Dior im neuen Look: Kollektion von Jonathan Anderson | ABC-Z

Sein Ehrgeiz und sein Talent haben ihn an die höchste Stelle der Pariser Mode gebracht. Mit seinem Arbeitsbeginn im Haus Dior ist Jonathan Anderson nun als Designer verantwortlich für die Haute-Couture-, Damen- und Herrenmode, nicht zu vergessen die Cruise- und weitere Zwischen- und Extra-Kollektionen. Er ist die erste Person, die diese Position seit Monsieur Dior selbst innehat – mit dem kleinen Unterschied, dass sich die Größe des Hauses seit dem Tod des Gründers vor fast 70 Jahren vervielfacht hat und die Anforderungen an Designer angesichts der Konkurrenz höher sind als je zuvor.
In letzter Zeit hatte es dem Modehaus von der Avenue Montaigne etwas gefehlt an neuen Ideen. Da kommt Anderson gerade recht, der zuvor die Marke Loewe nach vorn gebracht hat und sich mit dem LVMH-Patriarch Bernard Arnault und dessen Tochter Delphine, der Dior-Geschäftsführerin, sehr gut versteht. Bei seiner ersten Schau für die Marke, der Männerkollektion für Frühjahr und Sommer 2026, ging er am Freitag frisch ans Werk – und brachte Entwürfe auf den Laufsteg, die mit vielen Referenzen spielten: „Haute Preppy“, subtiler Dandyismus mit vielen historischen Bezügen, gut verkäufliche Teile wie Trenchcoats und viele originelle Denim-Studien.
Die Schau hinter dem Invalidendom war vielleicht nicht grundstürzend neu. Aber es war ein starkes Debüt. Schon deshalb, weil Anderson auf Bezüge auf seine Dior-Männermode-Vorgänger Hedi Slimane, Kris van Assche und Kim Jones verzichtete. Vor allem auch, weil er modische Archetypen wie eine Halskrause herausgriff und sie durchgängig als Styling-Accessoire einsetzte oder einfach Krawatten umdrehte, so dass das Etikett sichtbar war. Ein bisschen Dada, recht lustig, und es sieht neu aus.
Gleich mit dem ersten Look ging er zurück zu Dior selbst. Die Bar-Jacke mit abgerundeten Schultern und ausstaffierter Taille zitierte er nonchalant – bei dem aus Nordirland stammenden Designer ist sie allerdings aus irischem Donegal-Tweed. Die Shorts mit voluminösen Falten, eine seiner Obsessionen bei Loewe, sollte auf Diors Delfter Kleid von 1948 anspielen.

Das Publikum war begeistert. Kein Wunder, denn es waren wohl mehr Fans als Journalisten im Saal. An erster Stelle seine Eltern Willie und Heather. Außerdem viele Prominente wie Rihanna, Pharrell Williams, Asap Rocky, Sabrina Carpenter und Robert Pattinson. Und schließlich viele Designerkollegen wie Jacquemus, Pierpaolo Piccioli und Donatella Versace.

Regisseur Luca Guadagnino stürmte als erster Gratulant hinter die Bühne. Er hat mit Anderson bei mehreren Filmen wie „Challengers“ (2024) zusammengearbeitet. Daher konnte man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Halskrausen und die mehrlagigen Shorts womöglich ein künftiges Kostümdesign-Projekt von Anderson und Guadagnino imaginieren. Möglicher Titel: „The Clash Prep School“.
Denn Anderson bringt eine ganze Reihe Repliken historischer Kleidungsstücke aus dem 18. Jahrhundert wie goldverzierte Gehröcke auf die Bühne – und kombinierte sie mit Jeans und Sneakern. Der High-and-Low-Ansatz zog sich durch die gesamte Kollektion. Die Strickwaren mit alten französischen Stickereien und neuartige Logoplatzierung auf der Brust sahen überraschend großartig aus.

Die historischen Referenzen passten auch deshalb, weil sein Ausstellungsraum nach dem Vorbild der mit Samt ausgekleideten Räume der Berliner Gemäldegalerie gestaltet war. Erst vor kurzem hatten Christiane Arp und Marcus Kurz ihren Modesalon mit aufstrebenden Designern in der Original-Gemäldegalerie veranstaltet. Die Gemäldegalerie am Kulturforum und ihre herausragende Sammlung gehören für Anderson zu den schönsten Museen der Welt. Die Inszenierung wurde ergänzt durch zwei originale Gemälde von Jean Siméon Chardin, die der Louvre und die National Gallery of Modern Art in Edinburgh für die Show ausgeliehen hatten.
Der Showroom als Kunstgalerie – diese Idee stammt direkt aus Jonathan Andersons Loewe-Drehbuch. Sie passt auch hier: Der Designer ist in einem Modehaus angekommen, das trotz hypermodernen Marketings auf historische Bildung setzt – schon um den Namen Christian Dior lebendig zu halten.