Drag die Antwort auf ihre Fragen sein sollte. Fragen, die viele Jugendliche in ihrer Findungsphase haben. „Ich wusste damals noch nicht, ob ich schwul bin“, erinnert sich die Drag-Queen an die Zeit zurück, als sie 17 war. Vor allem sei es die starke feminine Seite gewesen, die Tension spürte und nicht zuordnen konnte. Wie geht man damit um? „Eine Zeit lang habe ich darüber nachgedacht, ob ich transsexuell bin“, sagt sie. Vielleicht sei es einfach der Wunsch ihres Körpers, eine Frau zu sein.








Das ist nun sechs Jahre her. Heute weiß die Dreiundzwanzigjährige mit ihrer femininen Seite umzugehen. „Mit dem Erschaffen einer weiblichen Illusion kann ich meine innere Weiblichkeit zufriedenstellen. Sie muss nur mal rausgelassen werden“, erklärt sie ihre Selbstfindung. „Drag hat Gleichgewicht in mein Leben gebracht.“

Schon als Kind war Abby Tension von den farbenfrohen Drag-Queens im Fernsehen fasziniert. Fernsehauftritte von Olivia Jones und die amerikanische Reality-Show „RuPaul’s Drag Race“ inspirierten sie dazu, selbst mit Drag anzufangen. Den passenden Künstlernamen habe sie sich gut überlegt, sagt die Künstlerin, die privat Clemens heißt. Der Drag-Name-Generator im Internet habe das Wort „Tension“ ausgespuckt. In Kombination mit dem weiblichen Vornamen „Abby“ klinge das wie „Attention“. Passend zur Berufsbezeichnung also.





Aufgewachsen ist Abby Tension in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Sie lebt immer noch dort, auch wenn sie es in der ländlichen Gegend als Drag-Queen nicht leicht hat. „Die Weltbilder einiger Personen sind den erschreckenden Wahlergebnissen der AfD im Osten nicht unähnlich“, sagt Tension. Aus diesem Grund habe sie schon im Vorhinein mit Gegenwind gerechnet – und sich dagegen gewappnet. „Ich achte immer darauf, dass ich nicht allein unterwegs bin, wenn ich Drag mache.“ Zu Anfeindungen kam es dennoch mehrfach. Auch unkostümiert wurde die Drag-Queen schon als „Transe“ beschimpft. Ein wunder Punkt. „Daran merkt man, wie ungebildet manche Menschen sind. Nur weil ich mich als Frau verkleide, heißt das eben nicht, dass ich transsexuell bin“, sagt Abby Tension, die sich mit ihrer sexuellen Identität intensiv auseinandergesetzt hat.

Sie habe gelernt, solche Situationen zu ignorieren. Denn nicht selten eskalieren verbale Anfeindungen zu körperlichen Attacken. „Lieber versuche ich, den Osten von innen heraus zu verändern, statt wegzuziehen“, sagt die selbstbewusste Drag-Queen. Doch die Akzeptanz hänge nicht nur von der ostdeutschen Mentalität ab. „Meinem Gefühl nach fällt es älteren Menschen einfacher, mit Drag umzugehen, als Jüngeren“, meint Abby Tension. Sie habe bis jetzt nur von jüngeren Menschen Ablehnung erfahren. Nicht jedoch von ihren Eltern. Sie stehen der Performancekunst offen gegenüber: „Sie gehören zu meinen größten Fans.“ Von ihrem Vater wurde sie bereits für einen Auftritt gebucht. Die Drag-Karriere läuft nebenher. Das will Abby Tension in nächster Zeit auch nicht ändern. „Ich lebe eher die Spontanität und schaue, was auf mich zukommt.“ Ihr Ziel? „Jung sein und mein Leben genießen.“




Twiga

Es braucht Mut, anders zu sein. Das weiß kaum jemand besser als die Drag-Queen Twiga. Aufgewachsen ist sie in Oman, einem Land auf der Arabischen Halbinsel. Dort ist die Kunst des Crossdressings – also die Kleidung eines anderen Geschlechts zu tragen – ein Tabuthema. Auch Homosexualität wird in Twigas Heimatland am Persischen Golf nur hinter verschlossener Tür gelebt. „Bis zu drei Jahren Gefängnis können einem dafür drohen“, sagt die 24 Jahre alte Drag-Queen. Sie musste ihre sexuelle Identität lange verstecken. Pop-Ikonen wie Lady Gaga und RuPaul seien es schließlich gewesen, erinnert sich Twiga, die in ihr damals eine Art Widerstand geweckt hätten. Ihre Idole zeigten ihr eine Möglichkeit, einen neuen Weg, sich selbst ausdrücken zu können. „Durch sie habe ich gelernt, dass es nicht falsch ist, Geschlechterrollen aufzubrechen“, sagt Twiga. „Es ist nicht falsch, wenn man anders ist.“








2022 kam Twiga allein aus Oman nach Deutschland. Noch im Sommer desselben Jahres folgte ihr Bühnendebüt als Drag-Queen. „Es war von der ersten Sekunde an befreiend. Ein unglaubliches Gefühl.“ Auf der Bühne werde sie so akzeptiert, wie sie wirklich ist. „Genauso wie ich männlich sein konnte, konnte ich weiblich sein. Niemand hat mich dafür verurteilt.“ Den Künstlernamen verdankt sie Freunden aus ihrem Heimatland. „Twiga“ bedeutet „Giraffe“ in Swahili, einer der Sprachen, die in Oman gesprochen werden. „Ich war immer größer als meine Freunde“, sagt die Künstlerin. Neben ihrer eigenen Drag-Show in Saarbrücken, einer Verbindung der amerikanisch-europäischen Drag-Welt mit der arabischen Kultur, performt sie auf Bühnen in Deutschland. Auch beim Drag Slam in Frankfurt, bei dem Twiga im Januar 2024 auf dem ersten Platz landete.





Drag ist für Twiga mehr als ein Wettbewerb oder eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Vielmehr sei es eine Form des Protests. „In meiner Selbstdarstellung muss ich mich nicht mehr an gewohnten Geschlechternormen orientieren. Ich muss nicht das Bild transportieren, das andere von mir erwarten“, sagt sie. Selbstbewusst steht sie heute auf der Bühne. Doch jeder Kampf ist mit Schmerz verbunden. Auch in Deutschland ist man vor Homofeindlichkeit und Rassismus nicht immer sicher. Schon oft, berichtet Twiga, sei es zu Anfeindungen gekommen. Auf der Straße, in der Bahn, an Veranstaltungsorten. „Am besten ignoriert man es einfach“, sagt die Künstlerin, die seit zwei Jahren in Saarbrücken lebt, wo sie in einer Eisdiele arbeitet.

Die Art und Weise, auf die Twiga das Publikum in ihren Bann zieht, ist einzigartig – und grenzüberschreitend. Das erkennt man unter anderem an ihrem Bühnenlook, bei dem sie ägyptische Kleider mit osmanischem Kopfschmuck kombiniert. Twiga ist auch die einzige öffentliche Drag-Queen aus der Golfregion des Nahen Ostens. „Ich kenne aus meiner Region und Kultur sonst niemanden, der Drag macht“, sagt sie. Eine Verantwortung für die junge Künstlerin. „Ich versuche, die Person zu repräsentieren, die ich immer sein wollte, als ich jünger war.“ Nun ist Twiga, die revolutionäre Drag-Queen aus Oman, für andere zu dem Idol geworden, das sie selbst ihr Leben lang gebraucht hätte.




Miss Ivanka T.

„Drag ist immer das, was man draus macht.“ Der Satz gehört zu einem der wohl seltenen Statements von Miss Ivanka T., die nicht so polarisieren. Seit sechs Jahren steht die professionelle Drag-Queen im Rampenlicht – und sagt stets ungefiltert ihre Meinung. Als Moderatorin von Events, in ihrem Podcast „Gschichten aus der Schwulenbar“, als DJ im LGBTQ-Club SchwuZ und als Influencerin in sozialen Medien. Von vielen Fans wird sie dafür gefeiert und bewundert – von anderen gehasst. „Die Anfeindungen sind unzählbar“, sagt Miss Ivanka T. „Gefühlt wird es aktuell wieder schlimmer.“ Vor allem online trauten sich die Leute wieder mehr.

Miss Ivanka T. hat ihren eigenen Weg gefunden, damit umzugehen. Hasskommentare, die sie etwa auf Tiktok bekommt, postet sie öffentlich. In solchen Fällen bleibe nur die Flucht nach vorn: „Wenn immer der Klügere nachgeben würde, wird die Welt irgendwann von Dummen regiert.“








Miss Ivanka T. musste sich früh ihren eigenen Weg bahnen. Sie kann es selbst manchmal kaum glauben, wie anders ihr Leben heute aussieht als vor elf Jahren. Damals, mit 19, verließ sie ihre österreichische Heimat und zog für das Fotografiestudium nach Berlin. Dort startete ihre „Drag-Journey“, wie sie es nennt.

Aufgewachsen in einem konservativen Umfeld, hat sie in jungen Jahren gelernt, ihre feminine Seite zu unterdrücken: „Alles was mit Weiblichkeit behaftet war, war negativ. Das Patriarchat stand immer ganz oben.“ Ihr Queer-Sein habe sie jahrelang versteckt, wie eine Fremde in der eigenen Haut. „Es gab zwei, drei Drag-Queens in meinem Dorf, doch die wurden nur gefeiert, wenn sie in ihrer Rolle waren. ‚Out of Drag‘ wollte niemand was mit ihnen zu tun haben.“ Wegen ihrer feminineren Seite hatte sie schon früh zu kämpfen. „Man hat mich als Schwuchtel beschimpft, da wusste ich nicht mal, was schwul bedeutet.“





Mit dem Umzug nach Berlin änderte sich vieles. Die Kunstform gab ihr eine neue Perspektive. „Zu Beginn hätte ich nie gedacht, dass Drag die Macht hat, Leben zu verändern“, sagt die Dreißigjährige, die anfangs nur für den Gratiseintritt im Club mal in Drag schlüpfte. „Aber es ist wirklich so: Drag rettet Leben.“ Niklas, die Person hinter der Showfigur, habe sich immer zu hässlich, zu unattraktiv gefunden. Mit Drag kam das Selbstbewusstsein, „sich auch ‚out of Drag‘ sexy zu fühlen“. Auch ihr Künstlername hat eine besondere Geschichte. Sie habe immer „Ivanka“ verstanden, wenn im Film die Oompa Loompas eigentlich „Willi Wonka“ sangen, und die Abkürzung „T.“ für „Trnka“ erinnert an ihre tschechischen Wurzeln. Und das Miss? „Ich war halt schon immer ein Fan von Misswahlen.“

Was macht Miss Ivanka T. nun selbst aus Drag? Sie beschreibt es als eine Art Traumabewältigung: Früher wurde man dafür fertiggemacht, jetzt dafür gefeiert. Heute hat die selbstbewusste Drag-Queen kein Problem mehr damit anzuecken. Ganz im Gegenteil: „Ich bin dermaßen stolz auf meine Sexualität. Ich zeige so viel von mir, weil ich hoffe, für andere ein Vorbild sein zu können.“ Sie will ihnen sagen: „Du musst keine Angst haben. Es wird besser.”






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