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Region München: Große Lücken bei der Integrationsberatung – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Die Insolvenz des Vereins „Hilfe von Mensch zu Mensch“ reißt in der Region große Lücken bei der Integrationsberatung von Asylsuchenden. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind zum Monatsbeginn neun Beratungsstellen weggebrochen – in Wolfratshausen, Geretsried und Bad Tölz, in Lenggries und im Loisachtal. In München und der Region wurden nach Angaben des Vereins 46 Standorte geschlossen. Ines Lobenstein ist seitdem im Dauerstress. Die Diplom-Sozialpädagogin arbeitet hauptberuflich bei der Caritas in Wolfratshausen und koordiniert ehrenamtlich einen großen Asylhelferkreis. Seit Anfang Juli sieht sie sich mit einer „Flut von Anfragen“ konfrontiert. „Das ist nicht zu bewältigen“, sagt sie.

Lobenstein hat in den vergangenen Tagen Brandbriefe an Stadt- und Kreisräte, an den Landrat und an Bundestagsabgeordnete geschrieben – auch an Vertreter der AfD. Ihre Forderung: „Eine unabhängige und dezentrale Flüchtlingssozialberatung muss bleiben!“ Die Struktur sei in den vergangenen 13 Jahren Schritt für Schritt geschaffen worden, die Erfolge sprächen für sich. Viele Asylsuchende, die im Landkreis geblieben seien, hätten Arbeit und lebten ohne staatliche Leistungen.

„Amtsbriefe sind schon für Muttersprachler oft kaum zu verstehen“, sagt Lobenstein. Ohne eine ortsnahe und unabhängige Migrationsberatung werde Integration sehr schwer. „Die Folgen für die gesamte Gesellschaft sind nicht abzusehen.“ Alarmiert ist sie auch von den Plänen der Staatsregierung, mehr Asylbewerber auf gleichem Raum unterzubringen und Security nur noch in Unterkünften mit mehr als 150 Geflüchteten einzusetzen. In Wolfratshausen etwa hätte dies zur Folge, dass es gar keinen Sicherheitsdienst mehr gäbe. „Dabei greifen diese Mitarbeiter in vielen Konflikten deeskalierend und menschlich ein.“

Lobensteins Fazit: „All diese Verschlechterungen tragen nicht dazu bei, dass weniger Flüchtlinge kommen. Aber denen, die hier sind und bleiben dürfen, wird die Integration massiv erschwert.“ Zu welchem Konfliktpotenzial dies führe, könne man in den Großstädten sehen, wo Integration oft nicht mehr stattfinde.

„Integration wird massiv erschwert“, sagt Ines Lobenstein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Im Kreistag sprangen Lobenstein am Montag die Fraktionen der Grünen und der SPD zur Seite. Sie stellten zur jüngsten Sitzung Anträge, der Landkreis möge eine dezentrale Beratung schaffen. Eine Mehrheit fanden sie für ihr Anliegen im Gremium jedoch nicht. Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler) berichtete von einem Gespräch mit Trägern, die man für das Angebot hatte gewinnen wollen. Am Tisch saßen demnach das Bayerische Rote Kreuz, die Awo, die Caritas und die Diakonie.

Grundsätzlich hätten diese die Beratung der Asylsuchenden übernommen, so Niedermaier. Allerdings zu Konditionen, die der Landkreis nicht mittragen wollte: Die Träger forderten eine hundertprozentige Kostenübernahme. 300 000 Euro pro Jahr hätte dies den Landkreis für neun Vollzeitstellen gekostet. Bislang hatte er 60 000 Euro im Jahr an den Verein „Hilfe von Mensch zu Mensch“ überwiesen. In anderen Fällen vereinbart der Kreis mit Kooperationspartnern, dass diese zehn Prozent Eigenanteil aufbringen. Das wollten die Träger nicht.

„Ich frage mich jeden Tag: Warum macht jemand so etwas?“

Der Kreistag beschloss am Montag mehrheitlich, fünf sogenannte Vollzeit-Äquivalente am Landratsamt zu schaffen. Eine dezentrale Beratung soll es nur in Ausnahmefällen geben. Ansonsten sollen die Asylsuchenden künftig in die Kreisbehörde auf der Tölzer Flinthöhe kommen.

Bestürzung herrscht derweil im Verein „Hilfe von Mensch zu Mensch“. Er hatte im Flüchtlingssommer 2015 in der Region ein Netz von Hilfsangeboten geknüpft und es flexibel erweitert. Auf Integrations- folgten Sprachkurse, es gab Angebote und Projekte für Kinder und Jugendliche, Erwachsene wurden bei der Jobsuche unterstützt. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feste Sprechzeiten in allen Unterkünften und dezentralen Büros.

Die Vereinsgründerin Sadija Klepo (links) ist Trägerin des Bayerischen Verdienstordens. Das Bild zeigt sie mit Ministerpräsident Markus Söder im Juli 2023.
Die Vereinsgründerin Sadija Klepo (links) ist Trägerin des Bayerischen Verdienstordens. Das Bild zeigt sie mit Ministerpräsident Markus Söder im Juli 2023. (Foto: Sven Simon/Imago)

Nun stehen nach Auskunft von Dessislava Todorava 150 Angestellte und weitere 100 Freiberufler vor einem Scherbenhaufen. „Das kann keiner verstehen, das ergibt keinen Sinn“, sagt Todovora, die als Geschäftsführerin seit Januar das Insolvenzverfahren begleitet hat. Bis zum letzten Tag habe man daran geglaubt, den Verein retten zu können. „Die Ertragslage war gut. Alles hat funktioniert.“

Der Verein war im Vorjahr in finanzielle Schwierigkeiten geraten, nachdem der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrats, Christian Müller, der Vereinsgründerin Sadija Klepo Untreue und Betrug vorgeworfen und ein Ermittlungsverfahren gegen sie in Gang gesetzt hatte. Weit mehr als 400 000 Euro Vereinsgelder flossen in eine Anwaltskanzlei, die gegen Klepo ermitteln sollte. Der Verein musste Insolvenz anmelden. Noch im Juni zeigten sich die Insolvenzverwalter zuversichtlich, eine tragfähige Lösung zu finden. Dann aber ließ eine ausbleibende Zahlung des Münchner Bildungsreferats für erbrachte Leistungen in Höhe von 400 000 Euro den Rettungsversuch scheitern. „Uns wurde das Genick gebrochen“, sagt Todorava.

Sadija Klepo, die unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde, sagt: „Ich frage mich jeden Tag: Warum macht jemand so etwas?“ Von den Anschuldigungen gegen sie sei fast nichts übrig geblieben.

Ihr Mitgefühl gelte den Mitarbeitern und den vielen Menschen, die täglich bei ihnen Rat und Hilfe gesucht hätten, sagt Klepo. „Unsere Flüchtlinge haben keine Polizeieinsätze ausgelöst, die haben Deutsch gelernt. Und wir haben uns dafür eingesetzt, dass sie weiterkommen.“

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