Rückforderung von Corona-Hilfen: Geschäftsleute sind enttäuscht | ABC-Z

Die Mail ist in nüchternem Behördendeutsch formuliert, doch hat sie bei Klaus Weddig gleich „den Blutdruck in die Höhe getrieben“. Weddig ist freier Fotograf und einer von mehr als 100.000 Freiberuflern und Unternehmern in Hessen, die während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 Soforthilfen erhalten haben, bis zu 30.000 Euro waren möglich. Rund 90.000 der Geldempfänger wurden in den vergangenen Wochen vom Regierungspräsidium Kassel per E-Mail informiert, dass nun eine etwaige „Überkompensation“ geprüft werde. Die Soforthilfe-Bezieher sollten deshalb Angaben zu Einnahmen und Ausgaben im Frühjahr 2020 in ein Onlineformular eintragen. Rückmeldefrist: zwei Wochen.
Mittlerweile ist klar, dass die Empfänger mehr Zeit bekommen, das Wirtschaftsministerium hat bereits eine Härtefallregelung angekündigt. Weddig, der als stellvertretender Regionalbeirat des Berufsverbandes Freier Fotografen und Filmgestalter in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland auch für viele Kollegen spricht, ist über das Vorgehen des Landes dennoch empört. Und das trifft nicht nur auf ihn zu.
Matthias Brand sagt, er sei einfach enttäuscht. Der Inhaber des Einrichtungsgeschäfts Brand KG in Erbach im Odenwald erinnert an die Auftritte verschiedener Politiker vor fünfeinhalb Jahren. Von Zuschüssen sei damals die Rede gewesen angesichts der Schließung der Geschäfte am 18. März. Ganz ähnlich äußert sich Joachim Stoll, Vizepräsident des Handelsverbands Hessen und Gründer des Onlineshops Koffer 24. Wenn die Soforthilfe „ein zinsloses Liquiditätsdarlehen gewesen wäre, dann hätte man das anders benennen müssen“, kritisiert er.
Widersprüchliche Kommunikation
Tatsächlich wurde die Soforthilfe in einer Ende März 2020 veröffentlichten Richtlinie des Landes als „einmaliger, nicht rückzahlbarer Zuschuss“ bezeichnet für „in der Fortführung ihres Betriebes gefährdete Unternehmen“. Der Bescheid, den die Empfänger wenig später bei der Bewilligung der Hilfen erhielten, las sich allerdings schon anders: Darin fand sich der Hinweis, dass „die Soforthilfe ganz oder teilweise zurückzufordern ist, wenn die für die Gewährung maßgeblichen Voraussetzungen von Beginn an nicht vorgelegen haben oder nachträglich ganz oder teilweise weggefallen sind“. Unternehmer Brand räumt ein: „Wir hätten die 30.000 Euro am Ende nicht gebraucht.“ Dennoch passten die verschiedenen Aussagen zur Soforthilfe nicht zusammen: „Kann ich das, was Politiker uns sagen, eigentlich noch ernst nehmen?“
Auch Florian Bräutigam, der mit seiner Frau Marianne das Hotel Goldener Engel mit dem gleichnamigen Restaurant in Heppenheim führt, spricht von einem Vertrauensproblem. Anfang 2024 habe er die Abrechnung des Kurzarbeitergeldes, das er in der Pandemie erhielt, abgeschlossen und auch die für die sogenannten Überbrückungshilfen. Die Überbrückungshilfen wurden im zweiten Halbjahr 2020 bereitgestellt. Dass nach deren Abrechnung nun auch noch die zu einem früheren Zeitpunkt ausgezahlte Soforthilfe überprüft werde, habe er nicht erwartet, sagt der Gastronom.
Tatsächlich ist Hessen mit der flächendeckenden Prüfung der Soforthilfen spät dran. Laut einem Bericht des Bundesrechnungshofs vom Herbst 2023 galt in Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Thüringen schon damals die Regel, dass alle Soforthilfe-Empfänger nachträglich überprüft werden müssten. Wiesbaden hat die jetzt laufende flächendeckende Kontrolle erst auf Anordnung des Bundeswirtschaftsministeriums angestoßen, wie der hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) am Dienstag hervorhob. „Wir haben uns bis zuletzt gegenüber dem Bund dafür eingesetzt, auf aufwendige Prüfverfahren zu verzichten.“ Warum den Betroffenen bei Einleitung des Verfahrens dann allerdings eine Rückmeldefrist von nur zwei Wochen eingeräumt wurde, um fünf Jahre alte Unterlagen herauszusuchen und die Daten in ein vom Regierungspräsidium Kassel eingerichtetes Onlineportal einzupflegen – diese Frage hat das Ministerium bislang nicht beantwortet.
Streitfrage Personalkosten
Jochen Ruths, Präsident des Handelsverbandes Hessen, zeigt sich mit Blick auf sein eigenes Geschäft in Friedberg relativ entspannt. Zwar geht er nach Eingabe seiner Daten in das Rückmeldeportal des Landes davon aus, dass er die 2020 in sein Modehaus geflossene Soforthilfe komplett zurückzahlen muss. „Ich kann aber damit leben, wenn ich 30.000 Euro zinslos hatte fünf Jahre lang“, sagt er. Problematisch findet Ruths aber, dass bei den geforderten Informationen zu betrieblichen Ausgaben in dem dreimonatigen Förderzeitraum die Personalkosten nicht zählen. Sie dürfen laut einem Frage-Antwort-Katalog auf der Website des Regierungspräsidiums Kassel nicht berücksichtigt werden, „auch dann nicht, wenn die entstehende Lücke nicht vom Kurzarbeitergeld abgedeckt wird“.
Für Auszubildende und Minijobber habe es nie Kurzarbeitergeld gegeben, sagt Ruths dazu – und im Einzelhandel spielten Aushilfen nun einmal eine wichtige Rolle. Sein Verbandskollege Stoll weist darauf hin, dass vor Auszahlung von Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter zunächst deren Urlaub aufgebraucht werden musste. Im Ergebnis habe das Kurzarbeitergeld im Frühjahr 2020 in seinem Unternehmen – neben der Website Koffer 24 gehörte dazu damals noch das Traditionsgeschäft Leder Stoll in der Frankfurter Innenstadt – nur 22 Prozent der Personalkosten abgedeckt.
Zwar hat das Land schon im April 2020 klargestellt, dass Personalkosten bei der Gewährung von Soforthilfe nicht berücksichtigt würden – zu dem Zeitpunkt waren viele Hilfsanträge aber schon unterwegs. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es dazu, bei der Berechnung der seinerzeit bewilligten Beträge hätten die Personalkosten ohnehin keine Rolle gespielt. „Den damals angelegten Maßstab müssen wir bei der aktuellen Prüfung übernehmen.“
Unternehmen sehen Ungleichgewicht
Verbände und Unternehmen monieren indes: Wenn die im Förderzeitraum erzielten Einnahmen nun voll angerechnet werden, müsse das auch für das zwecks Erwirtschaftung dieser Einnahmen eingesetzte Personal gelten. So argumentiert etwa Gabriel Kämmerer, Geschäftsführer von Tuttocaffè aus Hanau. Sein Hauptgeschäft besteht darin, Kaffeemaschinen in den Büros anderer Unternehmen aufzustellen, zu befüllen und zu warten. Natürlich sei der Bedarf dafür während des Lockdowns, als viele Kunden ihre Beschäftigten ins Homeoffice schickten, geringer gewesen – „aber der Betrieb lief durchgehend weiter“, sagt Kämmerer. Da könne es nicht sein, dass er bei der nachträglichen Rechtfertigung seines Hilfsantrags die Einnahmen aus jener Zeit anrechnen müsse, gleichzeitig aber den Teil der Personalkosten, die trotz Kurzarbeitergeldes anfielen, nicht berücksichtigen dürfe.
Es gibt Bundesländer, die das anders geregelt haben: Auf der Website zum Soforthilfe-Rückmeldeverfahren in Nordrhein-Westfalen heißt es beispielsweise, Personalkosten könnten von den Einnahmen im Förderzeitraum abgezogen werden, sofern sie nicht durch Kurzarbeitergeld oder andere Ersatzleistungen abgedeckt wurden. Ganz ähnlich lauten die Regelungen in Sachsen und Baden-Württemberg. Im Südwesten durfte bei den Kosten zudem ein fiktiver Unternehmerlohn von maximal 1180 Euro monatlich angesetzt werden.
Neben dem Umgang mit den Personalkosten kritisiert Kämmerer, dass Leasingraten angerechnet werden dürften, Ratenzahlungen für Kredite aber nicht. Und auch Investitionen, findet er, sollten unter bestimmten Umständen als Kosten berücksichtigt werden: So habe er für Kaffeemaschinen, die er damals bei Kunden aufstellte, Trennwände angeschafft wegen der Hygienevorschriften.
Fragen zum Zeitrahmen
Fotograf Weddig weist auf ein weiteres Problem hin: Beim hessischen Rückmeldeverfahren sollen nur Einnahmen und Ausgaben aus der Zeit vom 11. März bis 10. Juni berücksichtigt werden. Am 11. März hatte die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 zur Pandemie erklärt, da die Soforthilfe für drei Monate ausgelegt war, hat das Land diese Laufzeit an den Stichtag angehängt.
Weddig hält das für ungerecht – „ich bin ja keine Frittenbude, bei der gleich zu Beginn des Lockdowns die Einnahmen ausfallen“, sagt er. Wie viele Freiberufler habe er im März noch Zahlungen aus früheren Aufträgen erhalten und Soforthilfe erst für die Monate April, Mai und Juni beantragt. Wenn er nun die Einnahmen vom März angeben müsse, entstehe ein falsches Bild.
Hier verspricht das Wirtschaftsministerium auf F.A.Z.-Anfrage Abhilfe: Sollten die Mittel damals nicht für den Zeitraum von Mitte März bis Mitte Juni, sondern für einen anderen Zeitraum beantragt worden sein, könne dies dem Regierungspräsidium über dessen Onlinekontaktformular oder telefonisch mitgeteilt werden. Der Frage-Antwort-Katalog zum Rückmeldeverfahren werde „gerade dahin gehend präzisiert“, hieß es am Mittwochnachmittag.
Weddig hat noch viele weitere Fragen. So sei die im Juni 2020 bereitgestellte Überbrückungshilfe mit dem auf denselben Monat entfallenden Soforthilfe-Anteil verrechnet worden, sagt er. Da der Fotograf Soforthilfe in Höhe von 10.000 Euro für drei Monate erhalten hatte, wurde die Überbrückungshilfe nach seinen Angaben um 3333 Euro gekürzt. Er befürchtet, nun dennoch die vollen 10.000 Euro zurückzahlen zu müssen.
„Ich bin eindeutig der Auffassung, dass, wenn eine tatsächliche Überkompensation bei der erhaltenen Soforthilfe vorliegt, diese auch zurückzuzahlen ist“, hebt Weddig hervor. Es könne aber nicht sein, „dass die Berechnungsgrundlagen derart verändert werden, dass die Überkompensation künstlich erzeugt wird“.