Dokumentarfilm über Opernsängerinnen: Mit Klischees wurde nicht gegeizt | ABC-Z

Ist bei der Titelgebung zu diesem Dokumentarfilm vielleicht ein Fragezeichen vergessen worden? „Primadonna – or Nothing?“ müsste er eigentlich passender heißen. Denn: Auf keinen Fall würde sie für eine Weltkarriere ihr Privatleben opfern, sagt etwa die deutsche Mezzosopranistin Valerie Eickhoff, die noch am Beginn ihrer Laufbahn steht. Und die US-amerikanische Sopranistin Angel Blue, die bereits ihre Weltkarriere lebt, erwähnt, sie habe unglaublich hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo sie jetzt sei. Und sie liebe es zu singen.
Aber: „The most important thing is to remember that it’s not everything.“ Die Familie bedeute ihr alles. Während des Films sieht und hört man sie permanent mit ihren Schwestern telefonieren. Als Blue an ihrer alten Alma Mater, der UCLA in Los Angeles, auftritt und in Erinnerung an ihren verstorbenen Vater ein Gospel singt, das sie zu Beginn ihrer Karriere fünfzehn Jahre zuvor für ihn an derselben Stelle sang, laufen ihr Tränen übers Gesicht.
Ganz am Ende des Films absolviert sie ein Telefoninterview mit einem Journalisten, der sie, nachdem sie zuvor die „Tosca“ gegeben hat, fragt, wie es eigentlich so sei, gerade diese Rolle zu singen. Sei es nicht ganz blöd für eine Sopranistin, ständig im Schatten der Callas zu stehen?
Zu Beginn des Films hatte eine ihrer Schwestern der Sängerin telefonisch geraten, stets eine „good attitude“ zu bewahren. Diese Fähigkeit besitzt Angel Blue im Übermaß, wie auch in dieser Situation zu beobachten ist. Eloquent und unbeirrbar freundlich sagt sie dem Interviewer, dass sie die Callas verehre und mit einer Position in deren Schatten absolut kein Problem habe.
„Primadonna or Nothing“. Regie: Juliane Sauter. Deutschland 2025, 99 Min.
Ein Callas-Autorgramm? Wirf es weg!
Die 88-jährige Renata Scotto (2023, nicht lange nach Beendigung der Dreharbeiten, verstarb die 1934 geborene italienische Sopranistin) sieht das sicherlich anders, denn in einer Szene weist sie einen Bekannten, der damit angibt, eine Callas-Autogrammkarte zu besitzen, an, diese wegzuwerfen. Von den drei Sängerinnen, die im Film porträtiert werden, ist Scotto die Einzige, die in ihrer attitude dem Klischeebild einer Primadonna assoluta zu entsprechen scheint.
Stets umgeben von Familie und Freunden, gibt der einstige Opernstar zweifellos in allem weiterhin den Ton an; nach Beendigung ihrer Weltkarriere ist Scotto in ihre Heimatstadt Savona zurückgekehrt und geht ganz in ihrer Rolle als hoch verehrte Matriarchin auf.
Es wäre bestimmt interessant gewesen, die drei Frauen eingehender nach ihren Rollenbildern zu befragen. Dass „keiner auf einen wartet“, man „alles geben muss“, die „permanente Bewertung zum Beruf dazu“ gehört – geschenkt. Kaum eine MusikerInnenfilmbiografie kommt ohne die Botschaft aus, dass Kunst schön ist, aber viel Arbeit macht; darin liegt kaum informativer Mehrwert. (Auch Musikweltreisende im Taxi zu filmen ist übrigens ein langweiliges Klischee.)
Hat sich
die Opernwelt gewandelt seit Renata Scottos großen Zeiten? Wenn ja, inwiefern und warum?
Es hätte vielfache, vertiefende Möglichkeiten gegeben: Warum hat denn Regisseurin Juliane Sauter ausgerechnet drei Frauen – und null Männer – in den Mittelpunkt eines Films gestellt, der auch noch den Begriff „Primadonna“ im Titel führt? Was impliziert das?
Primadonna werden – ist das noch erstrebenswert?
Gibt es heutzutage überhaupt noch aktiv singende weibliche Opernstars, die sich selbst als Primadonna bezeichnen (lassen) würden? Hat sich die Opernwelt gewandelt seit Renata Scottos großen Zeiten? Wenn ja, inwiefern und warum?
All das kommt aber nicht zur Sprache, und auch die geschlechts- oder genderspezifischen Herausforderungen, denen Sängerinnen (mit kleinem i) in Ausübung ihres Berufs ausgesetzt sein mögen, kommen nur am Rande vor. Sehr fremdschämen möchte man sich für den scheinbar wohlmeinenden älteren Herrn, der zu Valerie Eickhoff nach deren Auftritt im Gesangswettbewerb von Montreal sagt, sie habe sehr hübsch ausgesehen auf der Bühne, aber das werde ja wahrscheinlich nicht in die Wertung mit einbezogen.
Fast genauso schlimm die männliche Stimme (ihres Managers vielleicht?), die zu hören ist, während sie sich auf den Wettbewerbsauftritt vorbereitet, und ihr sagt, sie sei „genauso gut wie alle anderen“. Ist das die Unterstützung, die mensch in so einem Moment braucht? Am Ende wird Eickhoff Dritte – ein großer Erfolg, eigentlich, aber sie wäre lieber Erste gewesen.
Etwas mehr Musik hätte es geben können im Film, aber das ist Geschmackssache und muss ja auch im dokumentarischen Rahmen bleiben. Irritierend wirkt der wiederholte, wahrscheinlich künstlerisch gemeinte Effekt, bewegte Bilder der singenden Frauen zu unterlegen mit anderen Soundeffekten. Aber trotz einer gewissen inhaltlichen Oberflächlichkeit ist „Primadonna or Nothing“ eine gute Gelegenheit, drei großartige Sängerinnen kennenzulernen. Für mehr Töne aus deren Weltklassekehlen gibt es danach ja auch noch Youtube.