Dortmund besiegt Bilbao in Champions League: Das Paradox des BVB | ABC-Z

Nur kurz streifte Niko Kovac in seinem Rückblick einen erstaunlichen Aspekt, den niemand besonders erwähnenswert fand, nach Borussia Dortmunds klarem 4:1-Sieg gegen Athletic Bilbao. „Wir haben schon wieder vier Tore geschossen“, sagte der Trainer des BVB, „das scheint Standard zu sein nach dem Juventus-Spiel“, bei dem der Bundesligaklub zum Auftakt der neuen Europapokalsaison 4:4 gespielt hatte. Dabei ist dieser Torreichtum eine kleine Sensation. Kein anderes Team hat in der Champions League bisher öfter getroffen, nicht Real Madrid, nicht Paris und erst recht nicht Barcelona.
Das ist ein bemerkenswertes Zwischenergebnis, zumal diese Offensivstärke nur wenig mit der besonderen Qualität des Starstürmers Serhou Guirassy zu tun hat, dem Torschützenkönig der vergangenen Champions-League-Saison. Guirassy hat in diesem Jahr erst einmal getroffen, eher zufällig, weil ein Schuss von Marcel Sabitzer in der 82. Minute gegen Bilbao von seinem linken Fuß ins Tor abgefälscht wurde.
Statt des einen Supertorjägers haben die Dortmunder nicht nur die gefährlichste, sondern auch die vielseitigste Offensive des bisherigen Wettbewerbs: Acht verschiedene Torschützen haben die acht Treffer erzielt. Als Kovac im Anschluss an die Partie auf die Vorzüge „eines breiten Kaders“ hinwies, sprach er aber über das eigentliche Kernthema dieser ersten Saisonphase: die Stabilität beim Verteidigen des eigenen Tores.
„Das hat die Mannschaft richtig gut verinnerlicht“
Man mag das nach einem Spiel wie diesem paradox finden, aber die niveauvolle Arbeit des Teams, wenn der Gegner am Ball ist, erscheint immer noch fremd für geschulte BVB-Beobachter. „Wer in der Champions League nicht motiviert ist, gegen den Ball zu arbeiten, der darf da nicht spielen“, sagte der Sportdirektor Sebastian Kehl einen Satz, den er so auch vor einem, vor zwei, vor drei oder vier Jahren hätte formulieren können. Neu ist aber der Befund, der in der zweiten Hälfte seiner Aussage steckt: „Ich glaube, das hat die Mannschaft richtig gut verinnerlicht.“
Denn das Team arbeitete in allen Phasen taktisch homogen und mit hoher Intensität, obwohl mit Niklas Süle, Carney Chukwuemeka und Jobe Bellingham drei Spieler in der Startelf standen, die zuletzt wenig gespielt hatten. In einer derart bedeutsamen Partie so zu rotieren, zeugt von einem großen Vertrauen des Trainers in seine Gruppe. „Das gehört zum High-End-Fußball dazu“, sagte Kovac, der nicht nur den Startelfneulingen eine Freude machte, sondern mit dieser Maßnahme auch eine Botschaft an das Team sendete: Alle sind wichtig, und alle können einander vertrauen. „Wir haben eine große Qualität“, sagte Julian Brandt, der zunächst auf der Bank saß, „die Jungs, die reingekommen sind, haben sich super eingefügt, wir können uns da glücklich schätzen.“
Diese Einsicht war in den vergangenen Jahren kaum möglich, weil oft ein halbes Dutzend oder mehr Spieler verletzt und nicht selten außer Form waren. Das ist gerade anders. Zur Leichtfertigkeit neigende Spieler wie Karim Adeyemi oder Brandt verhalten sich im Moment so fleißig und seriös wie lange nicht, und solche individuellen Entwicklungen wirken in den Kader hinein. „Es gibt da ganz klare Korrelationen“, sagte Kovac, „wenn eine Mannschaft, die fußballerisch sehr gut ist, auch noch ins Laufen kommt, dann kommt die fußballerische Qualität zum Tragen.“
Die lange verletzten Süle und Chukwuemeka konnten sich kleine Fehler erlauben, die das Kollektiv korrigierte. Der immer noch nicht richtig gut eingebundene Jobe Bellingham durfte sich über seinen ersten Startelfeinsatz seit mehr als vier Wochen freuen, was gut für die Entwicklung des Engländers ist. Und als Bilbao dann in der zweiten Halbzeit nach Toren von Daniel Svensson (28. Minute) und Carney Chukwuemka (50.) zum 2:1 (Gorka Guruzeta, 61.) getroffen hatte, konnte Kovac mit Impulsen von der Bank eingreifen: Felix Nmecha und Nico Schlotterbeck kamen für Bellingham und Süle, woraufhin sich das Spiel beruhigte und Guirassy sowie Brandt (90.+1) den überzeugenden Auftritt mit zwei weiteren Toren vollendeten.
So ein Zustand der inneren Ausgewogenheit ist zwar sensibel, Verletzungen oder ein, zwei Spiele mit unglücklichem Verlauf können viel zerstören in einem zur Labilität neigenden Gebilde wie dem BVB. Aber im Moment passt vieles. „Wir sind insgesamt sehr stabil geworden“, sagte Kehl, „wir haben eine Niederlage aus den letzten 18 Pflichtspielen, das zeigt, dass wir auf einem richtig guten Weg sind.“
Damit können die Dortmunder sich sogar auf eine Saisonphase freuen, die ihnen in vielen Phasen der Vergangenheit eher Angst gemacht hätte. In der Bundesliga folgen Spiele gegen Leipzig und beim FC Bayern, bevor in der Champions League zwei Auswärtspartien in Kopenhagen und bei Manchester City anstehen.





















