Dokumentarfilm „Gaucho Gaucho“: Umgang mit Tieren und Lasso | ABC-Z

Die weite Landschaft und der Horizont sind im Western weit mehr als „nur“ das. Sie markieren den Raum von Schicksalen und Verheißungen, stehen für romantische Naturverbundenheit oder sind menschenfeindliches Terrain und in ihrer ganzen metaphorischen Aufgeladenheit gern auch Abbilder der Seelenlandschaften der selbst mythologisch aufgeladenen Figuren.
All dessen sind sich, das zeigt ihr visuell beeindruckender Film „Gaucho Gaucho“, der Fotograf und Maler Michael Dweck und der Kameramann Gregory Kershaw sehr bewusst. In wunderschönen Schwarz-Weiß-Bildern fangen sie die kargen Landschaften der Region Salta im Nordwesten Argentiniens ein und porträtieren die Gauchos, die südamerikanischen Cowboys, die dort zwischen Kühen und Pferden ihr traditionsbewusstes Dasein fristen. Weltpremiere feierte der Film beim Sundance Film Festival 2024, wo er den U. S. Documentary Special Jury Award in der Kategorie „Sound“ gewann.
Gleich in der ersten Szene fokussiert die Kamera auf einen Gaucho, der inmitten eines Feldes wie zu einer Siesta auf seinem ebenfalls liegenden Pferd liegt. Wenig später entfernen die beiden sich in Richtung der wolkenverhangenen Berge und die Verbunden- und Vertrautheit zwischen Mensch und Tier, die diesen Film begleitet, wird buchstäblich spürbar. Kurz darauf galoppieren drei Gauchos in pittoresker Zeitlupe durch die Prärie.
In völlig entschleunigten Bildern folgt „Gaucho Gaucho“ verschiedenen Protagonisten rund um ein, wie Sanito es in seiner Radiosendung nennt, historisches „Dorf mit den fünf Namen“. Der Film zeigt Sanito beim Moderieren in seinem kleinen Radiostudio, beim Zeitungsaustragen zu Pferde und als Ansager beim Rodeo.
„Gaucho Gaucho“. Regie: Michael Dweck, Gregory Kershaw. USA/Argentinien 2024, 85 Min.
Zum Rodeo verschlägt es einmal auch die 17-jährige Guada, die sich in der archaischen Männerdomäne als Gaucha durchsetzen möchte. Das Business mit den Pferden ist ein Hartes und Gefährliches, wie ihr ein Mentor einmal erklärt – nach ihrem Rodeo-Auftritt, den der Film nicht zeigt, sondern nur das plötzliche Raunen des Publikums hören lässt, humpelt sie auf Krücken durchs Bild. Guada meint es mehr als ernst. „Ich bin eine Gaucha und das ist meine Tracht“, sagt sie ihrer Lehrerin, als sie wegen ihrer fehlenden Schuluniform ermahnt wird. In ihrer Geschichte spiegelt sich ein wenig der langsam voranschreitende Wandel in dem maskulinen Kosmos wider.
In der Prärie unterwegs
Salano, ein junger Vater, weiht seinen fünfjährigen Sohn liebevoll in das Handwerk ein und bringt ihm alles bei. Die beiden sind in der Prärie unterwegs, Salano zeigt seinem interessierten Nachwuchs, wie er seine Messer gescheit schleift, und gibt ihm allerhand Tipps. Worauf es wirklich ankommt, das fasst ein alter Hase einmal zusammen: Ein Gaucho müsse mit Tieren umgehen und Lasso werfen können und zufrieden sein mit dem, was er habe.
Dweck und Kershaw widmen sich hier einmal mehr einer vom Aussterben bedrohten, traditionellen Subkultur. In „The Truffle Hunters“ folgte das Regieduo alten Trüffelsuchern und ihren Hunden durch die Wälder Norditaliens auf der Suche nach der begehrten weißen Trüffel und entwarf auch ein Porträt des kapitalistischen Systems dahinter.
„The Last Race“ blickte auf Eigentümer einer traditionellen Stock-Car-Rennstrecke auf Long Island und den Kampf um deren Erhalt. Auch der Mikrokosmos in „Gaucho Gaucho“ stemmt sich, gleich einem gallischen Dorf, gegen das brachiale Tempo und die Gesetze der modernen, irgendwo hinter dem Horizont lauernden Welt.
Kondore reißen Kälber
In Miniaturen erzählt der Film von Menschen, die mit ihren Hunden das Vieh durch die Landschaft treiben, die Handarbeit schätzen und im Einklang mit der Natur leben, auch wenn diese es ihnen nicht immer leicht macht. Ihr Land wird von Dürren heimgesucht, und nachdem die immer wieder über den Himmel kreisenden Kondore ein Kalb gerissen haben, sagt ein Gaucho: „Wir zahlen den Preis dafür, dass sie überleben.“
Der dokumentarfilmische Western setzt seinen Protagonisten und ihrem Lebensstil mit seiner ausgiebig zelebrierten Ästhetisierung ein kinematografisches Denkmal – „Beautiscope“ bezeichnen die Regisseure ihr Filmformat, eine Fusion aus Schönheit und dem Bildformat Cinemascope. Einzig in den Momenten, in denen Gespräche ganz offensichtlich für die Kamera arrangiert wirken, die starke Inszenierung also selbst krass spürbar wird, verliert der Film kurz seine Magie, von der er lebt.
„Gaucho Gaucho“ überstilisiert den Alltag der Gauchos und brennt ihn auf die Leinwand. Und auch der Soundtrack entrückt diese sehr filmische Welt leicht mit Opernsounds aus Bizets „Die Perlenfischer“, mit argentinischer oder venezolanischer Folkmusik und zeitgenössischen Künstlern wie Alex Ebert. Selten entführt ein Dokumentarfilm so schön in eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen und kratzt dabei an Grenzen zum Spielfilm.