DFB-Stürmerin Lea Schüller bei der Fußball-EM: Die Spitze des Dreizacks – Sport | ABC-Z

Als die Französinnen ins Viertelfinale stürmten, beobachteten die deutschen Spielerinnen ihre nächsten Gegnerinnen aus der Liegestuhlperspektive. Im Garten des Teamhotels am Züricher Uetliberg hat sich die Nationalmannschaft ihr eigenes kleines Public Viewing aufgebaut. Jedes Spiel schauen sie hier, zumindest so lange alle durchhalten. Am Anfang dieser Fußball-Europameisterschaft hatten Linda Dallmann und Sarai Linder erzählt, dass manch eine bei der Auftaktpartie der Französinnen gegen England so müde war, dass sie nach der ersten Halbzeit ins Bett gegangen sei und sich am nächsten Tag von Teil zwei hatte berichten lassen.
Wer sich wann am Sonntagabend aufs Zimmer verabschiedet hat, ist nicht bekannt. Aber es wäre ganz gut gewesen, wenn die Abwehrspielerinnen zumindest bis zur Mitte der zweiten Halbzeit durchgehalten hätten, um zu sehen, wie unaufhaltsam Delphine Cascarino mit einer Vorlage und zwei Toren innerhalb von sechs Minuten die Partie drehte, in der die Französinnen gegen die Niederlande 1:2 zurückgelegen hatten und noch 5:2 gewannen. Das Spiel war natürlich auch für die DFB-Abteilung Angriff interessant, aber die wird vor allem in der ersten Halbzeit gut hingesehen haben, als Frankreichs Abwehr durchlässig war. Nicht zuletzt Lea Schüller.
:Bonjour, ein Turnierfavorit!
Frankreichs Fußballerinnen haben sich neu erfunden: mit einer Torjägerin, die früher Rugby gespielt hat, und vielen weiteren unberechenbaren Talenten. Der DFB-Elf steht ein schweres Viertelfinale bevor.
Die deutsche Mittelstürmerin hat ihre Wahnsinnsquote in der Schweiz erhöht, auf 54 Tore in 78 Länderspielen. Kurios war dabei, dass sie beim 2:0 gegen Polen und beim 2:1 gegen Dänemark jeweils in der 66. Minute traf – bevor sie in der 70. Minute ausgewechselt wurde. „Ich weiß auch nicht, was mit Lea los ist“, sagte Bundestrainer Christian Wück: „Ich glaube, sie merkt, wenn wir draußen darüber nachdenken, sie auszuwechseln. Dann macht sie noch kurz ein Tor und geht dann raus.“
Was bei dieser EM allerdings auffällt, ist, wie wenig Schüller bisher ins Spiel eingebunden ist. Gegen Polen kam sie laut Datenanbieter Opta auf 21 Ballkontakte, gegen Dänemark auf 14, beim 1:4 gegen Schweden waren es 17. Dass sie trotzdem zwei von fünf Treffern in der Gruppenphase erzielt hat, spricht für ihre Qualität als Torjägerin: Sie positionierte sich in entscheidenden Momenten richtig und war dann sehr wirksam. Die Uefa vermerkte neun Abschlüsse von Schüller, aber nachdem von ihr insgesamt bisher recht wenig zu sehen war, bleibt die Frage, was wohl noch drin gewesen wäre, hätte die 27-Jährige öfter Gelegenheiten bekommen. Bisher läuft viel über die Flügelzange Jule Brand und Klara Bühl, von deren Form deutlich erkennbar abhängt, wie dynamisch das deutsche Spiel ist. Auch die Statistik belegt das: Brand kam rechts ist in der Vorrunde auf 55, 44 und 57 Ballkontakte, für Bühl wurden links sogar 70, 93 und 64 gelistet.
„Ich glaube, wenn wir unsere Flankenqualität besser hinbekommen, können wir Lea noch besser in Szene setzen“, sagt Sjoeke Nüsken
„Lea ist so ein bisschen eine Stürmerin, die nicht oft am Ball sein muss, um effizient zu sein. Aber natürlich ist es unser Ziel, sie mehr ins Spiel zu bringen“, sagte Co-Trainerin Maren Meinert am Dienstag. Allein deshalb, weil flexibel über die Mitte und über außen angegriffen werden soll, um schwieriger ausrechenbar zu sein und den Fokus der Gegnerinnen von Brand und Bühl etwas wegzulenken. „Ich glaube, wenn wir unsere Flankenqualität besser hinbekommen, können wir Lea noch besser in Szene setzen“, ergänzte Vize-Kapitänin Sjoeke Nüsken. „Und wir hoffen natürlich, dass sie dann noch mal mehr Tore schießt.“
Schüllers Rolle ist diesmal eine etwas andere als in den Vorjahren. Schon bei der EM 2022 war sie im Sturm gesetzt, vor dem zweiten Spiel infizierte sie sich jedoch mit Corona – den Weg ins Finale prägte dann Alexandra Popp. Bei der WM 2023 und bei Olympia 2024 waren dann beide gefragt, wobei Schüller stets im Schatten der früheren Kapitänin stand. Seit Popps Rücktritt Ende September hat sich das geändert. Die sehr unterschiedlichen Typen eint ihre Kopfballstärke, ansonsten steht die athletische Schüller für Schnelligkeit, ihren Instinkt und bei allem Ehrgeiz für Gelassenheit. Sie besitzt die Gabe, sich nicht nervös machen zu lassen, Druck von außen kommt nicht an sie ran.

Diese mentale Stärke hat sie aber nicht davor bewahrt, nach der Bronzemedaille bei Olympia mit einem Leistungseinbruch zu kämpfen, wie manch andere Nationalspielerinnen. Die ersten Monate der Vorsaison liefen für sie beim FC Bayern durchwachsen, doch je näher die EM rückte, desto mehr steigerte Schüller sich. Mit dem Höhepunkt beim Pokalfinale, als sie die Münchnerinnen mit drei Toren quasi im Alleingang zum Double schoss und beim Bundestrainer Hoffnung auf ähnliche Form bei der EM weckte.
Wenn Bühl, Schüller und Brand wie eine Art Dreizack mit viel Geschwindigkeit angreifen, könnten sie die Französinnen überrumpeln, wie in der starken Anfangsphase die Schwedinnen. Denn die Viertelfinalgegnerinnen, das ist die gute Nachricht, sind verwundbar, in jedem Spiel haben sie mindestens ein Tor kassiert (2:1 gegen England, 4:1 gegen Wales, 5:2 gegen die Niederlande). Nicht Kurzpassspiel empfiehlt sich, wie es die Engländerinnen gegen Frankreich versuchten, sondern viel Power, ein kompaktes, zweikampfstarkes Spiel und auch mal lange Bälle, wie es die Niederländerinnen vormachten. Sicherlich nicht ausreichen wird aber das Muster der Deutschen bei dieser EM: 20 starke Minuten mit anschließendem Einbruch nach Rückschlägen. „Das ist für uns alle ein kleines Rätsel“, sagte Meinert, „es ist nichts konditionelles, nichts mit der Konzentration, es ist nichts vom Willen her.“
Bei Lea Schüller gleich gar nicht. Die ist ohnehin gefährlicher, seit sie ihr Spiel verändert hat. „Ich bin unberechenbarer für den Gegner geworden“, sagte sie vor der EM. Bei Läufen in die Tiefe agiert sie jetzt variabler, im Abschluss ist sie ohnehin flexibel: rechts, links, per Kopf – ganz egal. Aber sie muss den Ball eben auch bekommen.