Die Schwarzen-Chef wird Bundeskanzler: Was gegen den Merz-Erfolg spricht – und was dafür | ABC-Z

Am kommenden Dienstag wählen Union und SPD Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Vor ihm liegen immense Aufgaben. Übers Wasser wird er nicht gehen können. Aber er kann mit seinem Kabinett etwas erreichen. Wenn er nicht alte Fehler wiederholt.
Bundeskanzler Friedrich Merz, an diese Wortkombi muss man sich ab nächster Woche gewöhnen. Dann ist der CDU-Chef am Ziel: Endlich Bundeskanzler. 23 Jahre nachdem ihn Angela Merkel vom Fraktionsvorsitz der CDU verdrängte, sieben Jahre nachdem er sein Comeback gestartet hatte. Drei Jahre nach seiner Wahl zum Parteichef – im dritten Anlauf.
Wer ist der Mann? Ein paar Fakten: 69 Jahre ist er mittlerweile, aus dem Sauerland, verfügt über eine Pilotenlizenz, ist mehrfacher Vater und Großvater. Er war Amtsrichter, Abgeordneter im Europaparlament und Bundestag und arbeitete für den Vermögensverwalter Blackrock. Er ist seit mehr als 50 Jahren in der CDU. Er könne aufbrausend sein, sagt man ihm nach. Was man im Bundestag ein ums andere Mal beobachten konnte, wenn er seinen Vorgänger Olaf Scholz zusammenfaltete. Ein Liebling der Massen ist er nicht gerade. Er kann arrogant und herablassend wirken, allerdings auch ehrlich und direkt. Manchmal sogar warmherzig. Unter ihm holte die Union ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl überhaupt.
Anschließend verspielte er weiteres Vertrauen, weil er Dinge tat, die vorher ausgeschlossen schienen. Er stimmte einer Lockerung der Schuldenbremse sowie einem neuen Sondervermögen für Infrastruktur zu. Teile seiner Wählerschaft fühlten sich veräppelt, denn im Wahlkampf hatte er noch leidenschaftlich für das Gegenteil argumentiert. Doch das war der Preis der SPD, und Merz hatte keine Wahl, als ihn zu bezahlen. Auch weil er sich vor der Wahl strikt geweigert hatte, bereits da die Schuldenbremse zu reformieren. Und vielleicht auch, weil er einsah, dass es richtig war.
Wahlkampf hatte Konstruktionsfehler
Es war dennoch einer dieser Momente, in denen sein vielleicht größtes Manko erkennbar wurde: mangelnde Erfahrung. Noch nie hatte er ein Regierungsamt inne. Nicht als Bürgermeister, nicht als Landes- oder Bundesminister. Er war auch noch nie Spitzenkandidat gewesen. Vielleicht hatte der Wahlkampf der CDU deshalb einen Konstruktionsfehler: vollmundig CDU pur zu propagieren, obwohl man wusste, am Ende mit SPD oder Grünen Kompromisse machen zu müssen – das barg immer die reale Gefahr, am Ende Dinge unterschreiben zu müssen, die man vorher ausgeschlossen oder sogar bekämpft hatte.
Doch so weit dachte Merz offenbar nicht. Seine Strategie: Mit CDU pur punkten, bei 35 Prozent plus X landen und sich den Partner aussuchen können. Hätte klappen können. Tat es aber nicht.
Es war nicht der einzige Fall, wo er Politik nach dem Prinzip Hopp oder Topp machte. Auch in den Tagen nach den furchtbaren Messermorden von Aschaffenburg dachte Merz offenbar nicht ausreichend an die Folgen seines Handels. Er versprach einen Fünf-Punkte-Plan gegen illegale Migration, den er als Bundeskanzler umsetzen wollte. Kompromisse schloss er aus. Das war heikel für einen, der nicht mit einer absoluten Mehrheit rechnen konnte. “Ich gehe all-in”, soll er damals intern gesagt haben. Wie ein Poker-Spieler.
Im Bundestag stellte seine Unionsfraktion in der Woche drauf zwei Anträge und einen Gesetzentwurf zur Abstimmung und nahm dafür die Zustimmung der AfD in Kauf. Eine gemeinsame Mehrheit kam bei einem Antrag tatsächlich zustande. Die AfD-Fraktion johlte, der Abgeordnete Bernd Baumann prahlte in herablassendem Ton über eine neue Zeit, die nun angebrochen sei. Die Union könne der AfD folgen, wenn sie die Kraft dazu habe. Merz wirkte konsterniert. Es waren Szenen, wie der Bundestag sie noch nicht gesehen hatte. War es das wert gewesen? Merz hatte argumentiert, man müsse ein Zeichen der Entschlossenheit senden. Man dürfe sich nicht von Rot-Grün vorschreiben lassen, was man zur Abstimmung stelle.
Wahl zwischen zwei Übeln
Letztlich führte Merz seine Partei so jedoch an einen Punkt, an dem sie nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln hatte: entweder entgegen den langjährigen Beteuerungen mit der AfD zu stimmen. Oder einen Rückzieher zu machen und inkonsequent zu erscheinen. Wobei auch die Abstimmung mit der AfD inkonsequent war.
Denn zwei Monate zuvor hatte Merz noch versprochen, keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen, auch keine zufälligen. Dieser Wortbruch sollte ihm Stimmen auf der Rechten bringen. Hätte klappen können. Tat es aber nicht.
Stattdessen bot er der Linken, insbesondere der totgeglaubten Linkspartei, ein Mobilisierungsthema. Sie erlebte einen unfassbaren Aufstieg, erreichte am Ende sage und schreibe 8,8 Prozent bei der Bundestagswahl. Was die Koalitionsbildung erschwerte und eine Zweidrittelmehrheit von Union und SPD mit verhinderte.
Noch einmal deutete sich diese Sorglosigkeit vor den Grundgesetzänderungen zugunsten maximaler Schuldenaufnahme an. Merz unterließ es, die Grünen frühzeitig einzubinden und sich ihre Zustimmung zu sichern. Er ging davon aus, dass die schon mitmachen würden, als staatstragende Partei. Hätte klappen können. Tat es aber nicht. Die Grünen konterten ihn kühl und gekonnt aus. Trieben den Preis hoch. Ließen ihn alt aussehen. Am Ende durfte Merz dann noch “Danke” sagen.
Auch manche Kabinettsbesetzungen wirken nach dem Prinzip: Könnte klappen. Einen politikunerfahrenen Manager zum Chef eines ganz neuen Ministeriums zu berufen, das sich erst noch finden muss. Einen Fachpolitiker zum Verkehrsminister zu machen, der bisher nur in der zweiten Reihe wirkte. Eine Parteipolitikerin zur Gesundheitsministerin zu berufen, die sich erst einmal in die komplizierte Materie einarbeiten muss. Einen machtbewussten Parteifreund mit eigenen Kanzler-Ambitionen zum Fraktionschef und damit zweitmächtigsten Mann in der Partei zu machen. Auch das kann klappen. Aber es kann auch schiefgehen. Immerhin wird das nicht entscheidend für den Erfolg der Kanzlerschaft Merz sein.
Entscheidend wird sein, dass die geplanten Maßnahmen schnell umgesetzt werden und Wirkung entfalten. Merz hat recht, wenn er sagt: Wir sind zum Erfolg verdammt. Und es ist richtig zu versuchen, erstmal die Stimmung im Land zu drehen. Die Ziele hat er ebenfalls richtig definiert: Die Wirtschaft in Schwung bringen, auch durch Bürokratieabbau, die Migration begrenzen, die Bundeswehr aufrüsten, Europa stärken, international zur Stabilität beitragen – soweit das mit Donald Trump im Weißen Haus und Wladimir Putin im Kreml überhaupt möglich ist.
“Wir können das schaffen”
Die Chance dieser Koalition liegt darin, dass alle erkannt haben, was auf dem Spiel steht. Union und SPD sind sich über die grobe Richtung einig. Daran ändert auch ein gelegentliches Scharmützel über die Höhe des Mindestlohns nichts. Auch SPD-Chef Lars Klingbeil scheint fest entschlossen, es nicht noch einmal zu einer Regierung des Dauerstreits kommen zu lassen. So kann neues Vertrauen wachsen.
Den größten Trumpf haben sich Union und SPD bereits mit den Grundgesetzänderungen gegeben. Die Ampel hat auch deswegen so heftig gestritten, weil ihr das Geld ausging. Daran ist sie letztlich zerbrochen. Geld ist jetzt aber nicht mehr das Problem. Für die Bundeswehr, Brücken, Straßen und Schienen ist es in Massen vorhanden und macht Mittel im Bundeshaushalt frei – in dem freilich immer noch gespart werden muss. Aber Schwarz-Rot startet unter Bedingungen, von denen SPD und Grüne nur träumen konnten. Und die Merz bekämpft hatte. Doch letztlich hat er sich mit den neuen Schulden-Möglichkeiten einen Gefallen getan.
“Wir können das schaffen”, sagte Merz beim CDU-Bundesausschuss am Montag. Und er hatte recht damit. Zwar nicht so, wie er das ursprünglich angekündigt hatte. Aber wenn in einem Jahr die Wirtschaft wächst, die illegalen Grenzübertritte sinken, die Ukraine sich gegen die Russen behauptet und sich Merz und Klingbeil weiterhin duzen, wäre schon viel gewonnen. Es könnte klappen. Diesmal wirklich.