Meinungen

“Die Vice-Story”: Eine Doku, so rasant wie Vice selbst | ABC-Z

Gosse. Gonzo. Größenwahn. Mit diesen drei Worten lässt sich die Geschichte des Medienunternehmens Vice ziemlich treffend beschreiben. Und so ist es dann auch kein Wunder, dass eine neue Doku von ARD Kultur genauso heißt: In “Die Vice-Story – Gosse. Gonzo. Größenwahn.” beschäftigen sich die Macherinnen und Macher mit dem schnellen Aufstieg des Konzerns und der Popularität der Marke, bis hin zum schnellen Fall und der Insolvenz im Vorjahr. Nach den Dokus über Echt und Viva hat die “Vice-Story” jetzt ebenfalls das Zeug dazu, bei Millennials, der Zielgruppe von ARD Kultur, voll einzuschlagen. 


Dass liegt daran, weil die Produktionsfirmen Beetz Brothers und Hyperbole, die den Dreiteiler gemeinsam umgesetzt haben, recht klassisch unterwegs waren, dabei das Vice-Gefühl aber ziemlich gut aufgegriffen haben. So sind die drei 30-minütigen Folgen traditionell gehalten – zumindest auf den ersten Blick. In Interviews schauen ehemalige Mitarbeitende oder Expertinnen und Experten zurück auf die Geschichte des Medienunternehmens, das selbst zur Popkultur geworden ist. 

Andererseits ist “Die Vice-Story” in Teilen so rasant und rough wie Vice einst selbst. Da wird wild gesprungen – zwischen den Jahren, aber auch zwischen den verschiedenen Standorten. Wenn es eben noch um die Büros in London und New York ging, erzählen Thilo Mischke und andere ehemalige Angestellte kurz darauf, wie es war, für Vice in Berlin zu arbeiten. Spoiler: Eigentlich ganz geil, nur Geld gab’s halt wenig. 

Die Doku-Reihe liefert damit einen tiefen und authentischen Einblick in das Unternehmen, das einst auch für seine berüchtigten Partys bekannt war und wo Drogen fast schon zum Alltag dazu gehörten. Für Personen, die bislang noch nicht mit der Marke “Vice” in Berührung gekommen sind, dürfte die Inszenierung von Peta Jenkin und Christopher Kaufmann aber wohl ziemlich überfordernd sein, weil einfach schon viel Grundwissen vorausgesetzt wird bzw. einige Dinge im Schnelldurchlauf erklärt werden. 

Vice hat den Journalismus verändert

Allen, die sich zumindest ein wenig im Thema auskennen, liefert die “Vice-Story” jedoch einen faszinierenden Einblick in das Innenleben einer Medienmarke, die stets umstritten war, aber fraglos den Journalismus auf der ganzen Welt verändert hat. “Der Journalismus in dieser Zeit, vor allem für Jugendliche, war so verklemmt”, sagt Gavin McInnes, Mitbegründer von Vice Media und späterer Schöpfer von – Achtung – den rechtsextremen Proud Boys. Wie das (nicht) zusammenpasst, wird auch in der Doku thematisiert. 

McInnes kommt immer wieder zu Wort, wird aber nicht als Vice-Übervater inszeniert. Die Macherinnen und Macher beschäftigen sich auch mit Kritik an seinem offensichtlichen, rechtsradikalen Gedankengut. Das wiederum gefällt dem Protagonisten nicht, wie man gut in der dritten Folge der Doku-Serie erkennen kann. 

Und trotzdem: Auch dank Personen wie McInnes hat Vice den Journalismus verändert, weil man über Kulinarisches in Gaza berichtete, in Bagdad die Mitglieder einer Heavy-Metal-Band getroffen hat oder für Geschichten mit Terroristen kooperierte. Vice hat die Grenzen dessen, was im Journalismus möglich sind, verschoben und den Gonzo-Journalismus, bei dem nicht Objektivität sondern subjektives Empfinden und Emotionen im Vordergrund stehen, etabliert. Auch viele deutsche Medien sprangen einst auf den Zug auf und gründeten sogenannte Jugendportale – aber keins war so erfolgreich wie Vice. 

Hohes Ansehen, wenig Geld

Wer für Vice geschrieben hat, genoss besonders in der Anfangszeit hohes Ansehen in der Zielgruppe, musste sich das allerdings leisten können. “Ich musste meine Arbeit bei Vice finanzieren”, sagt etwa Thilo Mischke in einer der drei Folgen. Er habe so schlecht verdient, dass er für andere Medien habe arbeiten müssen, um sich den Job bei Vice leisten zu können. Mischke ist es auch, der immer wieder kritische Töne zu seinem ehemaligen Arbeitgeber einbringt. “Man hat bei Vice sehr viel gelernt über journalistische Standards”, sagt er – und meint damit unter anderen das Verifizieren von Geschichten, was bei Vice teilweise nicht auf der Tagesordnung stand. Es habe bei Vice keine Editorial Guidelines gegeben, sondern nur ein “Gefühl, was richtig oder falsch ist”. Und so war dann manchmal eben auch das Ergebnis. 



© SWR/Bild: ARD Kultur / Beetz Brothers / Hyperbole
Thilo Mischke hat Vice viel zu verdanken, blickt inzwischen aber differenziert auf seine Zeit dort zurück.

Und da, wo Vice Grenzen ausgetestet hat, hat man sie teilweise auch überschritten. In der Doku wird deutlich: Zwischenzeitlich war die Marke Vice wichtiger als die Geschichten, was langfristig eher keine gute Idee war. Und auch die Trennung zwischen Inhalten und Werbung war irgendwann nicht mehr so hart, wie es sein sollte, um unabhängig zu sein. Und spätestens als man dann noch einen Kabelsender starten wollte und eine Video-Offensive startete, ging es bergab, weil diese Initiativen extrem viel Geld verschlangen – die typischen Vice-Geschichten gab es aber auch hier.

Geschichte über Macht und Gier

Am Ende ist “Die Vice-Story” auch eine Geschichte über Macht und Gier. Vice war zwischenzeitlich mehr als 5 Milliarden US-Dollar wert, doch die Gründer und Gesellschafter wollten nicht verkaufen, weil sie dachten, sie könnten noch größer werden und womöglich Disney überholen. Daraus ist bekanntlich nichts geworden, Medien-Geschichte hat Vice aber in jedem Fall geschrieben. Mediengeschichte, die sich in der Doku von ARD Kultur jetzt noch einmal gut nachverfolgen lässt. 


Ob Vice aber tatsächlich ein “Geschenk des Himmels” war, wie es ein Filmemacher in der Doku sagt, möge jeder für sich selbst entscheiden. Fest steht: Vice hat die Arbeit von Medien weltweit verändert. Sei es zum Guten – oder manchmal eben auch zum Schlechten. “Die Vice-Story – Gosse. Gonzo. Größenwahn.” macht das sehr gut deutlich. 

“Die Vice-Story – Gosse. Gonzo. Größenwahn.” steht ab Mittwoch in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit. 

Back to top button