News

Die Wahrheit: Wie doch Gemeinschaft wärmt | ABC-Z

„Kommen Sie rein, können Sie rausgucken“, begrüßt uns ein etwa 50-jähriger Mann mit Henriquatre-Bart und etwas zu engem Camp-David-Shirt, nachdem er die „Highway to Hell“ spielende Klingel hat ausdudeln lassen. „Cheffe wartet schon.“

Wir folgen „dem Maggus“ durch eine endlose Reihe von Partyräumen, die sich nur dadurch zu unterscheiden scheinen, ob unter dem Hirschgeweih eine Dartscheibe, ein Pin-up-Girl oder ein Bild der New Yorker Skyline an der Wand hängt. Im dritten Stock, hinter einer schweren Eichenholztür mit drangeschraubtem „Mein Büro, meine Regeln“-Blechschild, begrüßt uns dann endlich der Herr des Hauses: Lutz Müller, Gründer und Betreiber von Deutschlands erstem sogenannten Midlife-Krisenhaus.

„Wobei wir hier lieber von Lebensmittekrise sprechen“, erklärt Müller. Der oft despektierlich genutzte Begriff Midlife Crisis trage den Gefühlen der Bewohner von „Haus Kopf Hoch“ keine Rechnung. „Die Lebensmittekrise ist schließlich kein Witz!“, empört sich Müller, während er durch sein Fenster einen im Hof auf einer Harley langsame Kreise ziehenden Bewohner beobachtet.

„Die Männer, die zu uns kommen, haben oft alles verloren“, erklärt der Leiter weiter, während er uns ein „schönes Dunkles“ anbietet. Familie, Zuhause, eigenes Klo – alles weg. Freiwillig verlassen natürlich, weg nichtsdestotrotz. „Wenn man in Bezug auf jüngere Männer von der ‚male loneliness epidemic‘ spricht, könnte man sagen: Hier bei uns lebt Patient Zero.“

Shiatsu am Bier und Botox für Brüder

Dass die Schutzsuchenden gar nicht so niedergeschlagen wirken, liege am einzigartigen Konzept des Hauses, protzt Müller auf dem folgenden Rundgang. Angebote wie Shiatsu am Bier, Botox für Brüder oder Wäsche waschen habe er über viele Jahre im Austausch mit Männerrechteinitiativen entwickelt.

Allerdings sei er aus Angst vor Spott und politischer Hetze bisher nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Wo genau das von außen unscheinbare Haus steht, das dürfen wir deshalb nicht sagen. Zu oft schon hätten verlassene Frauen vor der Einrichtung gestanden und ihren Männern mit finanzieller Gewalt durch Unterhaltsforderungen gedroht.

„Aber lassen Sie uns am besten doch einfach durchspielen, was ein Mann in schwerer Lebensmittekrisensituation bei uns erlebt“, schlägt Müller vor. Er führt uns zu einem Kleiderhaufen. Aus Spenden erhalten die Männer erst mal das Nötigste: eine Lederjacke, ein kühles Blondes und von Kleiderwart Lutz die Versicherung, dass „die coole Blonde dazu“ bestimmt auch bald komme.

Dann gehe es an die Zimmerzuweisung. „Wir haben die Modelle Hobbyraum, Hotelzimmer oder Sofa im Wohnzimmer“, erklärt Müller sichtlich stolz, während er uns an den wie aus einem Eigenheim herausgerissenen Zimmern vorbeiführt. Wer sich einsam fühle, könne sogar die Soundkulisse via Bluetooth bestimmen. Ein endloses „Schaaatz, kommst du mal?“, Staubsaugen im Flur oder tratschende Schwiegereltern sollen den Trennungsschmerz lindern.

Am zweiten Tag dürfen die Männer dann eine „kaputte“ Waschmaschine im Keller reparieren, bei der aber nur der Stecker gezogen wurde. „Erfolgserlebnisse schaffen, leistungslos – ganz wichtig!“, ermahnt uns Müller. Ansonsten stehe nur endlich mal Ruhe haben auf dem Programm.

Midlife Boom ab Tag drei

Ab Tag drei fänden frei wählbare Kurse statt, die aus der Midlife Crisis einen Midlife Boom machen sollen: Affäre für Anfänger, Lügen auf dem Jahrgangstreffen oder Plauzen, Pech & Pannen – Embracing Body & Soul. Hauptsache, die Männer kämen wieder auf die Beine. „Aber nicht nur dahin, hehe“, quatscht ein dürrer Endvierziger Müller im Vorbeigehen in den Satz. „Sehr gut, Jochen“, erwidert der gelassen und erklärt einige Meter weiter stolz: „Jochen war bis vor ein paar Wochen noch ein schüchterner Versicherungsvertreter, und jetzt sehen Sie ihn an!“

Das Wichtigste sei aber natürlich, dass die Männer die Lebensmittekrise hinter sich lassen. „Und das lernen sie hier – kommen Sie.“ Er zieht uns in den Hof, wo einige Männer andächtig um einen meterlangen Weber-Grill herumstehen. „Spezialanfertigung“, flüstert Müller.

Ganz ohne Therapeuten dürfen die Männer hier endlich am Grill Gefühle zeigen. Da ist vor allem Wut: „Ich hab den Laden doch allein geschmissen!“ Die anderen stimmen ihm brummend zu. „Wir haben doch alles für den Bengel getan!“ Wieder Brummen. „Da wäscht man die Klobürste einmal im Geschirrspüler!“ Unsichere Blicke.

Ziel sei es, die Männer ihre Verantwortung auf andere abschieben zu lassen, erklärt uns Müller. „Hey! Aufhören!“, geht er plötzlich dazwischen, als bei einigen Männern zu selbstgewählten Mantras wie „Zähne zusammenbeißen“ oder „Da machste nix“ Tränen kullern. „Verletzlichkeit kommt mir nicht ins Haus!“

Bis zu einem Monat verbleiben die Männer im „Haus Kopf Hoch“. Solang braucht es, bis sie sich einen Malle-Urlaub oder eine Route-66-Motorradtour organisiert haben. Danach kehren die allermeisten zu ihrer Familie zurück. „Sind wir mal ehrlich“, lächelt Lutz Müller uns zum Abschied süffisant aus der Tür, „das sind Männer. Müssen halt mal ’ne Woche rauskommen.“

Back to top button