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Die Stones schrieben ihr den ersten Hit | ABC-Z

Man traute seinen Ohren nicht, als im Spätherbst 1979 diese mürbe, sich gleichsam ängstlich vortastende Stimme über den Äther ging: „At the age of 37 / she realized she‘d never ride / through Paris in a sports car / with the warm wind in her hair“.

Marianne Faithfull, die da zu Steve Winwoods unvergesslichem Synthesizer-Gewimmer sang, war damals noch gar nicht 37 und hatte sich trotzdem das Meiste schon abgeschminkt. Sie intonierte hier nicht bloß irgend ein Hausfrauen-Schicksal, sondern injizierte diesem todtraurigen Shel-Silverstein-Song mit einer von allem Möglichen gegerbten, mittlerweile gut eine Oktave tiefer gelegten Stimme – von der man als Radiohörer hätte schwören mögen, dass sie keiner weißen Sängerin gehörte – , das böse Gefühl, das sich einstellt, wenn man vor der Zeit Bilanz zieht, und man sich sagen muss, dass die schönsten Träume nicht in Erfüllung gegangen sind, das Leben vielleicht sogar verfehlt wurde.

Verkörperung der Heroinsucht

Marianne Faithfull feierte mit diesem Song und dem auch insgesamt bitteren Album „Broken English“ eines der bemerkenswertesten Comebacks der Rockgeschichte, in die sie schon minderjährig einging – als 17jährige Interpretin des Jagger/Richards-Songs „As Tears Go By“ (1964) – und die sie lange Zeit doch nur würdigte als, ganz wie man will, Muse oder Anhängsel der Rolling Stones.

Nicht nur deren Manager Andrew Loog Oldham, der sie förderte, war wie vom Donner gerührt von der unschuldsengelsgleichen Anmutung dieser mütterlicherseits österreichisch-ungarischem Adel entstammenden jungen Frau, die, nicht nur als Mick Jaggers Geliebte, quasi im Zeitraffer die Erfahrung machen sollte, wie strapaziös, ja, lebensgefährlich die Zugehörigkeit zu diesem am Ende wohl härtesten Rock‘&‘Roll-Clan sein konnte. Wie sie, in einen Kaninchenfell-Teppich gehüllt und angeblich mit einem Schokoriegel in einer dafür absolut unüblichen Körperöffnung, nach einer verschwörerischen Drogen-Razzia aus Keith Richards Landhaus mit abgeführt wurde, ist eine Szene, die sprichwörtlich wurde für den Übermut, den Leichtsinn und die Dekadenz des Rock-Adels.

Marianne Faithfull 1969 mit Mick Jaggerdpa

Sie wurde gleichsam die Verkörperung der Heroinsucht, welche die Stones 1971 in „Sister Morphine“, einem ihrer besten, beklemmendsten Songs, besangen; wahrscheinlich hat sie daran sogar mitgeschrieben, obwohl die Credits sie nirgends aufführen. Zu dieser Zeit war sie, längst Mutter eines Sohnes, komplett mittel- und obdachlos, die glockenhelle und -klare Stimme, mit der sie ihre schönen, zwischen Rock, Pop, Chanson und Folk changierenden Platten besungen hatte, schon ein fernes Echo aus der großen Londoner Zeit.

As Tears go by

Sie berappelte sich, seit „Broken English“ galt sie, obwohl immer noch süchtig, wieder viel, das neue Jahrzehnt sah sie als einigermaßen erholte, abgeklärte Sängerin, die mit ihrer leidenserfahrenen Stimme alles andere als gestrig klang. Und sie änderte sich, ihr Image, eine Mischung aus verlebter Punkerin und Disco-Interpretin, spielte Theater, kniete sich ins Brecht-Weill-Repertoire hinein, wurde eine geachtete Filmschauspielerin, am denkwürdigsten in „Irina Palm“ (2007), und machte mit den unterschiedlichsten Musikern gemeinsame Sache, mit der Band Metallica und dem Film-Komponisten Angelo Badalamenti.

So wurde sie, etwas früh für ihr Alter, gesundheitlich immer stärker angeschlagen, aber sowieso nie geneigt, die Fitte zu spielen, zur Schmerzensfrau des Rock, eine weiße Billie Holiday, die der Überzeugung folgte, dass man von einem gewissen Alter an Kunst auch aus seinen Verletzungen und Enttäuschungen macht.

Die Swinging Sixties: Man stellt sich das immer so aufregend vor. Diese Sängerin war der, gemessen an dem, was sie erlitten hat, dann doch erstaunlich langlebige Beweis dafür, dass das alles am Ende eben nicht durchweg ein Spaß war. Am Donnerstag ist Marianne Evelyn Gabriel Faithfull im Alter von 78 Jahren gestorben. As tears go by.

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