Dolomiten: Der imposante Fotoband „Escape“ von Guerel Sahin – Reise | ABC-Z

Eine Flucht aus der Normalität, ein Entrinnen aus dem Alltag hin an einen Ort der Ruhe, der Besinnung, des intensiven individuellen Erlebens: Dem Fotografen Guerel Sahin gelingt das offenkundig am besten, wenn er in die Dolomiten reist. „Escape“ hat er seinen eindrucksvollen, weil ausdrucksstarken Fotoband über dieses Gebirge genannt. Beim Betrachten seiner Bilder staunt man über die Klarheit der Aufnahmen, die Lichtstimmungen, die Motive und Blickwinkel. Und mehr noch darüber, wie es Sahin gelingen kann, in diesem teils extrem überlaufenen Gebirge all die Szenen der Abgeschiedenheit und des Alleinseins einzufangen. Dem Rummel dort zu entkommen, wo er besonders groß ist.
Sahin thematisiert das selbst immer wieder: Wie schwierig es ist, einen bestimmten Platz ganz für sich zu haben. Oft gelingt das nur sehr früh am Morgen oder in der Abenddämmerung. Manchmal auch nur in Kombination mit schlechtem Wetter oder einem Besuch in der Nebensaison.
Man sieht den Fotografien die Geduld Sahins an, auf den richtigen Augenblick zu warten, in dem die Dinge auf eine Weise zusammenkommen, damit die Stimmung eine ganz besondere ist. Seit mehr als zehn Jahren ist er beinahe jeden Monat in den Dolomiten unterwegs. In seinem Band sind rund 200 Fotografien versammelt. Im Schnitt entstehen maximal zwei Aufnahmen pro Aufenthalt, die diese außergewöhnliche Qualität haben. Die meisten von Sahins Motiven kennt man, schließlich werden die Geislerspitzen, die Seiser Alm, der Pragser Wildsee oder die Drei Zinnen millionenfach fotografiert. Doch nur selten erscheint deren Charakter so deutlich wie hier, ist alles so fein aufeinander abgestimmt. Ist ein Moment festgehalten, der nicht ohne Weiteres wiederkehrt.

Auf die Randzeiten des Tages und der Saison auszuweichen, ist jedoch nicht allein der Tatsache geschuldet, den vielen anderen Dolomiten-Liebhabern aus dem Weg gehen zu wollen. Das Licht ist auch viel besser als in den hochsommerlichen Mittagsstunden, und die Motive sind spannender, wenn Dunst, Nebel oder Wolken ins Spiel kommen. Wenn die Farben der Felsen, der Wälder, der Bergseen kräftig sind. Für die Seen in den Dolomiten kann Sahin sich besonders begeistern und für die Spiegelungen der Berge in ihrem Wasser.

Viele der Fotografien zeichnen sich durch eine extrem große Schärfentiefe aus. Jede Kontur, beinahe jeder Felsblock ist klar auszumachen, egal ob im Vordergrund oder am Horizont. Das verleiht den Bildern eine hohe Plastizität. Die Berge erscheinen auf ihnen wie Skulpturen – begehbare, was Guerel Sahin immer wieder dadurch verdeutlicht, dass er selbst im Bild zu sehen ist.

Das ist weniger Eitelkeit als vielmehr ein wichtiges kompositorisches Element: Der Mensch in dieser Kulisse verbindet sich mit der Natur, und zwar außerhalb seiner Komfortzonen. Das ist es, was Sahin erzählen möchte. Auch wenn die touristische Infrastruktur oft so gut ist, dass man einige Aussichtspunkte recht mühelos erreichen kann.

Bei anderen Gelegenheiten entscheidet Sahin sich für Schärfe nur im Vordergrund. Das Panorama unterdessen verliert sich im Diesigen und Ungefähren. Oder er wartet auf einen Moment, in dem das vermeintliche Hauptsubjekt sich hinter Wolken verbirgt.

Wer zu Zeiten, in denen die Dolomiten hoch frequentiert sind, dort unterwegs ist, wird diese Stimmungen nicht erleben. Wegen des Trubels und der weniger günstigen Lichtverhältnisse. Insofern zeigt Guerel Sahin ein Idealbild der Dolomiten. Das deswegen nicht weniger real ist.






















