Disorazol Z1: Noch kein Durchbruch gegen Krebs – Gesundheit |ABC-Z

Dieter Schinzer freut sich ganz offensichtlich riesig über das Molekül, das er da in seinem Labor zusammengebaut hat: Der angesehene Chemiker von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat es geschafft, einen chemischen Wirkstoff zu synthetisieren, den natürlicherweise nur Bakterien herstellen – und zwar, aber das sei nur am Rande gesagt, interessanterweise solche Mikroben, die gerne im Ziegenmist und anderen organischen Abfällen leben. Weshalb sich Schinzer so freut: Der Stoff namens Disorazol Z1, den sein Team nun aus einfachen chemischen Ausgangsstoffen synthetisierte, gehört zu einer Klasse von Verbindungen mit extrem hoher Zytotoxizität. Das heißt: Er wirkt hochgradig giftig auf menschliche und tierische Zellen. Solche Stoffe werden seit Jahrzehnten eingesetzt, um im Rahmen einer Krebstherapie Tumore zu zerstören.
Weil Disorazol Z1 besonders giftig ist, interessieren sich Fachleute schon seit Jahren für diesen Stoff. Doch bisher konnte man die Substanz nur gewinnen, indem man Bakterien anzüchtet und Disorazol Z1 dann mühsam aus ihnen extrahiert. Nun ist es Schinzers Team offenbar erstmals gelungen, ein hocheffizientes Verfahren für die Produktion der giftigen Substanz zu entwickeln. Deshalb spricht der Chemiker von einem Durchbruch.
Doch ein Durchbruch in der Chemie ist noch lange kein Durchbruch in der Medizin: Disorazol Z1 ist weit davon entfernt, Krebspatienten eine neue Behandlungschance zu eröffnen. „Die Arbeitsgruppe um Schinzer arbeitet seit vielen Jahren auf diesem Gebiet und macht hochklassige chemische Forschung“, sagt Aubry Miller, der als Leiter der Abteilung Wirkstoffforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg ebenfalls nach neuen Substanzen für Krebstherapien fahndet. „Aber für die Behandlung von Tumorerkrankungen macht dieser chemische Erfolg erst einmal keinen Unterschied.“
Tatsächlich wäre Disorazol Z1 viel zu gefährlich, um es Krebspatienten zu geben. „Bei den Disorazolen inklusive Z1 handelt es sich um sehr, sehr toxische Substanzen, sie können nicht selbst als Medikamente eingesetzt werden“, sagt Miller. Auch Dieter Schinzer sagt laut einer Pressemitteilung seiner Universität: „Die Substanz ist extrem aktiv, wir sprechen von picomolaren Konzentrationen, also zwölf Nullen hinter dem Komma.“ Deshalb habe sein Team aus Sicherheitsgründen zunächst nur zwei Milligramm hergestellt und dabei strenge Schutzvorkehrungen getroffen: Handschuhe, Mundschutz, geschlossene Abzüge. „Hätten wir größere Mengen produziert, hätte das gesundheitliche Folgen haben können.“
Es gibt enorm viele Substanzen, die Zellen abtöten
Das Ziel der Magdeburger Chemiker ist es daher, die synthetisierte Substanz an Antikörper zu binden, die wiederum gezielt an Tumorzellen binden. Denn frei im Körper könnte Disorazol Z1 zu viele gesunde Zellen in Mitleidenschaft ziehen. Wenn es durch die Antikörper gezielt zu den Krebszellen gebracht wird, könnte es jedoch eines Tages bei deren Bekämpfung hilfreich sein. „Solche Wirkstoff-Antikörper-Konjugate sind gerade ein heißes Forschungsfeld“, sagt Aubry Miller. „Sie haben auch in klinischen Studien bereits einigen Erfolg gezeigt.“ Auch würden in solchen Konjugaten bereits sehr toxische Substanzen genutzt, so Miller, und „neue hochpotente Stoffe können hier sicherlich nützlich sein.“
Der Vorteil von im Labor synthetisiertem Disorazol Z1 ist es gegenüber der aus Bakterien gewonnenen Variante, dass man es chemisch gezielt modifizieren kann, damit es fest an die Antikörper bindet. Das sei mit natürlich gewonnenen Substanz oft schwierig, sagt Miller. „Insofern ist es gut, dass wir die Substanz jetzt haben. Und dennoch ist es kein Grund für Krebspatienten, jetzt optimistischer zu sein als zuvor. Denn wir wissen noch nicht einmal, ob so ein Konjugat, wenn es denn eines Tages existiert, überhaupt wirksam und sicher sein wird.“
Intensiver bewerten kann Miller die Arbeit der Magdeburger Chemiker bisher nicht, denn diese haben ihre Arbeit bisher nicht in einer Fachzeitschrift publiziert. Dass die Universität trotzdem schon an die Öffentlichkeit gegangen ist, ist ein unüblicher Vorgang. Weshalb er sich zu diesem Schritt entschieden hat? Schinzer war bis Redaktionsschluss nicht erreichbar.
Die Onkologin Jutta Hübner ärgert sich denn auch über die Meldung aus Magdeburg. „Es ist ehrlich gesagt immer wieder ernüchternd, welche Hoffnungen mit solchen Meldungen geweckt werden“, schreibt die Professorin für Integrative Onkologie vom Universitätsklinikum Jena per Mail. „Die Synthese des Stoffes ist sicherlich eine hohe Leistung, aber die entscheidende Frage ist doch: Hilft das Patienten? Also kann diese Substanz das Krebswachstum im menschlichen Körper hemmen und ist sie gleichzeitig so gut verträglich, dass sie in einer Therapie gegeben werden kann?“ Dazu bräuchte es erst einmal Tierversuche und dann klinische Studien der verschiedenen Phasen, dabei gehen üblicherweise viele Jahre ins Land. „Es gibt ja enorm viele natürliche Substanzen, die Zellen abtöten können“, so Hübner, „leider dann häufig auch die gesunden. Mein Lieblingsbeispiel ist das Gift aus dem Knollenblätterpilz.“