Die Ukraine hat jetzt fast so viele Artilleriegeschosse wie Russland | ABC-Z

Es war ein Zufall des Kalenders, dass sich die EU-Verteidigungsminister am tausendsten Tag des russischen Kriegs gegen die Ukraine trafen. Und doch passte es, denn mit diesem Krieg hat auch die europäische Verteidigungspolitik einen neuen Fokus bekommen. Vorher wurde darum gerungen, wie die EU 5000 Soldaten in anderen Weltgegenden einsetzen könnte, wenn es dringend notwendig wird – die Lehre aus dem chaotischen Rückzug aus Kabul im Sommer 2021.
Seit Kriegsausbruch geht es dagegen um größere Herausforderungen: die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Munition, die Ausbildung von Kampftruppen, den Aufbau einer leistungsfähigen Verteidigungsindustrie und die Entwicklung gemeinsamer Waffensysteme zur Verteidigung Europas. Am Dienstag zogen die Minister eine Zwischenbilanz.
Was die Lieferung schwerer Artilleriemunition angeht, kann die Union nun Vollzug melden. Die zugesagte eine Million Schuss „ist inzwischen fast komplett in der Ukraine angekommen“, verkündete Verteidigungsminister Boris Pistorius in Brüssel. Ursprünglich war dies bereits bis Ende März geplant, doch so schnell konnten die Hersteller ihre Kapazitäten nicht ausbauen. Die Unterstützung macht sich auf dem Schlachtfeld durchaus bemerkbar. Vor einigen Monaten habe Russland sechs- bis zwölfmal so viel Granaten eingesetzt wie die Ukraine, sagte Pistorius. „Heute hat die Ukraine fast so viel Artilleriemunition wie Russland.“ Deutschland trug mehr als ein Drittel der Beschaffungskosten.
Ein gemischtes Bild bei der Waffenhilfe
Seit zwei Jahren bilden die Mitgliedstaaten zudem ukrainische Soldaten für den Krieg aus. Nach Angaben eines hohen EU-Beamten waren dies bisher 65.000 Soldaten, bis zum Ende des Winters sollen es 75.000 sein. „Die EU ist zum größten Ausbilder der ukrainischen Armee geworden“, sagte der Beamte. Das Mandat der EUMAM-Mission wurde um zwei weitere Jahre verlängert, bis Ende 2026.
Bei der Waffenhilfe ergibt sich ein gemischtes Bild. Einerseits wird die Auszahlung von Mitteln aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EPF) seit Mai 2023 von Ungarn blockiert. Mit diesem Geld werden Lieferungen der Staaten teilweise erstattet. Die EU beteuert zwar, dass trotzdem geliefert werde, doch gibt es auch Hinweise darauf, dass einige Staaten sich weniger anstrengen, weil die Erstattung ausbleibe.
Ein Vorstoß des Außenbeauftragten Josep Borrell, die Mittel zu freiwilligen Beiträgen zu erklären und Ungarns Veto so zu umgehen, stößt vor allem in Frankreich auf Skepsis. Die Regierung befürchtet, dass sie für den dann notwendigen Beschluss keine Mehrheit im Parlament bekäme.
Verteidigungsausgaben von durchschnittlich 1,9 Prozent
Andererseits konnte die EU der Ukraine mit 1,4 Milliarden Euro an Zinserträgen aus eingefrorenen russischen Staatsvermögen helfen, im nächsten Jahr soll eine zweite Tranche in Höhe von 1,9 Milliarden Euro folgen. Von diesem Geld darf Kiew direkt Waffen kaufen und auch die eigene Rüstungsindustrie unterstützen.
Infolge des Krieges sind auch die Rüstungsinvestitionen der EU-Staaten stark gestiegen. Gemäß einem Bericht, den die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) am Dienstag vorlegte, geben die 27 Staaten in diesem Jahr 326 Milliarden Euro für ihre Verteidigung aus, das sind 31 Prozent mehr als 2021. Im Durchschnitt wenden sie nunmehr 1,9 Prozent ihrer Wirtschaftskraft dafür auf, allerdings mit großen Unterschieden: Während es in Polen mehr als vier Prozent sind, liegen Italien und Spanien unter 1,5 Prozent.
Der scheidende Außenbeauftragte Borrell forderte die Staaten am Dienstag auf, mehr eigene strategische Fähigkeiten aufzubauen und so den europäischen Pfeiler in der NATO zu stärken. Die Verteidigungsminister unterzeichneten dazu Absichtserklärungen. Das betrifft die Entwicklung von Komponenten für Luftverteidigung, die elektronische Kriegsführung, Kamikazedrohnen und ein Mehrzweck-Kriegsschiff.