Friedrich Merz ist gewählt – aber wie stabil ist seine Koalition? | ABC-Z

Berlin. Die Kanzlerwahl war ein Warnschuss für Friedrich Merz. Die schwarz-rote Mehrheit ist dünn. Der Kanzler muss hoffen, dass sie ihn trägt.
Friedrich Merz ist der neue Bundeskanzler. Ins Amt ist der CDU-Politiker aber am Mittwoch nur mit einem blauen Auge gekommen. Im ersten Wahlgang fehlten ihm Stimmen aus den Reihen der schwarz-roten Koalition. Erst im zweiten Anlauf erhielt Merz die erforderliche Mehrheit. Der Pannenstart wirft die Frage auf: Wie stabil ist das Bündnis aus CDU, CSU und SPD?
Über welche Mehrheit verfügt Schwarz-Rot?
Gemeinsam stellen Union und SPD 328 Abgeordnete im Bundestag. Die Mehrheit im Bundestag („Kanzler-Mehrheit“) auch für die Wahl des Bundeskanzlers in den ersten beiden Wahlgängen liegt bei 316 Stimmen. CDU, CSU und SPD verfügen also über zwölf zusätzliche Stimmen. Im ersten Wahlgang bekam Merz aber nur 310 Ja-Stimmen – und fiel damit durch. Im zweiten Versuch stimmten 325 Abgeordnete für den CDU-Politiker. Also fehlten ihm erneut mindestens drei Stimmen aus seiner Koalition.
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Wer hat nicht für Merz gestimmt?
Das ist nicht bekannt. Der Bundeskanzler wird in geheimer Wahl gewählt. Union und SPD verdächtigten sich hinter vorgehaltener Hand gegenseitig, für das Fiasko im ersten Wahlgang verantwortlich zu sein. Beide Seiten wiesen aber zurück, Merz die Niederlage im ersten Wahlgang zugefügt zu haben. „Mir fehlt wirklich jegliche Fantasie, dass auch Kolleginnen und Kollegen aus unserer eigenen Fraktion hier im ersten Wahlgang nicht zugestimmt hätten“, sagte der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm. Er habe nicht den geringsten Hinweis, dass die SPD nicht vollständig gestanden habe, sagte SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil in einer Krisensitzung der sozialdemokratischen Abgeordneten nach dem ersten Wahlgang. „Auf uns ist Verlass.“

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer warnte vor gegenseitigen Schuldzuweisungen. „Ich erwarte jetzt Demut bei allen Koalitionspartnern vor der Verantwortung und warne davor, weiter mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen“, sagte Schweitzer dieser Redaktion. „Es wäre verrückt und verantwortungslos mit dem Feuer zu spielen.“
Sabotieren SPD-Abgeordnete Merz?
Auch das ist nicht klar. In der Vergangenheit hatten sich allerdings SPD-Abgeordnete kritisch über Merz geäußert. Manche Sozialdemokraten nehmen Merz übel, dass er noch vor der Bundestagswahl im Parlament Migrationsanträge mit Stimmen der AfD durchbringen wollte. Vorbehalte gibt es in der SPD auch gegen Teile des Koalitionsvertrags. Deswegen hatten die Jusos die SPD-Mitglieder aufgerufen, den Vereinbarungen mit der Union und der schwarz-roten Koalition nicht zuzustimmen. Allerdings votierten 84 Prozent der Teilnehmer am SPD-Mitgliedervotum für das Bündnis. In der SPD hingegen wurde Groll bei einigen CDU-Landesverbänden vermutet, die bei der Vergabe der Kabinettsposten zu kurz kamen.
Bei welchen Themen kann es heikel werden?
Harte Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition dürfte es in der Migrationsgesetzgebung und der Sozialpolitik geben. Die Union will besonders an der Grenze einen harten Kurs gegenüber Flüchtlingen ohne Einreiseerlaubnis fahren. Die SPD sieht das skeptisch. Sollten im Laufe der Legislaturperiode Gesetzesverschärfungen in dem Bereich ins Parlament kommen, könnte die Zwölf-Stimmen-Mehrheit leicht in Gefahr geraten. Besonders heikel für Merz: Die AfD bietet sich immer wieder an, gemeinsam mit der Union abzustimmen, um das Vorgehen gegen Migration zu verschärfen. Würden CDU und CSU dieser Versuchung erliegen, wäre das für das SPD das Ende des Bündnisses.
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Die Union will zudem das Bürgergeld abschaffen und das Sozialhilfesystem verschärfen. Im Koalitionsvertrag gibt es dazu eine Einigung, aber die Details sind offen. Auch hier könnte es bei Abstimmungen knapp werden. Die Kanzlerwahl hat gezeigt, dass Merz darum zittern muss, ob die schwarz-rote Mehrheit ihn vier Jahre trägt.
Wer muss die Mehrheiten sichern?
Das ist die Aufgabe der Fraktionschefs von Union und SPD. Für CDU und CSU ist das Jens Spahn – der von den Unionsabgeordneten von mehr als 90 Prozent gewählt worden ist. Der CDU-Mann aus Nordrhein-Westfalen hat also großen Rückhalt unter den Unionsabgeordneten. Bei den Sozialdemokraten wird Spahn allerdings mit Misstrauen begegnet. Spahn gilt in der SPD als rechtskonservativer CDU-Vertreter mit einer gewissen Offenheit zur AfD.
Für die SPD soll der Parteilinke Matthias Miersch die Fraktion führen, seine Wahl ist für Mittwochvormittag geplant. Unter den SPD-Abgeordneten genießt der Niedersachse großes Ansehen. Miersch ist zuzutrauen, dass der die Sozialdemokraten zusammenhält und auch mit Spahn gut klarkommt.

Friedrich Merz (CDU) legt seinen Amtseid als Bundeskanzler ab.
© Michael Kappeler/dpa | Michael Kappeler
Reicht der Koalition eine eigene Mehrheit?
Nicht unbedingt. Union und SPD kommen zusammen nicht auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Das merkten sie bereits schmerzlich bei der Kanzlerwahl: Denn um den zweiten Wahlgang bereits wenige Stunden nach Merz‘ Wahlpleite in der ersten Runde auf die Tagesordnung zu setzen, reichten die Stimmen von Union und SPD nicht aus. Erforderlich sind dafür zusätzlich die Stimmen von den Grünen und entweder der Linken oder der AfD. Am Dienstag halfen die Linken Merz aus der Patsche – obwohl die CDU eine Zusammenarbeit per Parteitagsbeschluss eigentlich ausgeschlossen hat. Das gilt auch für die AfD.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Auf die Unterstützung der Opposition sind Union und SPD auch angewiesen, wenn sie mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit das Grundgesetz ändern wollen. Das ist etwa erforderlich für die vereinbarte Reform der Schuldenbremse, auf der die SPD besteht. Die Koalition wird dann wohl auf die Linke zugehen müssen – ein heikler Punkt für Merz. In diesem Punkt könnte am Tag der Kanzlerwahl aber ein erster Schritt für eine Annäherung gemacht worden sein.