Dieser KI-Song spaltet das deutsche TikTok | ABC-Z

„Für deutsche Kids gibt’s oft wenig zu lachen, drei, vier Deutsche auf 25 Schüler in den Klassen. Die deutsche Jugend eingeschüchtert und oft in Unterzahl, sie passen sich an, denn sie haben meist keine Wahl.“
Diese Zeilen, unterlegt mit sanfter, melancholischer Musik, wabern durch Tiktok. Sie unterlegen Videos, in denen sich junge Menschen theatralisch zu Boden werfen, andere trocknen sich übertrieben ergriffen die Tränen. Die Videobeschreibungen dazu lauten so oder so ähnlich: „Lisa, wenn sie zweimal in ihrem Leben Kartoffel genannt und in der Pause gezwungen wurde, Döner zu essen.“ Vor allem Jugendliche aus migrantischen und linken Communitys witzeln mit den Hashtags #germanlivesmatter und #freedeutschekids über „Almanschmerz“ im Einwanderungsland Deutschland.
Sie greifen zurück auf eine Form des Comic Relief – also befreiender Komik – in einer nicht ganz so witzigen Realität mit Ausgrenzung und Alltagsrassismus. Gerade für viele jugendliche TikTok-User*innen aus migrantisch geprägten Haushalten ist der Song eine ironische Umkehr ihrer eigenen Erlebnisse.
In den Clips stellen sie nach, wie schlimm es angeblich sein muss, als deutsches Kind bei türkischen oder arabischen Freund*innen zu Besuch zu sein: ständig überfüttert, zum Essen gezwungen. „Deutsche Kinder hatten es echt schwer“, heißt es spöttisch in Untertiteln, womit die Ersteller*innen vermutlich auf das typisch deutsche Credo „nur Familien essen zusammen“ anspielen, das andere und insbesondere migrantische Kinder oft ausschließt. Die kollektive Erinnerung daran wird hier mit einem Augenzwinkern neu aufgerollt.
Ganz anders lesen den Song jene Nutzer:innen, die sich selbst als deutsche Minderheit im eigenen Land stilisieren. In Kommentarspalten ist von „Diskriminierung gegen Deutsche“ die Rede, es kursieren falsche Informationen über angebliche Ausländermehrheiten an Schulen. Für diese Gruppe ist der melancholische KI-Gesang keine Satire, sondern der Soundtrack des deutschen Untergangs.
Was sich der TikTok-User 40370725481, dessen Profil nicht mehr existiert, wohl dabei gedacht hat, als er den Song mittels KI kreierte? Wollte der oder die Nutzer*in wirklich ein rassistisches Lied veröffentlichen, das sich als musikalische Untermalung des AfD-Parteitags eignen würde? Oder war es von Anfang an bloß ein Witz? Unmöglich herauszufinden, beide Theorien werden aber lautstark in den Kommentaren vertreten.
Und beide sind plausibel. Es wäre nicht der erste KI-Song, der rassistische Narrative bedient und reproduziert. Gleichzeitig ist das Internet auch voll von KI-generiertem Nonsens, der einzig zur Verwirrung und zum Lachen geschaffen wurde.
Was auch immer die Absicht war – die knapp 2.000 Clips, die den Song verwenden, zeigen: Er funktioniert perfekt als Projektionsfläche. Migrantische Jugendliche nutzen ihn für ironische Selbstbehauptung, Rechte für ihre Erzählung vom „verlorenen Deutschland“. Sie feiern dasselbe Stück und hören dabei zwei völlig unterschiedliche Botschaften.