Clean Industrial Deal: Der große 100-Milliarden-Euro-Plan, der Europas Industrie grüner machen soll | ABC-Z

Die EU wird zum Mekka für grüne Produktionsstandorte werden – das zumindest ist der Plan der Kommission. Dafür wurde in Brüssel der Clean Industrial Deal verabschiedet, das Geld dafür soll unter anderem aus den Mitgliedsstaaten kommen. Die Industrie unterstützt den Plan – trotz offener Fragen.
Die EU-Kommission richtet ihre Industriestrategie neu aus. „Made in Europe“ erhält sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Beschaffung den klaren Vorzug. Mit 100 Milliarden Euro für saubere Produkte aus der EU will Brüssel Donald Trumps Plänen für die Rückkehr zu fossilen Energieträgern eine Dekarbonisierungsagenda entgegensetzen. Die EU soll ein attraktiver Innovations- und Produktionsstandort bleiben und damit auch wieder mehr Investitionen anlocken, so das klare Signal.
Bei der US-Wirtschaft kam diese Ankündigung gar nicht gut an. „Der Umfang und die Geschwindigkeit der Investitionen, die für die Einführung sauberer Technologien in Europa erforderlich sind, können nur durch den Beitrag amerikanischer Unternehmen erreicht werden“, teilte die EU-Vertretung der American Chamber of Commerce am Mittwoch mit.
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Bis zu 400 Milliarden Euro aus privatem Kapital
Die Kommission schlägt dafür etwa eine Bank für industrielle Dekarbonisierung vor. Diese soll mit rund 100 Milliarden Euro ausgestattet werden, von denen der Großteil allerdings von den Mitgliedstaaten kommt. Frisches Geld steht ohnehin nicht zur Verfügung. So sollen 20 Milliarden Euro aus dem Innovationsfonds kommen, 30 Milliarden Euro durch die Mitgliedstaaten bereitgestellt werden und weitere 33 Milliarden durch Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten des EU-Emissionshandels gespeist werden. Allerdings werden keine zusätzlichen ETS-Zertifikate ausgeschüttet, sondern auch hier sollen die Mitgliedstaaten auf die ihnen zustehenden Einnahmen verzichten.
Das übrige Geld soll aus dem InvestEU-Fonds kommen. 2,5 Milliarden Euro aus dem Fonds sollen das Zehnfache an Finanzmitteln hebeln, damit am Ende etwas über 100 Milliarden für die Industrial Decarbonisation Bank zusammenkommen. Insgesamt hofft die Kommission, dadurch bis zu 400 Milliarden Euro an privatem Kapital zu hebeln.
Die sechs Bausteine der neuen Industrie-Strategie
Insgesamt setzt der Clean Industrial Deal auf sechs Bausteine:
- bezahlbare Energie;
- Leitmärkte;
- öffentliche und private Investitionen;
- Kreislaufwirtschaft und Rohstoffe;
- internationale Partnerschaften;
- sozialen Ausgleich.
Zusätzlich soll der CO₂-Grenzausgleichsmechansimus CBAM erst ein Jahr später – im Februar 2027 – eingeführt werden und gemeinsam mit der drastischen Kürzung von Berichtspflichten deutlich weniger Bürokratie vor allem für kleine und mittlere Unternehmen bringen.
Der Plan stellt einen Paradigmenwechsel dar. Denn nun erhalten sowohl energieintensive Industrien als auch Clean-Tech-Unternehmen die Unterstützung bei der Transformation, die sie sich gewünscht hatten. Der Appell der Branche vor einem Jahr sei zu einem Wendepunkt der Hoffnung geworden, sagte Ilham Kadri, CEO von Syensqo und Präsidentin des europäischen Chemieverbands CEFIC beim Europäischen Industriegipfel am Mittwoch in Antwerpen.
Wo das Geld für die Unterstützung der Industrie herkommen soll, beantwortet die Kommission allerdings nur teilweise. Den kurzfristigen zusätzlichen jährlichen Finanzbedarf für die Bereiche Energie, industrielle Innovation und Wachstum sowie Transportsysteme beziffert sie auf rund 480 Milliarden Euro.
Ultimativer Test der EU-Strategie: Konkrete Umsetzung
In den Plänen steckt allerdings viel Ungewissheit für eine Akutmaßnahme zur schnellen Hilfe. Der nächste mehrjährige Finanzrahmen – das Budget der Europäischen Union – dürfte daher mehr Aufschluss darüber geben, wie viel Geld Brüssel für die Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie langfristig in die Hand nimmt. Das dauert allerdings noch. Ein erster Vorschlag für den neuen MFR wird im Sommer erwartet. In Kraft tritt er erst 2028.
Der ultimative Test werde deshalb die Umsetzung der Vorschläge in konkrete Maßnahmen und deren solide finanzielle Grundlage sein, kommentiert Julia Metz, Direktorin des Thinktanks Agora Industrie. Der Konkurrenzkampf um die Verteilung der Gelder entbrennt bereits. Die Dekarbonisierungsbank laufe Gefahr, die Elektrifizierung gegen gasabhängige Lösungen auszuspielen, die nur auf dem Papier gut aussehen, warnte Walburga Hemetsberger, CEO von SolarPower Europe.
Hohe finanzielle Einsparungen verspricht die Kommission mit ihrem Aktionsplan zu Energiepreisen. Schon im laufenden Jahr sollen es 45 Milliarden Euro sein, und bis 2040 werde die Summe auf 260 Milliarden Euro anwachsen, schreibt sie in ihrer Pressemitteilung. Diese Summen sollen eingesparte Importe von fossilen Energieträgern erbringen.
Doch ein genauer Blick in den Plan zeigt, dass sich der Beitrag der Ankündigungen vom Mittwoch gar nicht beziffern lässt. Die Einsparungen errechnen sich nämlich aus dem Vergleich mit der Entwicklung seit 2019 ohne Energiewende und bei einem CO₂-Ziel von minus 90 Prozent bis 2040. Wie viele Milliarden davon aber durch die nun vorgeschlagenen neuen Maßnahmen zustande kommen, lässt der Aktionsplan völlig offen. Das erwünschte Signal ist jedenfalls: Dekarbonisierung kostet nicht nur, sie bringe auch finanziell etwas.
Grüne Industrie – ohne Gas, aber mit Atomstrom?
Erneuerbare sollen auch der Hauptfaktor sein, um die für die Dekarbonisierung entscheidenden Strompreise von den hohen Gaspreisen abzukoppeln. Frankreich und seine Verbündeten feierten dabei allerdings auch einen Erfolg für Kernenergie. Deren Rolle wurde im Laufe der letzten Verhandlungen zum Clean Industrial Deal noch einmal aufgewertet. Die EIB soll in einem Pilotprogramm langfristige Stromabnahmeverträge mit Garantien in Höhe von 500 Millionen Euro absichern. Der Strom dafür soll nun aber nicht mehr allein aus Wind- und Solarparks kommen können, sondern auch aus AKW.
Russisches Gas soll auch künftig keine Rolle spielen. Die seit Wochen kursierenden Spekulationen, dass die Ukraine nach einem Waffenstillstand möglicherweise wieder russisches Gas Richtung Westen leiten könnte, versuchte Energiekommissar Dan Jørgensen am Mittwoch zu beenden. „Wir sind fest entschlossen, kein russisches Gas mehr zu kaufen“, erklärte er. Klarer könne man es nicht mehr sagen. Bei der Diversifizierung kann die EU laut Jørgensen auf die USA nicht verzichten: „So wie wir von Norwegen abhängen, wenn es um Pipeline-Gas geht, sind wir auch abhängig von LNG aus den USA. Das wird auch in Zukunft so bleiben.“
Kritisiert wird, dass die Kommission nicht auch das Update des EU-Klimagesetzes vorgelegt hat. Beobachter hatten erwartet, dass das 90-Prozent-Ziel für 2040 gesetzlich verankert wird. Dies hätte das Vertrauen der Unternehmen gestärkt, die Planbarkeit und eine langfristige Vision fordern, sagt Romain Pardo Corporate vom Industrienetzwerk Corporate Leaders Group Europe. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra rechtfertigte das Vorgehen damit, dass die Ziele der Kommission bekannt seien und man nicht alles auf einmal veröffentlichen könne. Die Aktualisierung des Klimagesetzes und der legislative Vorschlag für das Klimaziel 2040 solle jedoch noch in den kommenden Wochen erfolgen.